»𝟹𝟶«

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Lucas hat Recht, es ist nicht leicht, einfach so weiter zu machen.

Ich habe keine Ahnung, wie die Welt ohne ihn sein wird. Ohne seine unerschütterbaren Äußerungen und ohne seine negative Aura, die mich auf seltsame Weise immer angespornt hat und alles Positive anzuziehen vermochte.

Und vielleicht ist es auch nur meine trotzige Art, aber ich muss hier weg. Ich werde diesen Flug nach São Paulo buchen und das noch bevor meine Eltern nach Hause kommen und es mir ausreden wollen. Sie hätten nichts gegen einen gewöhnlichen Urlaub oder eine spirituelle Reise gehabt, aber schließlich habe ich vor, mit dem Rucksack planlos durch Brasilien zu reisen und nach meinen Wurzeln zu suchen. Meine leiblichen Eltern werde ich dadurch mit größter Wahrscheinlichkeit nicht finden, aber vielleicht so was wie meine Identität, mich Selbst.

Die ersten beiden Wochen hab ich schon geplant, aber der Rest ist ungewiss. Und auch, wenn mir diese Ungewissheit Angst macht, so weiß ich, dass es jetzt das einzig Richtige ist.

Denn inzwischen verstehe ich es. Die ganze Zeit über musste ich von niemandem gerettet werden, von niemandem geliebt werden — jedenfalls nicht von einem Kerl.

Ich muss mich selbst retten, um diese Leia zu lieben, die gerade erwachsen wird.

Letztenendes liegt es vielleicht am allermeisten daran, ob wir krampfhaft von jemand anderes gerettet werden wollen oder ob wir unseren eigenen Freund in uns erkennen und uns von uns selbst retten lassen.

So sitze ich mit klopfendem Herzen und einem kleinen Lächeln vor meinem Laptop und will gerade auf Ticket kaufen klicken, da bemerke ich plötzlich ein Geräusch hinter mir.

Schnell klappe ich den Bildschirm meines Laptops nach unten und fahre herum.

Ich kann im dunklen Zimmer zwar nur ihre Umrisse sehen, aber ich erkenne Marlene. Sie macht das Licht an meinem Schreibtisch an.

So unauffällig wie möglich blicke ich ihr entgegen.

»Hab ich das grade etwa richtig gesehen, du hast dir einen Flug für nächste Woche gebucht?«, kommt es fassungslos aus Marlenes Mund.

»Ähm..«, stammle ich, weil ich mir überhaupt noch nicht überlegt hab, wie ich es den anderen beibringe.

»Du verlässt mich?!«, schnappt sie atemlos, dann jedoch wird ihr Blick wieder freundlicher. »Oh, ich verstehe, du willst deine Eltern von ihrer Südamerika-Reise abholen, hab ich Recht?«

Ich schüttle stumm den Kopf.

»Was?«, entfährt es ihr ungläubig. »Wie lange bleibst du dann da?«

»Ich weiß es nicht«, gebe ich wahrheitsgemäß zurück und setze einen entschuldigenden Blick auf.

»Wie, bitte?!«, kreischt sie völlig perplex. »Du hast dir keinen Rückflug gebucht?!«

»Ich fühle es einfach, ich muss jetzt gehen. Marlene...versteh das bitte. Kennst du diese Entscheidungen im Leben, die man trifft und man weiß«, auf meinem Gesicht macht sich ein verzweifeltes Lächeln breit, »man weiß, es ist entweder die dümmste Entscheidung, die man je getroffen hat, oder die beste überhaupt...«

»Du willst also wirklich einfach so nach Brasilien fliegen?«, schnaubt sie. »Bist du denn verrückt?«

Eine kurze Pause entsteht, in der wir uns einfach nur ansehen.

»Ja«, entgegne ich dann entschlossen und lächle, »ja, vielleicht bin ich das.«

»Gut.« Ich merke deutlich, wie sie ihre Wut in diesem Augenblick unterdrückt.

FilmdosensommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt