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»Wie fühlst du dich?«, fragt mich Mike, während wir gemächlich durch LAs Straßen fahren.
»Eigentlich wie vor jedem anderen Casting auch«, gebe ich zu. »Aber frag mich nochmal, wenn es vorbei ist.«
Entgegen meiner Behauptung, wird das Vorsprechen heute nicht wie jedes andere. Selbst wenn es in einem fensterlosen Raum, mit hunderten Mädchen, die sich alle viel zu ähnlich sehen, stattfinden wird, genau wie jedes Casting meistens aufgebaut ist, wird für mich persönlich heute ein besonderer Tag: es ist das letzte Mal für mich.
Nachdem ich die Schule abgebrochen habe und den größten Teil meines Ersparten dafür ausgegeben habe, von Chicago nach Los Angeles ziehen zu können, habe ich nun beinahe drei Jahre erfolglos versucht, meinen großen Durchbruch als Schauspielerin zu schaffen - ganz offensichtlich erfolglos. Ich lebe in einer WG mit meinem besten Freund Mike und dessen Freundin, verdiene gerade genug Geld, um mich über Wasser zu halten, durchs Zeitungsaustragen und bin trotz meinen vielen Versuchen und meiner harten Arbeit, nur ein Teil der endlosen Menge aller jungen Frauen, die glauben, in Amerika all ihre Träume erfüllen zu können.
Schon länger habe ich eigentlich geplant, etwas an meinem Leben grundsätzlich zu ändern!
Ich möchte studieren und einen gut bezahlten Job, ich würde gerne meinen Führerschein machen und in eine eigene Wohnung ziehen.
Leider bedeutet das, meinen eigentlichen Berufswunsch aufzugeben und ihn dabei belassen, was er ist: ein Traum.
Es ist eine harte Entscheidung für mich gewesen und ich habe sehr lange mit Mike darüber geredet. Schließlich hat er mir vorgeschlagen, mit einem finalen Casting den Schlussstrich zu ziehen und dann weiter zu leben.
Bisher fühle ich mich noch ganz gut mit der Entscheidung, doch ich fürchte, dass mich in dem Moment, wenn ich vor dem Castingdirektor stehe und mit meinem Schauspiel die ganze Welt hinter mir lassen, die Nostalgie überrollen wird.
»Weißt du worum es in dem Film gehen wird?«, fragt Mike und biegt scharf um eine Kurve.
»Die Company wollte keine Informationen darüber rausgeben«, erkläre ich. »Anscheinend wird das ein größeres Projekt.«
»Oder ein Porno.«
Ich muss grinsen. »Oder das.«
Routinemäßig überprüfe ich mein MakeUp im Rückspiegel, streiche ein paar Falten auf meinem T-Shirt glatt und überfliege noch ein letztes Mal die kurze Szene, die ich für das Vorsprechen vorbereitet habe.
In all den letzten Jahren war ich bei hunderten von Castings, doch jetzt, da es auf das Ende zugeht, wird mir jede kleine Geste, noch einmal richtig bewusst.
»Ich glaube ich werde all das vermissen«, sage ich und drehe meinen Kopf leicht zum Fahrersitz.
»Das glaube ich dir, aber nur weil du einen schönen Lebensabschnitt hinter dir lässt, heißt das nicht, dass was jetzt auf dich zukommen wird, schlechter ist.«
Schweigend nicke ich und schließe die Augen, während der Fahrtwind meine Haare leicht durcheinander wirbeln lässt.
Das Wissen, dass ich auf dem College voraussichtlich nicht auf mich alleine gestellt sein werde, beruhigt mich. Mike ist schon seit mehreren Jahren dort und wird mir zumindest helfen können, mich einzugewöhnen.
Ohne richtigen Highscholl-Abschluss kann ich natürlich nicht auf Yale oder so hoffen, doch es gibt immer noch kleine Provinzcolleges, die mich aufnehmen würden.
Ich merke, wie das Auto langsamer wird und Mike schließlich ganz anhält.
»In etwa zwei Stunden bin ich wieder da, in Ordnung? Viel Glück.«
»Dankeschön, bis später. Und danke fürs Fahren.«
Das ›Viel Glück‹ war wohl mehr Gewohnheitssache. Uns ist beiden klar, dass ich die Rolle nicht kriegen werde und wahrscheinlich ist es auch das beste so. In ein paar Stunden wird für mich ein neues Leben anfangen und das wurde langsam wirklich auch mal Zeit.
Meine Absätze klackern auf dem geteerten Boden, als ich die Stufen erklimme. Ich gehe durch die Eingangstür, fahre mit dem Aufzug in den vierten Stock des Gebäudes.
Kaum öffnen sich die Türen, schlägt mir die typische Stimmung entgegen: schrille Stimmen, gestresstes Gemurmel, viel zu starker Parfümgeruch und stickige Luft.
Ein kleines Lächeln kann ich nicht unterdrücken, als ich den Fahrstuhl verlasse. Normalerweise wäre ich genervt von all dem, doch die Tatsache, dass ich dieser Welt bald entwachsen sein werde, macht es erträglicher.
Ich gehe zu dem kleinen Tisch, seitlich vom Eingang, hinter der eine Dame mit schmaler Brille sitzt.
Einen Moment bin ich überrascht von ihrer Erscheinung; trotz ihres fortgeschrittenen Alters ist sie ziemlich modern und teuer gekleidet. Zu ihren Füßen steht eine Tasche von Michael Kors, die sie allerdings unauffällig hinter sich schiebt, sobald ein Mädchen ihr zu nahe kommt. Von ihren Ohren baumeln auffällige, goldene Ohrringe und als ich direkt vor ihr stehe und sie sich aufrecht hinsetzt, erkenne ich einen Chanel-Gürtel um ihre Hüfte.
»Name?«, fragt sie spitz, ohne mich richtig anzusehen.
»April Collins«, antworte ich. Die Frau mag kühl rüberkommen, doch wenn ich eins in den letzten Jahren gelernt habe, dann dass man sich auf keinen Fall, von den Leuten beim Casting einschüchtern lassen sollte.
Mein Gegenüber überfliegt kurz eine Liste, hakt etwas ab und reicht mir dann einen kleinen Zettel mit einer Zahl. »Wenn deine Nummer aufgerufen wird, begibst du dich in das Zimmer gegenüber«, erklärt sie.
Kurz nicke ich, dann begebe ich mich zu den anderen Mädchen.
Alle scheinen etwa in meinem Alter. Die meisten haben glatte Haare - oftmals blond -, sind ungesund schlank und tragen High Heels.
Leicht neugierig sehe ich mich um. Da so ein großes Geheimnis um den Film gemacht wurde und die Dame am Empfang offensichtlich wohlhabend ist, könnte es gut sein, dass der ein oder andere Newcomer hier ist.
Meine Augen wandern umher, doch ich finde kein bekanntes Gesicht in der Menge.
Seufzend lasse ich mich auf einem der Stühle nieder, die für uns bereit stehen und gehe noch einmal meinen Text durch. Ich könnte jeden Moment aufgerufen werden, da sollte ich vorbereitet sein.

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