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Was darauf folgt sind wahrscheinlich die stressigsten Stunden meines Lebens.
Noe und ich werden aus dem Studio der Late-Night-Show gezerrt und zurück zur Villa gefahren. Dort wird uns knapp gesagt, dass wir zehn Minuten haben, um Klamotten und Hygienemittel für drei Tage New York einzupacken. Auf die Minute genau werden wir auch wieder aus unseren Zimmern gerufen und förmlich in die Limousine gejagt.
Während wir zum Flughafen fahren, redet Mrs Stryker pausenlos von der Glam-Gala und was für eine große Ehre es für uns ist, dort eingeladen zu sein. Sie wirkt so stolz, als wäre sie selbst Ehrengast dort.
Am Flughafen erwarten uns schon vier breitgebaute Männer, die uns sofort umringen, als wir das Auto verlassen. Kurz bin ich verunsichert, doch dann wird mir klar, dass sie zu unserem Schutz hier sind.
Wir betreten das Gebäude und werden viel zu schnell von Fans erkannt. Erneut steigt wieder die Panik in mir auf, die ich nur zu gut kenne. Ich wünschte all die Menschen würden uns einfach in Ruhe lassen, uns nicht einmal ansehen, als wären wir normale Personen, genau wie sie.
Dennoch ist es dieses mal etwas besser, als das letzte mal. Sobald uns jemand zu nahe kommt, wird er von einem Bodyguard zurück gestoßen. Noe hält inzwischen wieder meine Hand und wir lassen uns in der sicheren Blase unserer Wächter durch den Flughafen führen.
Zum Glück müssen wir nicht die ganzen Sicherheitskontrollen durchlaufen, sondern werden von einem Mann in einen kleinen Seitenraum geführt.
»Wir werden Sie in wenigen Minuten zum Boarding abholen«, wird uns versprochen, dann verschwindet er wieder. Auch die Bodyguards verabschieden sich stumm. Anscheinend werden ihre Dienste von hier an nicht mehr gebraucht.
Gerade möchte ich mich auf einen der gepolsterten Stühle setzen und tief durchatmen, da beginnt Mrs Stryker wieder neu: »Ich habe hier Listen für euch beide. Da stehen sämtliche Promis drauf, die bei der Glam-Gala eingeladen sind. Lernt sie auf dem Flug auswendig und erspart uns somit allen eventuelle Peinlichkeiten auf dem roten Teppich.« Bei den letzten Worten wirft sie mir einen strengen Blick zu, was ich nur mit einem Augenrollen abtue.
Ein einziger Blick auf die Liste reicht, um zu wissen, dass ich tatsächlich auch den ganzen Flug dazu brauchen werde. Neben den kleinen Bildern der Stars steht nicht nur der Name, sondern auch der Grund für ihre Berühmtheit und diverse wissenswerte Fakten.
Zwar kenne ich viele der Leute, doch mir ist klar, dass Mrs Stryker mir an die Gurgel springen wird, wenn ich nicht brav alles auswendig lerne.
Kurz darauf werden wir von einer zierlichen Stewardess abgeholt, die uns durch eine leere Halle führt und schließlich den Weg zu einer Übergangsbrücke weist.
Offensichtlich sind wir die letzten die einsteigen.
Ich bin bisher nur einmal in meinem Leben geflogen und damals saß ich mit meiner ganzen Familie in der Economy Class. Die Sitze waren schmal und auf Dauer unbequem, das Essen war ungenießbar und der Service schlecht.
Doch dashier ist etwas ganz anderes...
Ich weiß nicht, ob ich etwas anderes erwartet habe, aber wir befinden uns in der luxuriösen Business Class. Wir haben endlos Platz, Sitze in denen man versinken kann, geräumige Tische und Champagner.
Im ersten Moment wird überwältigt, doch als Mrs Stryker hinter Noe und mir eintritt, wird mir klar, dass dieser Flug bestimmt nicht so angenehm wird, wie ich es gerne hätte.
Beinahe sechs Stunden lang befinden wir uns in der Luft und obwohl alles hier oben so groß ist, dass wir Fußball spielen könnten, habe ich das Gefühl nicht weit genug von Noe und seiner Managerin weg zu kommen.
Während ich mich fest angeschnallt in meinem Sitz befinde, patroulliert Sierra Stryker immer wieder an uns beiden vorbei und macht sicher, dass wir auch wirklich lernen.
Allmählich spüre ich, dass meine Augenlider schwer werden und mich Erschöpfung überkommt, doch ich wage es nicht, mir Schwäche ansehen zu lassen.
Als wir endlich aussteigen können, hoffe ich inständig, dass wir in ein Hotel gebracht werden und endlich etwas Schlaf bekommen können, doch nichts der gleichen passiert.
Noe und ich werden getrennt und ich werde in den Händen einer unbekannten Frau gelassen, die sich als Kaitlyn Palmer vorstellt.
In den nächsten zwei Stunden wird mir alles über den richtigen Gang und Blick auf dem roten Teppich beigebracht.
Ich versuche krampfhaft zuzuhören und ihre Anweisungen umzusetzen, doch meine Müdigkeit macht mich unkonzentriert und nicht mehr aufnahmefähig.
Draußen steht die Sonne mittlerweile hoch am Himmel und die finalen Vorbereitungen für die Gala werden getroffen.
Auf Nachfrage erklärt mein Coach mir, dass zuerst alle Promis auf den roten Teppich gehen und ein paar Interviews führen, danach gibt es ein großes Dinner, bei dem zwar keine Presse anwesend ist, aber Kontakte geknüpft werden sollen.
Normalerweise würde es unfassbar aufregend für mich klingen den ganzen Tag mit Berühmtheiten in einem Raum zu sein und mich auf gleicher Wellenlänge unterhalten zu können - wer weiß, vielleicht kann ich auf diese Weise auf Mrs Strykers Hilfe verzichten und kann meine eigenen Kontakte knüpfen - doch heute bin ich einfach nur erschöpft.
Warum muss in dieser Welt immer alles so schnell gehen und trotzdem perfekt sitzen?
Die Leute müssen doch durchdrehen...
Nachdem meine Vorbereitung auf den roten Teppich mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen ist, werde ich einen Raum weiter geschickt, wo ich endlich wieder ein bekanntes Gesicht erblicke.
»Laurel! Ich wusste nicht, dass du auch kommst.«
»Das wusste ich selbst bis vor ein paar Stunden noch nicht«, antwortet meine Stylistin und umarmt mich strahlend. »Ich bin vor einer halben Stunde hier angekommen. Aber was tut man nicht alles, um sein Küken in einen Schwan zu verwandeln.« Lächelnd streicht sie mir eine Strähne zurück und scheint mich in Gedanken schon umzustylen.
»Könntest du mir vielleicht eine kurze Pause geben?«, bitte ich sie leise. »Ich habe seit knapp 30 Stunden kein Auge mehr zu getan.«
»Kein Problem, Augenringe kann man überschminken.«
Sie scheint meine Bitte nicht mal richtig gehört zu haben, denn sie zieht mich schon zu einem vollen Kleiderständer.
»Unsere Auswahl ist groß und unsere Zeit klein, also fang lieber an anzuprobieren.«
Ich muss beinahe fünfzehn Kleider an und wieder ausziehen, bis Laurel sich schließlich mit einem zufrieden gibt.
Trotzdem soll ich vorerst nur einen Bademantel anziehen und mich vor den Spiegel setzen. Während sie meine Haare sorgfältig wäscht, föhnt und schließlich in eleganten Wellen über meine Schultern fallen lässt, habe ich zumindest ein wenig Zeit, runterzukommen.
Nichts würde ich im Moment lieber tun, als mich für ein paar Stunden in ein Bett zu legen und die Augen zuzumachen. Ich wette ich würde einschlafen, noch bevor meine Lider richtig geschlossen sind.
Als mein MakeUp gemacht wird, reißt Mrs Stryker die Tür auf und kommt mit großen Schritten herein.
Sie begutachtet Laurels Werk kritisch, nickt dann aber zufrieden. »Sehr schön. Die Oberschenkel sind versteckt und die Taille sieht annehmbar in dem Kleid aus. Sobald die Diät anschlägt können wir auch zu etwas kürzeren Sachen greifen.«
Genervt kneife ich die Lippen zusammen.
Eigentlich hat mir das bodenlange Kleid aus elfenhaften Tüll gut gefallen, bis ich diese Bemerkung gehört habe. Wie meistens lasse ich mir nicht ansehen, dass ich verletzt bin, doch in mir steigt eine unfassbare Wut auf.
Vielleicht ist es die Müdigkeit oder die Tatsache, dass ich endgültig genug habe, doch am liebsten würde ich aufstehen und der Managerin mit der Wimperntusche beide Augen ausstechen.
Plötzlich fällt mein Blick auf den Kleiderständer und ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.
Es gäbe eine weitaus effektivere Art, wie ich mich an ihr rächen könnte...

Etwa eine halbe Stunde bin ich vollständig fertig und werde nach draußen geführt.
Auf dem Flur werde ich bereits von Noe erwartet, der mit seinem eleganten Anzug und den makellos frisierten Haaren, perfekt an meine Seite zu passen scheint.
»Euer Auftritt ist in einer viertel Stunde«, teilt Mrs Stryker uns mit. »Ich komme euch gleich wieder abholen.«
Mit diesen Worten verschwindet sie.
Kaum ist sie um die Ecke, wende ich mich an Noe. »Ich hab etwas im Ankleideraum vergessen, ich bin gleich wieder da.«
Gleichgültig nickt der Angesprochene und ich verschwinde zurück in das Zimmer.

Zehn Minuten später wird die Tür von einer aufgebrachten Mrs Stryker aufgerissen.
»BIST DU IRRE, APRIL?! IHR MÜSST IN WENIGER MINUTEN DORT DRAUẞEN STEHEN UND DU-«
Abrupt bricht sie ab. »Was ist das?!« Ernsthaft geschockt starrt sie mich an.
Ich schenke ihr ein breites Lächeln, wende mich dann aber an Noe, der neben ihr steht. »Erkennst du es nicht? Du müsstest doch vertraut damit sein, da dein Daddy es gemacht hat.«
Er antwortet nicht, sondern betrachtet leicht grinsend das neongelbe Kleid, welches ich anhabe. Der grelle Stoff endet an der Hälfte meiner Oberschenkel und bringt meine, etwas breitere Taille nur zu deutlich zum Vorschein. Außerdem lassen die Spaghettiträger viel von meiner Haut sehen und präsentieren meine stämmigen Schultern praktisch auf dem Silbertablett.
Der Albtraum eines jeden Stylisten, der mich ansehen würde.
»D-das kannst du nicht tragen«, stößt Mrs Stryker mit zittriger Stimme aus und sieht mich mit kugelrunden Augen an. »Zieh das aus!«
»Sie sehen doch, dass ich das kann«, antworte ich spöttisch.
Es tut mehr als gut ihren panischen Gesichtsausdruck zu sehen.
Vielleicht wird die Presse das ein oder andere zu meckern haben, doch das ist es wert.
»Und jetzt halten Sie uns bitte nicht länger auf«, sage ich kalt und greife nach Noes Hand. »Wir müssen in wenigen Minuten auf den roten Teppich.«
Entschlossen ziehe ich meinen angeblichen Freund hinter mir her und lasse Mrs Stryker geschockt zurück.
»April!«, höre ich sie noch einmal rufen. »Geh in diesem Outfit da raus und ich schwöre dir, ich werde-«
»Sie werden was?«, spöttisch drehe ich mich um. »Mich feuern? Der Öffentlichkeit sagen, dass Noe und ich Schluss gemacht haben? Sie wissen genau, dass Sie das nicht können. Damit würden Sie dem Ruf Ihres Klienten nur noch mehr schaden. Ich bin unersetzbar für sie.«
Entschlossen wende ich mich ab und stolziere in Noes Begleitung weiter.
Während wir durch den Flur gehen, lacht dieser leise. Ich spüre, dass er in gewisser Weise beeindruckt ist und das befriedigt mich fast noch mehr, als Mrs Strykers Schock.
»Vielleicht kannte ich dich doch nicht so gut wie ich dachte«, höre ich ihn sagen, kurz bevor wir den roten Teppich betreten.
»Halt die Klappe und sei mein Accessoire«, antworte ich emotionslos.
Dann trete ich mit dem breitesten Lächeln in das Blickfeld sämtlicher Reporter.
Kaum sind wir zu sehen geht wildes Geschrei los und sämtliche Aufmerksamkeit richtet sich auf die Neuankömmlinge.
Lichtblitze blenden mich, doch ich laufe einfach weiter. Erst nach ein paar Schritten, gibt Noe mir ein unauffälliges Zeichen stehen zu bleiben.
Er legt den Arm um mich und gemeinsam lächeln wir für die Reporter.
Langsam verschwindet mein Adrenalinschub wieder und die Erschöpfung trifft mich heftiger als zuvor. Ich muss mich wirklich bemühen, nicht den Fokus zu verlieren.
Unauffällig stütze ich mich ein wenig mehr auf Noe, der mich augenblicklich fester hält.
Immer wieder drohen meine Augenlider zu schwer zu werden, um sie weiter offen zu halten, doch ich gebe alles um mich zu beherrschen.
Angestrengt versuche ich mir Kaitlyns Worte wieder ins Gedächtnis zu rufen.
»Die Schultern zurück, das Becken leicht nach vorne und immer darauf achten, dass die Augen mitlächeln. Aber vergiss niemals-«
Verdammt! Was sollte ich niemals vergessen?
Es muss etwas wichtiges gewesen sein, doch meine Erinnerung kann es nicht mehr erfassen und je mehr ich darüber nachdenke, desto weiter driftet es ab.
Noe gibt mir einen leichten Stups und ich zaubere eilig wieder ein Lächeln auf mein Gesicht.
Mein Körper fühlt sich viel zu erschöpft um Denken und Handeln gleichzeitig zu können.
Die Kamerablitze scheinen immer mehr zu werden und langsam zu einem einzigen blendenden Meer zu verschmelzen.
Die Konturen vor meinen Augen werden mit jeder Sekunde unscharfer und mir wird auf einmal ziemlich schwindlig.
Wann habe ich das letzte mal etwas gegessen?
Der ganze Stress hat mich meine Grundbedürfnisse vergessen lassen und ausgerechnet jetzt zahle ich den Preis.
»April«, flüstert Noe mahnend, so dicht an meinem Ohr, dass es kaum jemand hören kann.
Was will er mir sagen?
Ich verstehe seine Worte kaum und ehrlich gesagt will ich ihm auch nicht zuhören.
Die Absätze meiner hohen Schuhe scheinen auf einmal unsicher zu sein und ich beginne zu schwanken. Panisch versuche ich wieder mein Gleichgewicht zu finden, doch auf einmal entfällt mir, wo oben und unten ist.
Bunte Punkte flirren vor meinen Augen herum und werden immer dunkler.
Der Stress, die Anstrengung, die Müdigkeit, das Kleid, das so eng ist, dass es mir kaum erlaubt zu atmen...
Alles wird zu viel.
Langsam wird mir schwarz vor Augen und ich verliere endgültig meinen Halt.
Das letzte was ich spüre, ist, dass ich auf dem Boden aufschlage und noch im selben Moment verliere ich mein Bewusstsein.

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