4. Schattenspiele Teil 1

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Sein Blick ruhte nicht länger auf mir als nötig, was mich zutiefst verunsicherte. Hatte er mich etwa auch vergessen oder irrte ich mich gar ganz und mir gegenüber saß nicht mein Seelengefährte sondern ein völlig unwissender Junge??  Aber ein Blick in die regelrecht grellen Augen bestätigte mir, dass er es war. Ich dachte mir nur: Bitte, bitte, lass ihn verschwinden!

Keine Ahnung woher dieser plötzliche Impuls kam, nur das er stark war, das wusste ich. Aber er verschwand nicht und als unsere Lehrerin fragte wo er sich gern hinsetzen wollte (ja, den Bonus gab sie den Neuen immer, damit sie mit den Leuten, die sie auf Anhieb symphatisch fanden schneller Kontakte knüpfen konnten) meinte er, er wollte sich gern zu mir setzen. Die Blicke von 24 Mann ruhten auf mir, als der gutaussehende Schüler sich neben mir niederließ und lässig die Beine übereinanderschlug. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. 

Warum nur, warum?

So war ich wenigstens meine linke Nachbarin los, wofür ich seeehr dankbar war, aber warum ausgerechnet ER??? Im Unterricht sprach er kein Wort, wofür ich ihm ziemlich dankbar war, denn die Aufmerksamkeit jedes anwesenden Schülers, richtete sich ohnehin schon auf uns. Nach der Stunde, es war Pause,  folgte er mir zu meinem Spind, oh Wunder und lehnte sich an den benachbarten.

"Schön dich widerzusehen Hayley", verkündete er mit einem Lächeln in der Stimme von dem mir warm und kalt gleichzeitig wurde. Er hatte mich also doch nicht aus seinem Gedächtnis verbannt. Als ich aufsah blitzten seine Augen mich amüsiert an. Ich nickte, das konnte er auffassen wie er wollte und wollte an ihm vorbeieilen, als er mich am Arm festhielt.

Oh, wie dramatisch. Ich verdrehte die Augen und er neigte den Kopf zu mir runter. 

"Was ist?", wollte er wissen.     
"Nichts, aber ich würde mich freuen, wenn du mich jetzt durchlässt", meinte ich ruhig.

Ja, ruhig und beherrscht, so sollte man das machen.

Er guckte erst besorgt und grinste dann nach allen Regeln der Kunst. 
 "Ach ja, ist das so?" Er musterte mich ungeniert und sein Blick machte mich verlegen. Dann ließ er mich los und als ich aufatmend fast um die Ecke war meinte er noch:
 "Gut siehst du aus!"
 "Merci", flüsterte ich angesäuert, doch sein unverkennbares Gelächter erinnerte mich daran, dass er es wohl gehört haben musste.

EisblumenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt