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Am nächsten Morgen werde ich von dem penetranten Klingeln meines Handys geweckt. Ich muss mich kurz strecken und mir die Augen reiben, bevor ich im Stande bin den Anruf anzunehmen.
»Hallo?« Meine Stimme klingt noch etwas rau.
»Hey, wie geht es dir?«, ertönt Mikes Stimme am anderen Ende der Leitung und automatisch fühle ich mich etwas besser.
»Ganz okay«, antworte ich, während ich mich aufsetze und die Bettdecke um meinen nackten Körper schlinge.
Tatsächlich ist das nicht einmal gelogen. Der letzte Abend war heftig, allerdings bin ich weniger mitgenommen, als ich erwartet habe. Über Nacht habe ich etwas Abstand zu der Situation bekommen und ich fühle mich nicht mehr so verfolgt von dem Gefühl der lärmenden Fans, die mich bedrängt haben.
»Du und dein Lover sollten wohl etwas besser aufpassen in Zukunft. Ich kann dich wohl tatsächlich keine vierundzwanzig Stunden alleine lassen.« Sein Lachen dringt an mein Ohr.
»Was meinst du?«
»Hast du es noch nicht gesehen? Noe Glen und seine mysteriöse Begleiterin sind überall im Internet! Wahrscheinlich würden die ganzen Herausgeber der Klatschpresse aktuell dafür sterben rauszufinden wer du bist.«
Kurz muss ich grinsen. Es hat also tatsächlich funktioniert!
»Dann sollte ich wohl in Zukunft besser nett zu dir sein, bevor du entschließt mit der Enthüllung meiner Beziehung ein Vermögen zu verdienen.«
»Netter Gedanke, ich hatte eigentlich schon länger geplant mir einen neuen Computer zu kaufen.« An seiner Stimme kann ich hören, dass er grinst, bevor er wieder etwas ernster wird: »Aber du klingst nicht zu geschockt, dass man euch zusammen gesehen hat. Ich dachte ihr wolltet es privat halten.«
Kurz stockt mir der Atem.
War meine Reaktion verräterisch?
»Natürlich ist es nicht ideal«, sage ich rasch. »Aber Noe meinte, dass es früher oder später sowieso passieren würde. Die Leute reden vielleicht ein paar Wochen darüber, dann stürzen sie sich auf was anderes und ich bin wieder vergessen.«
»Okay, das klingt gut.«
Innerlich bin ich unfassbar dankbar dafür, dass Mike mir so blind vertraut. In den letzten Tagen habe ich nichts wirklich getan, um mir dies zu verdienen, doch im Moment brauche ich es mehr als jemals zuvor.
»Hör mal, ich habe einige Bilder und Videos von gestern Abend gesehen. Ich denke... ich habe etwas schnell über deinen Freund geurteilt. Er scheint ganz gut auf dich aufgepasst zu haben.«
Mir ist klar, dass er davon redet, wie Noe seine Arme um mich gelegt hat und vor den Paparazzi beschützt hat. Am letzten Abend war ich auch wirklich dankbar dafür, doch sobald die Tür der Limousine sich geschlossen hatte, war diese Version von ihm schon wieder verschwunden.
Umso weniger passt es mir, dass Mike jetzt anfängt ihn zu mögen. Es gibt niemanden, bei dem ich mich über Noe auskotzen könnte - es wird mich verrückt machen, wenn nicht wenigstens mein bester Freund sich an meiner Stelle über ihn aufregt.
»Er war sehr für mich da«, setze ich die endlose Lüge fort, die anscheinend jetzt mein Leben ist. »Als wir endlich die ganzen Leute los geworden sind und im Auto waren, hat er mich beruhigt und mir versprochen, dass wir in Zukunft besser aufpassen werden.«
»Das ist nett.« Die Worte sind bestimmt nicht leicht auszusprechen. Für lange Zeit war Mike der einzige, der sich um alles für mich gekümmert hat, immer für mich da war und sämtliche Verantwortung übernommen hat. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, wie ungewohnt die ganze Sache für ihn ist.
»Okay, es tut mir leid, abermeine Vorlesung fängt gleich an, ich muss jetzt gehen.«
»Kein Problem, grüß Kate von mir.«
»Mach ich. Und falls du heute mal Zeit hast schau dir unbedingt die ganzen Artikel im Internet an. Manche stellen so kreative Theorien auf, dass sie eher zu den Gebrüdern Grimm gehören könnten, als Journalisten zu sein.«
»Ich schau bei Gelegenheit vorbei.«
»Okay, ciao.«
»Bye.«
Kaum hat Mike aufgelegt fühle ich mich schon wieder einsam. Tatsächlich hatte ich einen ziemlich erholsamen Schlaf und fühle mich nun wieder mehr oder weniger bereit mein Zimmer zu verlassen.
Nach einer schnellen Dusche, dem Glätten meiner Haare und Zähneputzen muss ich feststellen, dass mein Kleiderzimmer - so umwerfend es auf den ersten Blick auch scheinen mag - ziemlich wenig für einen gemütlichen Tag Zuhause anbietet. Schließlich muss ich mich mit einer Jeans und einem engen Shirt zufrieden geben.
Als ich schließlich mein Zimmer aufschließe und auf den Flur trete ist es etwa 09:00.
Fast automatisch lenken meine Schritte mich in die einzige Richtung, welche ich kenne; das Foyer. Ich habe keine Ahnung wo ich hier Frühstück bekommen kann und allmählich knurrt mein Magen ziemlich.
Unwillkürlich bereue ich es, James nicht um eine Haustour gebeten zu haben.
Schließlich ist es der Geruch von frischen Pancakes und Toast, der mich in Richtung des Speisesaals lockt.
Eigentlich ist der Raum auch schwer zu übersehen - er streckt sich ewig, die Decke scheint endlos entfernt zu sein und genau in der Mitte ist ein Tisch, an dem mindestens hundert Menschen Platz finden würden. Kein einziger Platz ist gedeckt, abgesehen von einer kleinen Stelle am anderen Kopfende der Tafel.
Dort sitzt vollkommen alleine eine Person und trotz seiner arroganten Haltung und unberührten Miene wirkt er verloren.
Langsam nähere ich mich Noe.
Er hört meine Schritte mit Sicherheit, doch er blickt nicht auf.
Dicht bei ihm steht ein einzelner unbenutzter Teller - nicht direkt neben ihm, aber nah genug, um sich auch von den Lebensmitteln zu bedienen, die vor ihm stehen.
Auf seinem Teller liegt eine einzelne Scheibe Toast - mit nichts anderem bestrichen als Butter - und in seiner Hand hält er ein Glas Apfelsaft.
»Hey«, grüße ich ihn knapp, als ich mich zu ihm setze.
Eine Antwort erhalte ich nicht.
Anscheinend legt er keinen großen Wert auf eine morgendliche Konversation und lässt dabei auch sämtliche Höflichkeiten aus.
»Dein Apfelsaft riecht interessant«, sage ich leicht provokant. Ich könnte ihn auch einfach ignorieren, aber meine einzige Alternative um zu reden in diesem Haus wäre Sierra Stryker und sie ist ein noch größerer Albtraum als ihr Klient.
»Das könnte daran liegen, dass es Scotch ist.«
»Respekt.« Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »Die meisten würden kotzen wenn sie sich noch vor Mittag betrinken würden, aber du scheinst ganz gut damit zurecht zu kommen.«
»Glaub mir, ich vertrage einiges«, schnaubt er verächtlich.
»Was ist aus deiner Besserungsmission geworden? Du weißt schon, Drogenentzug, nette Freundin, weniger Alkoholkonsum...«
»Hast du Sierra gestern nicht zugehört? Es ist ihr vollkommen egal was innerhalb dieser vier Wände passiert, solange ich den Journalisten dort draußen den Quatsch erzähle, den sie hören wollen. Und wenn du die nette Freundin spielen willst, dann solltest du mich in Ruhe lassen.«
»Glaub es oder nicht, aber in dieser einen Sache sind wir gleichberechtigt. Ich muss nur in der Öffentlichkeit nett sein.«
»Kann ich mir bisher nicht vorstellen.«
»Du wirst überrascht sein.«
Leicht grinsend schiebe ich mir einen Pancake auf den Teller und greife nach dem Sirup. Trotz meiner tiefen Abneigung gegen Noe macht es in gewisser Weise Spaß, ihn zu provozieren.
Leider scheint er das genauso zu sehen, denn noch bevor ich auch nur einen Bissen essen kann, zieht er mir meinen Teller weg.
»Du solltest dringend deinen Diätplan einhalten. Wir wollen doch nicht, dass die Öffentlichkeit einen Makel an dir entdeckt, nicht wahr?«
Frustriert lehne ich mich zurück. »Wow, du könntest das mit dem nett sein auch mal ausprobieren.«
»Ich sehe gut aus, das reicht.«
»Tja, schwedische Psychologen haben herausgefunden, dass eine Person, die jemandem einmal täglich ein Kompliment macht, immer attraktiver wird.« Mit einem spöttischen Lächeln beuge ich mich vor und sehe ihn direkt an.
»Das ist Unsinn. Glaubst du ich weiß nicht, dass du dir das gerade ausgedacht hast?«, sagt er, ohne meinen Blick zu erwidern.
»Wäre möglich. Aber warum sollte man es nicht ausprobieren?«
Endlich hebt mein Gegenüber den Kopf und sieht mir in die Augen. »Du willst ein Kompliment? Schön. Ich war mir gestern ziemlich sicher, dass du umkippst, noch bevor wir die Limousine erreichen. Aber offensichtlich hast du es mit einer leichten Panikattacke überstanden.«
»Zu freundlich«, murmle ich sarkastisch. »Außerdem hatte ich keine Panik.«
Mit einem verächtlichen Schnauben schüttelt Noe den Kopf. »Natürlich nicht.« Er nimmt einen großen Schluck von seinem Scotch.
»Wie auch immer, es scheint offensichtlich wie eine Bombe eingeschlagen zu haben!«, rechtfertige ich mich, mit einem Hauch Trotz in der Stimme. Ein kleiner, verzweifelter Teil von mir, hofft zumindest ein paar lobende Worte von Mrs Stryker oder Noe zu hören.
»Ich habe mit nichts anderem gerechnet«, entgegnet mein Gegenüber leider nur und leert daraufhin den Rest seines Glases.
Die Art wie er trinkt erinnert mich unwillikürlich an einen Onkel von mir. Bei jedem Treffen, hat er immer irrational viele Gläser in kürzester Zeit geleert.
Meine Mutter war nie begeistert davon, wenn er mit meinem Bruder oder mir zu viel Zeit verbracht hat, doch wir waren immer total aufgeregt, wenn er angefangen hat zu erzählen. Seine Geschichten handelten von Bars und Prügeleien und endeten immer mit ihm als Held. Inzwischen ist mir klar, dass er total übertrieben haben muss, doch damals war er für mich der stärkste Mann der Welt.
Vor etwa drei Jahren ist er schließlich an einer Alkoholvergiftung gestorben, doch wäre er noch am Leben, würde ich ihn heute vermutlich mit den selben Augen ansehen, mit denen ich Noe betrachte; ich sehe nicht mehr, als einen arroganten Selbstdarsteller mit Alkoholproblem.
»Weißt du was-« Ich stehe auf, nehme den Obstteller mit und wende mich ab. »Ich werde in meinem Zimmer frühstücken.«
»Hey, ich will auch noch was von dem Obst«, protestiert Noe hinter mir, doch ich drehe mich nicht einmal um.
»Du kannst ja mal in die Küche gehen und schauen, ob du dank deinem guten Aussehen mehr bekommst«, rufe ich im Weggehen. »Nett nachfragen wird ja wohl nicht nötig sein.«
Ich verlasse den Saal und kicke mit der Ferse die Tür hinter mir zu.
Während ich die Treppen hochgehe, bin ich mir nicht einmal ganz sicher, ob der Junge, der mich gestern an sich heran gezogen hat, um mich sicher zur Limo zu bringen, wirklich Noe war.
Das ganze scheint nicht mehr als ein Spiel für ihn. Außerhalb dieses Hauses muss er den netten Sohn spielen, während er hier getrost seine wahre Persönlichkeit als Arschloch ausleben kann.
Für mich ist es anders. Ich brauche das Geld und die Kontakte, die Mrs Stryker mir geben kann.
Das Gute beim Schauspielern ist, dass man praktisch eine ganz andere Person ist. Man verlässt die wahre Welt und betritt einen Palast voller Möglichkeiten. Man sagt nicht nur den Text seiner Rolle - nein, man hat die Gedanken seiner Rolle, man empfindet die Gefühle seiner Rolle, man lebt das Leben seiner Rolle! Im Nachhinein lässt sich kaum sagen, wie es sich anfühlte - denn man war nicht man selbst.
Bisher kann ich mir nicht vorstellen vor einer Kamera so zu tun, als wäre ich hin und weg von Noe Glen, doch ich hoffe, dass es mit ihm genauso läuft, wie bei allen meinen Vorsprechen; sobald es an der Zeit ist, kann ich alles andere hinter mir lassen.
In meinem Zimmer angekommen stelle ich den Teller erstmal zur Seite und begebe mich in meinen Kleiderschrank.
Ich stelle mich vor den riesigen Spiegel und begutachte mich selbst. Prüfend kneife ich mir in die Hüfte.
Habe ich tatsächlich eine Diät nötig? 
Muss man meine Oberschenkel wirklich verbergen?
Und was stimmt mit meinem Becken nicht?
Ich würde es niemals zugeben, doch die Kommentare machen mir zu schaffen.
Normalerweise bekomme ich oft zu hören, dass ich schön schlank sei und eine hübsche Figur hätte, doch dashier ist etwas anderes, als die Welt der billigen Castings und möchtegern-Schauspielerinnen. Die Leute hier sind Profis! Sie kennen die High Society und die kritische Presse.
Unsicher ziehe ich mir das enge Shirt aus und ersetze es durch einen etwas weiteren Pulli.
Als ich zurück in mein Schlafzimmer komme, fällt mein Blick auf den Obstteller. Zwar habe ich noch immer Hunger, doch mein Appetit ist mir definitiv vergangen.
Vielleicht ist es gar nicht das schlechteste mal auf Mrs Stryker zu hören...
Wenigstens habe ich Noe um sein Obst beraubt.
Ich kippe das Essen weg und stelle den Teer zur Seite.
Erneut fällt mein Blick auf den Spiegel.
»Es war meine Entscheidung«, rechtfertige ich mich leise. »Ich habe das für mich entschieden. Die anderen haben mich nicht beeinflusst, sie haben mir nur einen kleinen Schubs gegeben.«
Und schon wieder muss ich mich vor mir selbst verteidigen - mich selbst anlügen.

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