»𝟷𝟼«

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Es ist drei Uhr in der Nacht, als wir beim Haus ankommen. Die Villa liegt mit der beleuchteten Auffahrt und der Rasenanlage still und friedlich da.

Alle verschwinden sofort und ohne Essen oder Zähneputzen in den Gästezimmern.

Als ich versuche, in meinem Bett die Augen zu schließen, da merke ich, dass ich keinen Funken Müdigkeit verspüre. Seufzend schnappe ich mir meine Decke, schlinge sie mir um den Körper und tapse in die Küche runter, um mir noch Cornflakes zu machen. Vielleicht kann ich auch vor Hunger nicht schlafen. Schließlich hab ich mich das ganze Wochenende bloß von Bier und einer Spezialität ernährt, die sich halb abgelaufene Orangen auf Tequila nennt.

Das Herz rutscht mir in die Hose, als ich sehe, dass die Terrassentür geöffnet ist. Ich erstarre zur Säule. Was, wenn hier jemand eingebrochen hat? Am Rande Berlins sind die Häuser schließlich nicht mehr so eng.

Ich will mir schon herzklopfend einen Plan über mein weiteres Vorgehen machen, da sehe ich, dass jemand auf einem Stuhl sitzt und auf den beleuchteten Pool starrt.

Als ich durch die Tür schreite, wird mir schnell bewusst, dass es Noah ist. War doch klar, der hat schließlich ein völlig gestörtes Verhältnis zu seinem Schlaf.

Stumm setze ich mich mit meiner dicken Decke neben ihn in den Gartenstuhl.

Noah erschreckt sich gar nicht, sondern starrt einfach weiter geradeaus.

Ich nutze die Gelegenheit, um ihn im Profil anzusehen. Sein Gesicht hat die perfekte Mischung aus Härte und Weiche. Seine Sommersprossen mischen sich mit seinen hohen Wangenknochen und der geraden Nase und auch ohne Bart wirkt er unglaublich männlich. Ich bin mir sicher, einige seiner zukünftigen Patientinnen glauben, sie wären bereits im Himmel, wenn er das Erste ist, was sie nach dem Aufwachen erblicken. Und beinahe wünsche ich mir auch, eine von ihnen zu sein. Von ihm gerettet zu werden. Irritiert wische ich diese astronomisch dumme Vorstellung aus meinem Gehirn.

»Und, warum kannst du nicht schlafen?«, fragt er.

Ich bin überrascht, dass er sich für mich interessiert. »Keine Ahnung«, lüge ich, aber ich kann ihm wohl kaum sagen, dass ich seit unserem Kuss kaum noch an was Anderes denken kann. Er hat mich einfach umgehauen.

»Du?«, stelle ich dann die Gegenfrage, um kein peinliches Schweigen zuzulassen.

»Ich denke an unser Projekt«, entgegnet er.

Beinahe bin ich etwas enttäuscht. In mir schlummerte irgendwie die bescheuerte Hoffnung, es hätte was mit mir zu tun. Aber für ihn war dieser Kuss vermutlich nicht mehr als ein peinliches Erlebnis, das er so schnell wie möglich wieder vergessen will.

»Ihr habt es jetzt doch schon so weit geschafft«, kommt es aufmunternd von mir.

»Aber jetzt kommt doch erst der heikle Teil der ganzen Sache«, meint er stirnrunzelnd.

»Und der wäre?«

»Die Umsetzung.«

»Was, echt jetzt?«, hake ich etwas verwirrt nach.

Er sieht mich mit seinen Augen an, die dieselbe Farbe wie das Wasser des Pools haben. »Ja, jetzt bekommen wir das Geld für unsere Versuche. Die haben in uns investiert, damit wir Ergebnisse liefern.« Und ich sehe es in diesen Augen, er will die Auszeichnung der Uni um jeden Preis.

»Ihr werdet sie nicht enttäuschen«, versichere ich ihm und lächle.

Noah seufzt. »Bei Lucas' ‚fabelhaften Ideen'«, er malt unsichtbare Gänsefüßchen in die Luft, »bin ich mir da nicht so sicher.«

»Und warum, wenn ich fragen darf?«, bohre ich nach und mein Gesichtsausdruck verfinstert sich augenblicklich. Will er Lucas jetzt etwa schlecht machen?

FilmdosensommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt