Ich sitze in der Bahn und lehne meinen Kopf an die kühle Scheibe des Fensters, doch schon im nächsten Moment wende ich mein Gesicht angewidert ab, denn ich weiß ja nicht wer hier schon alles seine verschwitzte Haut gekühlt hat. Mein Blick richtet sich weiter stur nach draußen, ich beobachtete die Kinder die lachend über die Straße tanzten und ich wünschte mir ich könnte ebenso sorglos und unbeschwert über das unebene Pflaster hüpfen. Seufzend schloss ich die Augen und atmete auf- lehnte wider besseren Wissens den Kopf an die Scheibe und fühlte mich einfach nur erschöpft. DIe Erschöpfung, die einen befällt, wenn man einen schweren Tag hinter sich hat und sich schon auf seinen Feierabend, die Ruhe zuhause und das eigene Bett freut. Genau dieses Gefühl machte sich in mir breit. Als ich meine Augen wieder öffnete dämmerte es bereits. Wie konnte das denn sein? Hektisch fuhr mein Kopf zum Ausgang herum und ich bemerkte, dass die Bahn gerade hielt. Ich sprang auf um erstmal rauszukommen. Völlig egal wo ich war. Das war natürlich total sinnlos, denn es wäre ja besser weiterzufahren, bis man wieder wusste wo man war, aber es war eine Art Übersprunghandlung. Ich dachte einfach nicht nach. Wie war das noch: Erst denken, dann handeln? Aber ich erreichte, trotz meines bühnenreifen Hechtsprunges, die Tür nicht mehr. Dafür trat mir eine Gestalt entgegen, die gerade hereingekommen war und ich fiel ihr (oder ihm?) regelrecht in die Arme.
"Huch!", machte ich erschrocken, ein Reflex. Die Gestalt trug eine schwarze Kapuze. Doch ich fand sie nicht gruselig, ehr...mysteriös. Als kleines Kind hatte ich diese Kapuzen sowas von toll und cool gefunden, dass ich mich auch jetzt nicht vor ihnen fürchtete. Die Gestalt war einen halben Kopf größer als ich und ich konnte nicht in das Gesicht sehen. Falsch, ich konnte schon, aber ich durfte nicht! Es war, als hielte mich eine unsichtbare Macht davon ab. Als gäbe es ein Gesetz, dass besagte, ich dürfe ihn nicht ansehen. Also doch ein er? Die breiten Schultern und die Tatsache das die Person vor mir keinerlei Brüste oder ähnliches hatte verriert mir, dass es entweder eine Frau mit Hormonmangel oder ein Mann war. Dem Geruch des Deos, oder auch Aftershaves- whatever- zufolge eindeutig zweiteres. Ein Mann also, aha.
Er hielt mich im ersten Reflex fest und ließ mich auch nicht los, als die Bahn sich wieder in Bewegung setzte und wir fuhren. Allmählich wurde mir unbehaglich zumute. Ich fühlte mich schrecklich entspannt an seiner Brust und ich spürte wie er mich langsam, aber sicher näher an sich zog, ja ich bildete mir sogar ein die Muskeln zu fühlen die unter seinem Sweatshirt spielten. Unwillig schüttelte ich den Kopf um das Gefühl der Schläfrigkeit loszuwerden. Mein erster Gedanke war: Ich versinke! ich versinke und komme nie wieder aus diesem Loch der Schwerelosigkeit und des unbeschreiblich wundervollen Geruches heraus. Gerade eben bin ich doch schon eingeschlafen, ich kann mir das jetzt nicht leisten, nicht bei einem Fremden!
Aber er entspannt mich. Und da ist eine leise Stimme an meinem Ohr. Ein Hauchen. Ganz sanft und vorsichtig, nicht mehr als ein Windhauch. Unscheinbar, aber präsent. Wirklich da eben. Ich spüre einen kühlen Atem der auf meinen Nacken trifft und daran zerschellt. Ich merke, dass mein Herz sich nicht entscheiden kann ob es schneller schlagen soll, aufgeregt, wegen der plötzlichen Nähe und all dem, oder langsamer, weil es einfach zur Ruhe kam. Ich fing, vielleicht wegen dieser seltsamen Irritation, an zu zittern.
"Hör mir zu, hey, ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber bitte versuch dich zu konzentrieren, hör mir zu!", sagte die Stimme sanft und weich, seicht...so unglaublich ruhig, bestimmt und...zärtlich??! Nein, bestimmt nicht, ich wusste gar nichts, nichts über die Person in dessen Armen ich lag und auch nichts darüber wie er dieses Gefühl in mir rauslösen konnte. Als Zeichen, dass ich zuhörte nickte ich leicht.
"Gut, wenn ich jetzt sage musst du dich an mir festhalten, ganz fest, verstehst du?" Ich zögerte. Natürlich verstand ich und ich hatte im Moment keinen sehnlichereren Wunsch als dieser Stimme zu gehorchen, ihm zu gehorchen. Ich weiß. dass war nicht richtig, nicht korrekt, da lief was ganz und gar nicht richtig, aber ich hatte keine Angst, es lag etwas in der Luft oder vielleicht lag es auch an meiner Stimmung, dass ich ihm keinerlei Übel zutraun konnte, dass ich nicht wusste wie von ihm auch nur irgendeine Gefahr ausgehen sollte. Mit einem leisen Brummen hielt ich mich noch stärker an ihm fest. Er lachte leise. Oh, wie hypnotisch.
"Ich hab doch noch gar nicht "jetzt" gesagt!", widersprach er. Aber dann schien er sich anzuspannen und in eine Art Gefechtshaltung zu verfallen. Bestimmt spannten sich gerade seine Gesichtszüge an. Unwillkürlich bereute ich, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Was ging hier vor sich? Im nächsten Moment hörte ich ein schrilles Kreischen, wie als träfen Fingernägel auf eine Tafel, nur tausendmal stärker. Es war schrecklich und jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Jermand schrie und irgendwo plärrte ein Kind. Doch das war nicht alles, denn schon im nächsten Moment ruckte die Bahn und ich klammerte mich verzweifelt an ihm fest. Panik kroch in mir auf. Ich wusste nicht was hier geschah, ich hatte ja nicht die geringste Ahnung was nun geschehen würde. Er offenbar schon, denn gerade, als die Bahn schlitterte und es so aussah als hätte der Fahrer keine Kontrolle mehr über den Wagen rief er, dicht neben meinem Ohr:
"Jetzt!" und ich vergrub meine Fingernägel in seinen Schulterblättern. Völlig egal, ob es ihm Schmerzen zufügte, völlig egal, wie peinlich mir das in ein paar Stunden sein würde, aber ich tat es und meine Augen waren vor Schreck geweitet, als die Bahn kippte und er sich einfach an der Stange festhielt. So als wäre das alles ganz normal. Die anderen Fahrgäste flogen längst herum, hatten keine Kraft mehr. Ich bekam Magenschmerzen, als ich mir ausmalte was alles passieren konnte. Mit der anderen Hand umschloss er mich ganz und hielt mich fest. Wie konnte es so leicht aussehen, den Kräften der Schwerkraft zu widerstehen? Ich hatte riesige Angst und sichtliche Mühe mich an ihm zu halten.. Gerade als die Bahn auf ihrem höchsten Punkt angekommen war, so fiel, dass sie fast ganz auf der Seite lag, konnte ich nicht mehr. Mein eigenes Gewicht auf die Arme fixiert zu halten schaffte ich nicht länger und ich spürte zur gleichen Zeit, wie auch er mich losließ. Als beeinflussten meine Kräfte seine. Und ich fiel nach unten. Auf die andere Seite zu, wie konnte ich nur so lange fallen? Der Weg war doch viel kürzer!? Es hätte nur Sekunden, wenige Sekunden dauern dürfen, aber ich bemerkte überscharf wie unsere Körper einander entließen, ich fiel und er mir erneut einen Blick zuwarf. Zumindest nahm ich das an, denn seine Kapuze blickte frei gerade aus, genau auf mich und er flüsterte, fast schon bedauernd:
"Schade, aber ich ahnte es ja bereits."
Ich fiel weiter. Und weiter. Die Bahn schlug hart auf dem Boden auf. Das Glas sprang mit einem seltsamen Geräusch aus dem Rahmen und Glasstückchen verteilten sich im ganzen Raum. Die Menschen schrien, wo kamen die eigentlich alle her? Waren wir nicht bis eben noch allein gewesen oder hatte ich mir das nur eingebildet? Schmerzensschreie und ich fiel noch immer. Und ich fühlte mich enttäuscht und traurig und unsicher, aber nicht, weil ich gleich sterben würde, sondern weil er mich hatte retten wollen und ich zu schwach gewesen war um diese Hilfe anzunehmen, weil er von mir enttäuscht war.
Die Luft blieb mir weg, ich konnte nicht mehr atmen, hatte ich es verlernt oder nur vergessen? Ein ungeheurer Druck presste gegen meinen Brustkorb und verwehrte mir jegliche Chance Luft in meine Lungen zu lassen. Ich konnte nicht-
verdammt, die Sinne schwanden mir und ich konnte nichts dagegen tun. Ich sah wie der Unbekannte seine Kapuze absetzte, aber ich sah sein Gesicht nicht mehr, denn in dem Moment wurde mir schwarz vor Augen.
Und auch ich schrie, immer noch, weshalb ich vielleicht keine Luft hatte zum atmen, weil meine Lungen anderweitig beschäftigt waren, und mein Schrei endete erst, als ich aufschreckte und an der Stelle an der der scharfe Schmerz mein Bewusstsein hätte zersplittern sollen, ich mich in meinem Bett schweißgebadet aufsetzte.
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Eisblumen
Mystery / ThrillerDie junge Hayley hat eine ausgezeichnete Erziehung genossen, lebt ihr Leben und lernt schon in jungen Jahren einen Menschen kennen, fern ab von jeglicher ihr bekannten Welt. Sie ist fasziniert von dem Leben ohne Regeln und ihrem neuen Freund. Als si...