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Die Wolke, auf der wir uns noch Sekunden bevor befunden haben, wird eingeschnitten und wir fallen unsanft zurück auf den Erdboden.
Fast augenblicklich lässt Noe mich los und wendet sich um. »Mein Vater möchte mich sprechen?«
Langsam hebe auch ich meinen Kopf und sehe den Mann vor uns gerade noch nicken.
Reflexartig greift Noe nach meiner Hand. Sein Griff ist beinahe schraubstockartig und ich muss die Zähne zusammenbeißen, um mir nichts anmerken zu lassen.
Trotz dieser Geste der Panik, spricht Noe voller Selbstvertrauen zu dem Herrn. »Führen Sie uns zu ihm.«
Eine kleine Verbeugung wird angedeutet, dann dreht der Mann sich um und führt uns durch die Menge der Tanzenden.
Nicht eine Sekunde lässt mein Partner meine Hand los, doch ansehen tut er mich leider nicht mehr.
Noch immer fühlt es sich an, als würde sein frischer Atem meine Haut kitzeln und als wären seine Lippen so nah an meinen, dass elektrische Spannung entsteht. Für die Fotografen mag es ausgesehen haben, wie ein Kuss, doch ich wusste es besser.
Wir werden in Richtung des Orchesters gebracht, wo sich eine kleine Tür befindet, die bisher noch niemandem aufgefallen ist.
Der Angestellte macht gerade Anstalten zu klopfen, als sich der Eingang schon öffnet und ein Mann heraustritt. Ich erkenne sein Gesicht sofort. Arthur Glen.
Ganz offensichtlich hat sein Sohn seine Größe und die breiten Schultern von ihm geerbt, doch die Haare meines Gegenüber sind sehr viel dunkler, als Noes.
Dennoch macht der selbstbewusste Gesichtsausdruck, mit einem Hauch von Überheblichkeit und Macht unverkennbar, dass die beiden zusammen gehören.
»Dad.« Mein Partner tritt auf seinen Vater zu und zum ersten Mal sehe ich, dass er tatsächlich eingeschüchtert ist. »Darf ich dir April Collins vorstellen?«
Sanft zieht er mich ein Stück nach vorne und ich strecke meine Hand aus. »Freut mich sehr Sie kennenzulernen, Mr Glen.«
Zu meiner Überraschung wird meine Hand nicht geschüttelt, sondern nur zart ergriffen und kurz geküsst.
»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Collins.«
Nur eine Sekunde sieht er mich mit seinen eisblauen Augen an, die seinem Sohn so ähneln, dann wendet er sich schon wieder an Noe. »Hättest du einen Moment Zeit? Ich denke es gibt einiges nachzuholen.«
»Selbstverständlich.« Zögerlich sieht er zu mir. »Kommst du zurecht?«, fragt er leise, woraufhin ich nur mit einem Nicken antworte.
Mir ist nicht unbedingt wohl bei dem Gedanken, mich alleine in einem Ballsaal voller unbekannter zu befinden, doch ich hatte noch nie große Probleme mich mit anderen Menschen zu unterhalten.
Noch ein letztes Mal drückt Noe meine Hand leicht, dann folgt er seinem Vater durch die Tür und lässt mich alleine auf der Tanzfläche zurück.
Augenblicklich fühle ich mich unglaublich verloren.
Mein Blick gleitet über glückliche Paare, Anzugträger, die wichtige Businessgespräche führen und alte Freunde die miteinander lachen.
Um wenigstens etwas zu tun zu haben, mache ich mich in Richtung Buffet auf.
So edel der lange Tisch aus der Ferne auch aussieht, desto enttäuschend ist das tatsächliche Angebot.
Die teuren Delikatessen sind zumeist nur in Form von kleinen Häppchen zu finden und nichts davon verspricht, meinen Hunger zu stillen. Leise seufzend nehme ich mir etwas von dem Kaviar und gebe mich vorerst damit zufrieden.
»April Collins?«, höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir.
Mit einem Hauch Überraschung drehe ich mich um. Es ist lange her, dass ich meinen Namen ohne direkte Verbindung zu Noe Glen gehört habe.
Hinter mir steht ein mittelalter Mann mit Halbglatze. Höflich streckt er mir die Hand hin. »Mein Name ist-«
»-Adam Hudson«, beende ich den Satz, beinahe ehrfürchtig.
Amüsiert lächelt mein Gegenüber. »Freut mich zu hören, dass ich Ihnen anscheinend schon bekannt bin.«
Wie könnte er das nicht sein? Er ist einer der größten Regisseure aktuell und ich habe so gut wie alle seiner Filme gesehen.
»I-ich hätte Sie nicht bei einem Event wie diesem erwartet«, gebe ich stotternd zu.
Adam Hudson hat mich angesprochen! Er steht vor mir, ich kann tatsächlich mit ihm reden. Die Situation ist mehr als unwirklich.
»Gilmon&Glen plant eine Produktplatzierung in einem kommenden Film von mir«, erklärt Mr Hudson höflich. »Eigentlich hatte ich auch nicht unbedingt geplant, hier zu erscheinen, doch ich tue alles für meine alte Freundin, Sierra.«
Obwohl ich mir eigentlich schon gedacht habe, dass die Managerin dahinter steckt, bin ich ein wenig enttäuscht, dass er mich nicht aus freien Stücken angesprochen hat.
Immerhin bedeutet das, ich habe an Noes Seite bisher einen guten Job gemacht.
»Sie hat mir erklärt, Sie wären ein echtes, unentdecktes Talent und ich dachte mir, ich würde mich selbst gerne davon überzeugen.«
Allmählich werde ich hellhöriger.
»Es wäre mir eine Freude«, sage ich leise und flehe innerlich, dass er mir eine Chance gibt. In einem seiner Filme mitspielen zu dürfen, wäre die größte Ehre überhaupt für mich.
»Es handelt sich um eine sehr komplexe Rolle; ein traumatisiertes Mädchen mit Wahnvorstellungen. Zwar handelt sich lediglich um einen Nebencharakter in dem Projekt, aber es liegt mir persönlich sehr am Herzen, dass wir eine gute Besetzung dafür finden.« Ernst sieht er mir in die Augen. »In drei Wochen wird ein öffentliches Casting stattfinden - es sei denn, ich werde davor von jemandem überzeugt.«
Mit bleibt beinahe der Atem weg. Er meint tatsächlich mich! Die Chance, auf die ich so lange gewartet habe, steht genau in diesem Augenblick direkt vor mir.
»Ich würde mich liebend gerne zur Verfügung stellen«, sage ich hastig und verschütte vor Nervosität beinahe etwas von meinem Kaviar.
»Sehr schön.« Er reicht mir eine Karte. »Ich hoffe Sie haben am 11.06. noch nichts vor, denn ich würde nur zu gerne eine Kostprobe Ihrer Kunst sehen.«
Er nickt mir höflich zu und wendet sich dann ab. Ich werde mit offenem Mund und klopfendem Herzen zurück gelassen.
Noch bevor ich mich wieder richtig in die Realität zurück sinken lassen kann, spüre ich plötzlich zwei Arme, die sich von hinten um mich legen.
Abrupt zucke ich zusammen und fahre herum.
»Hey, hey, bring mich nicht direkt um.« Noes Gesicht spiegelt eine Mischung aus Schreck und Belustigung wieder.
»Tut mir leid«, sage ich und muss selbst leise lachen. »Ich hätte nur nicht erwartet, dass du so schnell wieder zurück bist.«
»Mein Vater meinte es wäre unhöflich meine Freundin warten zu lassen, also haben wir uns für den 11.06. in meinem alten Zuhause verabredet.«
Noch immer weicht das Lächeln nicht von meinem Gesicht und ein Teil von mir ist sicher, dass das auch heute den ganzen Tag so bleiben wird.
»Dann haben wir wohl beide ziemlich wichtige Pläne für diesen Tag.« Ich fasse die Konversation, welche ich in seiner Abwesenheit hatte kurz zusammen.
»Glückwunsch«, sagt er lächelnd und legt beide Arme um meine Hüfte. »Du verdienst es dir wirklich.«
Auch wenn ich nicht weiß, was genau er mit seinem Vater besprochen hat, wirkt er glücklicher als je zuvor. Anscheinend hat er wieder Grund zur Annahme, in die schützenden Arme seiner Familie zurück kehren zu dürfen. Die Last, die er die letzten sechs Monate tragen musste, erscheint ihm auf einmal viel leichter.
»Komm, wir sollten wieder tanzen gehen«, lächelnd nimmt er meine Hand und zieht mich in Richtung Tanzfläche. »Die Fotografen sind bald weg und wir sollten ihnen genügend Gelegenheit geben, uns abzulichten.«
Mit einem leisen Lachen folge ich ihm. Er hat Recht, wir können später noch reden, doch aktuell ist der ideale Moment, um den Ball zu genießen.
Innerhalb weniger Sekunden, befinden wir uns wieder eng umschlungen zwischen den anderen Paaren.
Unsere Schritte sitzen perfekt, unsere Körper scheinen füreinander geschaffen zu sein. Seine Hände halten mich sanft und doch sicher.
»Danke«, sagt er, dicht an meinem Ohr, damit ich es noch über die Musik hinweg hören kann.
»Wofür?« Ich lege den Kopf in den Nacken, um ihm richtig in die Augen sehen zu können.
»Ohne dich hätte ich niemals die Courage gefunden, diesen Ball tatsächlich zu betreten. Wahrscheinlich hätte ich mich bis ans Ende meiner Tage in der Villa versteckt und mir überlegt, was wäre wenn.«
Dies zuzugeben ist bestimmt nicht leicht für ihn. Nach wie vor scheint er sich an die Ehrlichkeit gewöhnen zu müssen.
Um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen nicke ich nur mit einem kleinen Lächeln.
Unsere Schritte lenken uns ein wenig weg von Orchester, sodass wir uns besser unterhalten können.
»Weißt du, wir sehen heute ziemlich gut aus.«
Amüsiert blicke ich ihn an. »Hättest du mir gesagt, dass ich heute gut aussehe, hätte ich sagen können: ›Du auch.‹«
Noe nutzt meinen zurückgelegten Kopf und kommt mir näher. Seine Hand gleitet von meiner Hüfte, über meinen Rücken, bis sie schließlich zärtlich meinen Nacken umschließt.
»Wahrlich tragisch, dass ich diese Chance verpasst habe.«
Wir stehen so nah beieinander, dass ich überzeugt bin, er kann mein heftiges Herzklopfen an seiner eigenen Brust spüren. Seine Nähe raubt mir den Atem und doch möchte ich keine Sekunde, dass der Moment endet.
Das Orchester beendet den aktuellen Song und wir beide bleiben stehen.
Obwohl wahrscheinlich genau in diesem Augenblick mehrere Kameras auf uns gerichtet sind, scheint die ganze Außernwelt auf einmal verschwommen.
Es fühlt sich an, wie die Fortsetzung von vorhin, nur dass ich dieses mal sicher bin, dass wir nicht unterbrochen werden.
Und dann spüre ich es endlich: Noes Lippen liegen auf meinen. Zuerst fühlt es sich nur an, wie ein leichtes Kitzeln, dann wird es immer intensiver und entschlossener. Ohne auch nur eine Millisekunde zu zögern, erwidere ich den Kuss ziehe ihn dabei so nah wie möglich an mich heran.
Bis zu dem Moment, in dem wir uns lösen, bleibt die Zeit förmlich stehen.
Ganz langsam trennen unsere Münder sich schließlich wieder. Fast parallel öffnen wir die Augen, sehen einander an und lächeln genauso gleichzeitig.
Kurz kommt der Gedanke in meinen Kopf, dass Noe alles nur für die Fotografen spielt. Er hat nie Andeutungen gemacht, dass er ähnliche Gefühle hat wie ich und er kann ziemlich überzeugend sein, wenn er der Öffentlichkeit etwas vermitteln möchte.
Doch dann schiebe ich es zur Seite. Ich möchte den Moment nach meinem ersten Kuss nicht mit Zweifeln und Ängsten verderben.
Das Orchester beginnt wieder zu spielen und automatisch setzen wir uns wieder in Bewegung. Nicht einen Moment wenden wir die Augen voneinander ab und keiner von uns beiden, kann aufhören zu lächeln.
Fast den ganzen Abend verbringen wir auf der Tanzfläche und es bleibt nicht bei einem Kuss.
Ich bekomme kaum mit, dass sich der Saal langsam leert, so sehr bin ich in meinen Partner vertieft.
Erst als wir mal wieder unsere Lippen voneinander lösen, bemerke ich aus dem Augenwinkel, dass kaum noch Menschen um uns herum sind.
Viel Zeit mich umzusehen haben ich trotzdem nicht, denn Noe zieht mein Kinn erneut zart an sich heran.
»Noe«, hauche ich leise. »Die Fotografen sind weg. Du musst nicht mehr-«
»Ich weiß«, antwortet er leise.
Dann küsst er mich erneut. Nicht für die Kameras, nicht für die Presse - er küsst mich, weil er es möchte.

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