2. Vergangenheitsflüstern

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                                     Vor 10 Jahren

Ich war mit meinen Freunden auf dem Rummel und fuhr mit einem Karussell nach dem anderen. Der Tag war sonnig und heiß. Ich lachte und kreischte bei dem Jaguarkarussell und fuhr gleich dreimal in der Ente, was  ein Wasser-Karussell war. Da wir schon früh da waren hatten wir den Platz fast ganz für uns, doch nachmittag wurden es immer mehr Menschen, bis wir das Gefühl hatten die halbe Stadt sei da. Aber der kleine Rummelplatz lockte gerade im Sommer auch viele Touristen an, da es einige Attraktionen mit Wasser gab, die bei dieser Jahreszeit ja besondere Wertschtäzung fanden. Es wurde als immer voller und wir mussten lange anstehen und all die Dinge, die man eben nicht so gern macht, aber nun mal tun muss, wenn es sehr voll ist und viele Menschen auf einem Platz waren. Ich folgte meinen Freunden durch die Menge und schaute nur einen Moment zu einer kleinen Wasserbombenschlacht, die nur wenige Meter neben mir stattfand, dann war die Hand meiner Freundin, die meine bisher gehalten hatte verschwunden und sie konnte mich nicht weiter durch die Menschenmassen schleifen. Ich blieb verzweifelt stehen, kam mir plötzlich ziemlich klein und hilflos vor, wie ich da stand, als sechsjährige, zu den Erwachsenen aufschauend und die vielen Stände bewundernd. Um mich herum waren sehr viele Menschen, aber ich fühlte mich trotzdem allein, in mir kroch eine kleine Panik auf, ich hatte die törichte Angst nie wider nachhause zurück zu finden, obwohl ich auf diesem Rummelplatz nun wirklich niemanden großartig verlieren konnte. Ich fand mich also mit der Situation ab und beobachtete weiter die Wasserbombenschlacht, bis ich weiterging an einen Eisstand und in meinem Rücken plötzlich einen seltsamen Blcik spürte. Ich drehte mich um und erblickte einen Jungen, nicht viel älter als ich, der mich groß ansah. Als ich ihm direkt in die grünen Augen sah, sah er nicht weg, sondern erwiederte meinen Blick freimütig. Verwundert starrte ich ihn an und war etwas fasziniert von diesen klaren stechenden Augen. Doch als  er näher kam stockte mein Herz kurz. Ich spürte eine Art Unheil die sich in mir breit machte. Mama hatte gesagt ich sollte nicht mit Fremden reden. Sie hatte gesagt ich solle wegrennen, wenn mich ein Fremder auf der Straße anspricht und das hatte er ganz sicher vor. Aber warum sah er dann gar ncith gefährlich aus? Keine abgerissenen Kleider, kein Messer, keine Tatoos, keine Bierflasche in der Hand, nichts was mich daraufhinwies: Achtung, der ist böse! Das verwunderte mich etwas, also lief ich nicht weg als der Fremde näher kam, sondern machte nur einen Schritt zurück. Er lächelte mich an.

"Na, hallo! Was machst du denn hier?", die helle Jungenstimme klang freundlich, was mich beruhigte.

"Ich fahre ein bisschen Karussell und du?" Er hob eine Augenbraue, als sei das total doof, was mich ärgerte, da ich stolz war, dass ich ohne meien Eltern hier sein durfte und nur mit meinen Freunden draußen sein. Da fühlte ich mich älter und cooler, das machten alle so!

"Das ist doch kindisch!", bemerkte er abwertend und puhlte an seinen Nägeln rum.

"Wieso kindisch?!", fuhr ich ihn an.

"Naja...", versetzte er, "das kann man doch jeden Tag machen..." Empört schnappte ich nach Luft, das war ja der Gipfel der Unverschämtheit!

"Ach so, na dann sag doch was besseres, wenn dir was einfällt!", meinte ich sauer. Er grinste vielsagend.

"Ich wüsste schon was besseres", erklärte er beiläufig, "aber das ist sicher nichts für solche Hosenschisser wie dich..." er sah mich erneut an und ich erschrack vor der Intensität des Blickes.

"Warum nicht?", wollte ich wissen, um nicht als dummes kleines Mädchen dazu stehen. Er lachte gehässig, was mich ärgerte.

"Na komm, sag schon!"

"Also fein. Wir könnten über den Zaun dorthinten klettern und auf der anderen Seite spielen." Zweifelnd sah ich ihn an. Und das sollte so toll sein? Wider lachte er.

"Ich wusste ja gleich das solche Mädchen wie du sich sowas nich traun!" Erbost stapfte ich zu dem Zaun und schwang mich hinüber. Damals war ich noch nicht sonderlich geübt im klettern gewesen und so dauerte es wohl Minuten bis ich den Zaun mit meinem Kleid bewzungen hatte. Als ich auf der anderen Seite stand staunte der Junge offenbar nicht schlecht, doch als ich sah, dass er sich in einem ruck drüber zog stemmte ich wütend die Hände in die Hüften. Gab es etwas dass er ncith konnte? Doch irgendwie schien ich in seinem Ansehen gestiegen zu sein, denn er sah mich kurz bewundernd an, bevor er meinte: "Wer als erstes dorthinten bei den Baggern ist!"

Ohne groß darüber nachzudenken rannte ich los, rannte um schneller zu sein als er, rannte um die Wut aus mir rauszulassen und kam tatsächlich kurz vor ihm an. Und er hatte neue Ideen, was wir machen konnten und wir fanden aufeinmal viele, viele neue Sachen, die ich vorher immer als gefährlich oder gar verboten eingestuft hatte. Es machte mir Spass mit ihm zu spielen. Ich fühlte mich besser, besser angekommen in der Welt, weil er auf mich ziemlich toll und klug und cool wirkte und ich mich in seiner Gegenwart auch so fühlte. Am Ende des Tages, es war fast schon dunkel, als wir uns trennten waren wir fast schon Freunde geworden, was ja nichts heißen muss, bei Kinder in dem Alter. Doch ich wollte mich noch nicht von ihm verabschieden und fragte wann ich ihn denn widersehen würde. Er lachte, aber es klang nicht schön, sondern ehr hohl und meinte ich würde ihn widersehen wenn es so weit wäre. Ich fand diese Aussage auch ziemlich toll und genial, auch wenn ich sie von meinen Eltern kommend  hasste. 

Meine Eltern waren allerdings nicht sehr begeistert, denn ihnen standen Tränen in den Augen als ich zur Tür herein spazierte. Ich wunderte mich und wusste gar nicht warum es dieses Drama gab, bis ich erfuhr, dass die Eltern meiner Freundin bei ihnen angerufen hatten und mich sozusagen als vermisst gemeldet. Mama umarmte mich fest und lange und nuschelte in mein Ohr wie lieb sie mich habe und wie froh sie sei, dass mir nichts passiert war. Ganz gelassen erklärte ich ihnen von meinem schönen Tag und all den tollen Sachen die ich gemacht hatte. Mein Vater erstarrte und wurde ziemlich wütend und meine Mutter wirkte sehr beklommen, als sie mir mitteilte, ich dürfe ihn nicht wiedersehen, weil das alles nicht richtig sei. Mein kleines Kinderherz wurde mir schwer, weil ich feststellen musste, dass ich ihn mochte, sehr sogar und noch mehr kleine Abenteuer mit ihm unternehmen wollte.

Mürrisch verzog ich mich auf mein Zimmer und kam bis zum Abendessen nicht mehr raus, was für mich damals eine seeeeehr lange Zeit war und ich hatte das Gefühl meinen Eltern damit zu zeigen, dass ich das nicht mit mir machen ließ.

Zwei Wochen später tauchte der Junge in der Schule auf. Und ich fragte ihn verwundert, aber fröhlich, ob er denn Pause habe. Er schüttelte den Kopf und meinte er müsse nicht zur Schule gehen, was ich als Lüge abtat.  Schließlich weiß doch jeder, dass alle zur Schule müssen! Ich weiß nicht mehr, vielleicht habe ich es ihm auch geglaubt, einfach weil er er war und er keine Regeln kannte. Für ihn schien einfach alles möglich. Das war ja das Wunderbare.

Ab und an wurden wir bei unseren kleinen Streichen und Unsinnigkeiten erwischt, doch ich gab nie ihm die Schuld, wenn man uns Strafen aufbrummte oder ähnliches. Ich sagte mir einfach wir hätten diesmal Pech gehabt. In der Schule, er kam einige Wochen später nämlich auf unsere Schule mochte ihn keiner, das glaubte ich zumindest, bis ich herausfand, dass sie ihn fürchteten. Ja, die halbe Schule fürchtete und die andere Hälfte verachtete ihn. Ich konnte mir das nicht erklären und stand bei jeder Streiterei auf seiner Seite, half immer nur ihm.

Auch als sie mich dafür hänselten.

Auch als sie nun mich als Außenseiter sahen.

Und auch, als sie anfingen mich zu mobben.

EisblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt