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Nur wenige Sekunden später erscheint der Frackträger, dessen Name anscheinend Louis ist, und hält uns die Tür auf. Seine Geste ist höflich, aber bestimmt.
Vorsichtig werfe ich Noe einen Seitenblick zu, doch dieser starrt noch wie eingefroren auf die Stelle, an der sein Vater sich gerade noch befand.
Ich versuche seine Hand wieder zu ergreifen. Im ersten Moment will er sie wegziehen, doch ich verstärke nur meinen Griff und ziehe ihn in Richtung Ausgang.
Niemand von uns sagt ein Wort, als wir die Treppen hinunter gehen und schließlich im Foyer alleine gelassen werden.
Noe scheint es körperlich inzwischen wieder gut zu sehen, doch in seinen Augen steht mehr Schmerz, als ich es je zuvor gesehen habe. Er ist zu erschöpft er zu verbergen, sieht keinen Sinn mehr darin.
»Was hast du dir gedacht?«, frage ich leise und versuche Blickkontakt herzustellen. Die Frage ist kein Vorwurf - ich will einfach nur wissen, weshalb er es getan hat.
»Warum hast du mich hierher gebracht?«, stellt er grob eine Gegenfrage.
Augenblicklich fühle ich mich vor den Kopf gestoßen. Ich habe das private Vorsprechen - wahrscheinlich die größte Chance meines Lebens - verpasst, um sicher zu gehen, dass er heil hier ankommt und nicht vor seinem Vater zusammenbricht und er macht mir Vorwürfe?
»Ich- ich wollte nicht, dass du dashier nicht wahrnehmen kannst.«
Mein Ton ist noch sanft, ich versuche meinen Freund zu beruhigen, egal wie angreifend ich seine Worte interpretiere.
Doch die einzige Reaktion die er zeigt ist ein genervtes Augenrollen. Er tritt ein paar Schritte von mir weg, sichtlich erschöpft. »Du hast versucht es zu sabotieren. Dir war klar, dass er es bemerken würde.«
»Was?!« Fassungslos starre ich ihn an. »Ich soll versucht haben etwas zu sabotieren? Du warst es, der vorher unbedingt einen Joint rauchen musste!«
Verächtlich schnaubt er. »Ich muss mir deswegen keine Moralpredigt anhören. Du kannst dich nicht mal ansatzweise in meine Lage hinein versetzen!«
Reflexartig weiche ich zurück.
Was tut er?
Er wirkt so frustriert und hasserfüllt und scheint dies gerade an mir auslassen zu müssen. Sein Verhalten macht mir beinahe Angst - ich will ihn nicht verlieren. Doch gleichzeitig kann ich mir seine Worte nicht gefallen lassen.
»Hättest du deinen Vater jemals mit gebührendem Respekt behandelt, wärst du nie in diese Situation geraten, also versuch nicht die Schuld von dir abzulenken! Nach allem was du ihm verdankst-«
»Stop!« In Noes Augen brennt Wut, als er mich anstarrt. »Was willst du mir sagen?!«
»Ohne deinen Vater würde kein Mensch wissen, dass es dich überhaupt gibt! Deine Angestellten, deine Villa, deine Limousinen wären genauso unerreichbar wie deine Designeranzüge und du könntest dir wahrscheinlich noch nicht einmal all die Drogen leisten, die du gerne nehmen würdest!«
Diese Worte haben sehr lange unausgesprochene auf meiner Zunge gelastet.
Ich habe sie immer zurück gehalten - als ich ihn das erste Mal getroffen habe und er auf mich herab gesehen hat, als wäre ich Abschaum, als er mich vor dem Interview dafür beleidigt Träume zu haben, als wir im Auto über seinen Vater geredet haben.
Jedes mal habe ich diese Gedanken unausgesprochen gelassen, aus Angst, es wäre zu heftig. Doch jetzt habe ich genug. Ich muss mir nicht ständig seine lächerlichen Vorwürfe anhören, ohne ihm meine Meinung sagen zu dürfen. Nichts macht ihm zu etwas besserem!
Jetzt da die Worte tatsächlich ausgesprochen sind, sagt Noe nichts. Er starrt mich nur ungläubig an.
Hat sich noch nie jemand getraut ihm die Wahrheit zu sagen?
»Du hast keine Träume, keine Talente, keine Zukunftsvoraussichten«, fahre ich erbarmungslos fort. »Du verlässt sich ausschließlich auf das Geld von Daddy, huh? Ohne das Glück deiner Geburt, hättest du niemals etwas erreicht!«
Übertreibe ich?
Bin ich gemeiner als ich sein müsste?
Vielleicht.
Doch es wird nicht das schlechteste für Noe sein all das einmal zu hören.
Tatsächlich wirkt er einen Moment verletzt, doch schon in der nächsten Sekunde verbirgt er dies wieder unter seiner abstoßenden Maske aus Arroganz. »Oh bitte, erzähl mir nichts von Glück! Hättest du nicht rein zufällig diesen Job bekommen, würdest du jetzt nicht mit Markenklamotten in einer teuren Villa stehen, sondern dich vor der Kamera eines Pornoreggiseurs rekeln oder an der Poledancestange eines Stripclubs kleben. Du bist nicht mehr wert, als all die anderen Möchte-Gern-Schauspielerinnen, die Tag für Tag selbst bei den billigsten Castings versagen.«
»WIE BITTE?!« Es ist mir egal wer in diesem Haus unsere Streit mitbekommt. »WIE KANNST DU ES WAGEN?! ICH HABE HÄRTER FÜR MEINE KARRIERE GEARBEITET, ALS DU ES JEMALS IN DEINEM GANZEN LEBEN WIRST!«
»Oh bitte!« Bitter lachend wendet er sich ab. »Welche Karriere denn?«
»Nein«, fauche ich, packe ihn an der Schulter und drehe ihn unsanft wieder zu mir um. »Sag kein Wort mehr! Du hattest immer alles! Geld, Aussehen, Freunde, die Zuneigung deines Vaters und Berühmtheit! Du hättest etwas daraus machen können, dich würdig erweisen. Stattdessen verschleudert du alles, als hätte es keine Bedeutung für dich.
Wie dumm von mir zu denken, du würdest es mit deiner Freundin anders machen...«
Noch nie in meinem Leben war ich so wütend.
Die Hoffnung, die ich in ihn gesteckt habe, der Frust, nie erreichen zu können was ich wollte, der Schock, darüber was ich für ihn aufgegeben habe und der Schmerz, von ihm auch noch enttäuscht zu werden, sind zu einem brodelnden Vulkan zusammen geflossen, der nun mit voller Wucht ausbricht. Es ist mir egal, was ich zerstöre, hauptsache ich muss all das nicht mehr in mir halten.
»Tja, tut mir leid, dass ich Fehler gemacht habe, tut mir leid, dass ich ein Mensch bin und nicht der perfekte junge Mann, dessen Freundin zu sein wolltest!« Noes Hände sind zu Fäusten geballt, doch ehrlich gesagt würde es mich nicht mal mehr interessieren, wenn er gewalttätig werden würde. Nichts kann mehr weh tun, als das, was er mir gerade an den Kopf wirft. »Falls du es nicht gemerkt haben solltest, April, ich habe versucht Dinge zu verbessern - wieder gutzumachen! Du warst es, der mir diese Chance heute ruiniert hat!«
»Ich war für dich nie mehr als ein Werkzeug, nicht wahr?«, frage ich verächtlich. »Du hast mich nie geliebt - du hast gar keine Ahnung mehr wie das geht! Und versuch gar nicht erst, mich für die Sache mit deinem Vater verantwortlich zu machen, dass hast du dir allein selbst zuzuschulden. Wer weiß, vielleicht ist es besser so, dass er seinen wahren Sohn sieht-«
Ich breche ab, da mein Gegenüber einen bedrohlichen Schritt auf mich zumacht. Man kann ihm förmlich ansehen, dass er mich nur zu gerne schlagen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Gewaltausbruch hat.
»Rede nicht so mit mir!«, presst er beherrscht heraus.
»Warum nicht?!«, gebe ich spöttisch zurück. »Du hast mich anfangs auch nicht besser behandelt. Mrs Stryker und du; ihr habt mich verletzt und verunsichert, bis ich mich selbst kaum wieder erkannt habe. Hast du das überhaupt mitbekommen oder warst du zu beschäftigt deine eigenen Wunden zu lecken?«
»Was erwartest du?! Das wir uns vor einem Durchschnittsmädchen, das beinahe pleite ist und das kaum lebensfähig ist, verbeugen? Wenn du nicht mit Kritik umgehen kannst, werde nicht Schauspielerin!«
»Oh, du wünschtest du hättest mein Leben! Freunde, die sich um dich kümmern, ein Ziel, für das du bereit bist zu kämpfen und Stolz, auf jede Kleinigkeit die du erreichst. Wärst du nicht so süchtig nach Aufmerksamkeit, hättest du es vielleicht auch eines Tages haben können.«
»Anscheinend warst du aber mit Freuden bereit, all das umzutauschen, um Teil meines Lebens zu sein.«
Ich beiße mir auf die Lippe - ein wenig du heftig, denn sie fängt an zu bluten. Die Tatsache, dass er Recht hat sticht mir direkt ins Herz.
»Wärst du so glücklich mit deinem niedrigen Lebensstil gewesen, warum hast du dann versucht berühmt zu werden?«, fragt er.
»Ich wollte Bekanntheit, auf die ich stolz sein kann! Ich wollte es mir selbst erkämpfen, von unten nach ganz oben kommen.«
»Natürlich.« Er fährt sich mit einem mitleidigen Blick durch die Haare. »Deshalb hast du auch sofort Mrs Strykers Hilfe akzeptiert, als sie dir Adam Hudson vermittelt hat.«
»Das war ein Fehler.« Ich sehe ihn direkt an. »Aber offensichtlich nicht der einzige, den ich in den letzten Wochen gemacht habe.«
Als Noe realisiert, dass ich ihn meine, kann er seine Verletztheit nicht länger verbergen. »Du sagst ich hätte noch nie an einem Traum festgehalten? Was war dann unsere Beziehung? Uns beiden hätte von Anfang an klar sein müssen, dass etwas, was ihm mit einem Vertrag beginnt und zwei so gegensätzliche Menschen beinhaltet, niemals gut gehen kann. Zumindest weiß ich jetzt, warum ich es noch nie getan habe: Träume verwandeln sich schneller in Albträume, als du aufwachen kannst.«
Es überrascht mich, wie offen er seinen Schmerz zugibt, aber es hätte sowieso keinen Sinn, es vor mir zu verbergen. Ich weiß, dass er verletzt ist.
»Weißt du was?«, fragt er leise, ohne mir in die Augen zu sehen. »Es ist mir egal, was die Öffentlichkeit von mir denken wird. Soll die Presse doch schreiben und Journalisten sich das Maul zerreißen. Soll mein Vater sich doch jeden Tag mehr von mir distanzieren und sich nie wieder bei mir melden. Sollen meine einzigen Freunde doch Drogendealer sein.
Hauptsache ich muss nicht mehr an deiner Seite in die Kameras lächeln.«
Er schlägt mich nicht.
Ich schlage ihn
Seine Wange färbt sich rot und er hält seinen Kopf einen Moment zur Seite gedreht. Als er sich langsam wieder zu mir wendet, sehe ich ihn schon nicht mehr an.
Ich drehe mich um und gehe in Richtung der riesigen Eingangstür der Villa.
Während ich mit energischen Schritten aus dem Haus trete, kann ich nicht einmal mehr weinen. Ich bin fassungslos, von Schmerzen erfüllt und voller Unglauben.
Wie konnte ich mich so in Noe Glen täuschen?
Wie konnte ich ihn tatsächlich lieben?
Ich muss mir nicht über die Schulter sehen, um zu wissen, dass er mir nicht nachläuft.
Vielleicht kann ich das ausnutzen.
Ich steige in seine Limousine vor dem Tor und gebe dem Fahrer ein Zeichen, dass er losfahren soll.
»Zurück nach Westwood?«, werde ich gefragt, als er aufs Gaspedal drückt.
»Ja«, sage ich, schließe die Augen und lehne mich zurück. »Aber nicht zur Villa. Stundentenwohnheim, Le Conte Ave.«

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