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In all der Zeit, in der ich für Noe Glen gearbeitet habe, erlebte ich ihn schon in vielen Stimmungen. Genervt, wütend, arrogant, nachdenklich, betrunken, glücklich... Doch noch nie habe ich ihn so gesehen, wie in der Zeit vor dem Ball.
Er wirkt beinahe panisch, tut alles, um sich beschäftigt zu halten und vermeidet das Thema seines Vaters um jeden Preis. Er macht auffällig viel Sport, isst kaum noch und scheint keine einzige freie Minute mehr zu haben.
Zu meiner Überraschung hält er allerdings den Alkoholkonsum niedrig. Ich hätte erwartet, dass es versucht seine Gedanken mit einem morgendlichen Schnaps und mehreren Flaschen Bier über den Tag verteilt zu betäuben, doch ich sehe ihn immer weniger mit einer Flasche in der Hand.
Eine weitere seltsame Handlung, die ich beobachte, ist, dass er seinen Stylisten schon viel zu früh her holt. Normalerweise wird ihm sein Outfit am Tag des Auftrittes präsentiert und er kümmert sich auch nie groß darum, doch dieses mal steht der französische Fashionexperte schon eine Woche vor dem Event mit ihm in seinem Kleiderschrank und probiert stundenlang Anzüge mit ihm an.
Nachdem dies, Noes Meinung zufolge, nicht erfolgreich war, verschwindet er noch am selben Tag für längere Zeit und kommt mit vier brandneuen, maßgeschneiderten Designeranzügen zurück.
Mehrmals versuche ich mit ihm zu reden, doch er hat ein echtes Talent dafür, mich so lange abzublocken, bis ich das Thema wechsle.
Das Wissen, seinen Vater wieder zu treffen und eine neue Chance zu haben, bringt ihn beinahe dazu durchzudrehen.
Erst am Abend vor dem Ball, kommen wir dazu endlich wieder zu reden.
Ich komme gerade aus meinem Zimmer, meine Haare noch feucht vom Duschen und mit nichts als einem Oversizeshirt an.
Mein eigentlicher Plan war es, in die leere Küche zu schleichen und mir noch etwas zu Essen zu holen, doch als ich an einer nur angelehnten Tür vorbeigehe, muss ich automatisch inne halten. Durch den schmalen Spalt kann ich Noe sehen, der mit dem Rücken zu mir auf einem Sofa sitzt und stumm in den Kamin vor ihm starrt.
Vorsichtig klopfe ich gegen die offene Flügeltür und schiebe sie auf.
»April?« Noe muss sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer sich mit ihm im Raum befindet.
»Keine Ablenkung mehr?« Ich trete ein und mache ein paar Schritte auf ihn zu.
Als Antwort lacht er leise auf. »Nein, heute Abend habe ich etwas anderes zu tun.«
Mein Blick fällt auf seine leeren Hände. »Ja?«
»Ich muss mich mental noch darauf vorbereiten, dass ich meinen Vater morgen wieder sehen werde.«
Es ist das erste mal seit Mrs Strykers Ankündigung, dass er freiwillig den Ball erwähnt. Kurz beiße ich mir auf die Lippe, dann setze ich mich neben ihn auf das Sofa.
»Wahrscheinlich werde ich es sowieso nicht realisieren können, bis er tatsächlich vor mir steht«, fährt Noe fort, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. »Aber selbst dann, fürchte ich, habe ich keine Ahnung, was ich ihm sagen werde oder was ich mir erhoffen soll.«
»Was würdest du dir denn wünschen, wie es abläuft?«
»Ich wünschte, es wäre schon vorbei. Vielleicht stößt er mich erneut weg, vielleicht empfängt er mich mit offenen Armen - es ist beides nicht unwahrscheinlich. Aber diese Unwissenheit bringt mich fast um. Ein Teil von mir hat Angst, ihm gegenüber zu treten und doch ist da ein anderer Teil, der es kaum erwarten kann.«
»Du bist solche Gefühle nicht gewöhnt, huh?« Mit einem kleinen Lächeln sehe ich ihn an.
»Nein«, gibt er leise zu.
»Glaub mir, ich habe aus meiner Vergangenheit einige Erfahrung mit Nervosität und wenn ich etwas daraus gelernt habe, dass es Kopfsache ist.
Man kann das Script tausende Male durchlesen, sein Aussehen minütlich verbessern und sich stundenlang in eine Rolle hineinversetzen, doch das nimmt die nicht die Aufregung.
Genauso wenig wird es dich beruhigen zu trainieren, neue Anzüge zu kaufen oder dir die Gästeliste stündlich anzuschauen.
Das Geheimnis ist, dich in deinem Inneren zu überwinden. Du musst dir bewusst machen, was auf dich zukommt und dir selbst sagen, dass du gut genug bist und es schaffen wirst.«
»Was wenn ich versage?«
Zum ersten Mal, glaube ich ein Zittern aus Noes Stimme heraus zu hören. Egal ob er sich ernst oder arrogant verhält, er tut es normalerweise mit komplettem Selbstvertrauen. Hier legt er eine verletzliche und unsichere Seite von sich offen, die ihm wahrscheinlich bisher genauso unbekannt war, wie mir.
»Was wenn nicht?«, antworte ich und lege eine Hand auf seine. »Es gibt millionen Wege glücklich zu sein. Dashier ist nur ein weiterer Pfad, von vielen, die noch vor dir liegen. Egal was passiert, die Welt wird sich weiter drehen, die Sonne wird wieder aufgehen und du wirst wieder lächeln können.«
Wie auf Kommando lächelt mich an. »Du hättest dir wirklich eine Gehaltserhöhung verdient, weißt du das?«
Amüsiert schüttle ich den Kopf. »Hast du unseren Deal vergessen? Das ist was Freunde tun.«
»Sieht so aus, als hätte ich meinen Teil etwas schleifen lassen, im Gegensatz zu dir.« Er wendet sich mir zu und sieht mir direkt in die Augen. »Ich glaube nicht, dass ich ein guter Partner in letzter Zeit war.«
»Das ist okay. Du wirst morgen die perfekte Kulisse haben, um es wieder gutzumachen.«
»Jaa«, murmelt er, ohne mich eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Morgen...«
Ich antworte nicht, sondern erwidere den Blick nur. In mir hat sich eine angenehm warme Ruhe ausgebreitet. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl das man hat, wenn man nach einem langen und anstrengenden Tag Zuhause ankommt.
Vielleicht sollte ich für ihn da sein und mit ihm reden, wie es Freunde tun, doch ich kann mir nicht helfen: wenn wir uns ansehen, dann ist es nicht als wären wir nur befreundet.
Wann ist das passiert?
Wann ist aus der überheblichen Raupe, ein liebenswerter Schmetterling geworden?
Und wieso ist es passiert?
Plötzlich bekomme ich Angst - Angst vor meinen eigenen Gefühlen, die mich so neu und so stark auf überrollen.
Die Grenze zwischen Schauspiel und realem Leben, sollte nicht verschwommen werden. Sie sollte ein deutlicher, gerader Strich sein, als wäre sie ein reißender Fluss, den man unmöglich überqueren kann.
»Morgen«, sage ich rasch und stehe auf. »Erst ab morgen sind wir wieder mehr als Freunde.«
Noe nickt, doch sein Gesichtsausdruck verändert sich nicht. Noch immer ist sein Blick auf mich fixiert, ohne dass ich deuten könnte, weshalb.

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