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Am nächsten Morgen weckt mich das Sonnenlicht durch ein unbekanntes Fenster. Ich schlage die Augen auf und realisiere sofort, dass ich mich ebenso in einem fremden Raum befinde, in einem nicht vertrauten Bett.
Fast schon etwas zu schnell setze ich mich auf, wobei ein Arm von meinem Körper rutscht.
Mein Schrecken verwandelt sich augenblicklich in ein kleines Schmunzeln; Noe liegt tief schlafend neben mir. Wir befinden uns in seinem Zimmer, welches ich bisher noch nie betreten habe. Gestern Abend hatte ich definitiv besseres zu tun, als einen Rundgang.
Ich muss leicht grinsen. Noch immer sind die Geschehnisse des letzten Abends kaum zu glauben. Mein Herz fängt wieder schnell an zu schlagen, wenn ich nur daran denke.
Seine Lippen auf meinen, seine Hände an meiner Hüfte, seine Stimme in meinem Ohr.
Das ganze als ›magisch‹ zu bezeichnen, wäre untertrieben.
Neben dem Bett auf dem Boden liegt das elfenbeinfarbene Ballkleid. Ich hoffe inständig, dass Laurel nicht sieht, wie unachtsam ich das kostbare Kleidungsstück gestern abgelegt habe - oder besser gesagt, wie Noe es mir abgelegt hat.
Erneut fällt mein Blick auf seinen schlafenden Körper.
Die Decke hat er nur bis zu seinem Bauch hochgezogen, sodass sein durchtrainierter Oberkörper gut zu sehen ist. Seine blonden Haare fallen im wirr ins Gesicht und ich kann nichts anders, als sie ihm zärtlich zurück zu streichen. Er bleibt regungslos liegen und lässt es geschehen.
Schweigend betrachte ich die perfekten Konturen seines Gesichts. Es wirkt so... Exakt. Kein einziges Makel ist zu entdecken.
Eine ganze Weile sehe ich ihn nur an, dann beuge ich mich zu ihm herunter und gebe ihm einen Kuss auf die Lippen. Kurz geschieht nichts, dann beginnt er langsam die Geste zu erwidern.
Als ich mich von ihm löse, lächelt er mich verschlafen an. »Morgen.«
»Guten Morgen.«
Ich muss zugeben; ich hatte Angst. Allein die Vorstellung, dass er heute aufwachen würde und sagen würde, das alles sei ein riesiger Fehler gewesen und wir sind nicht mehr als Freunde oder Arbeitspartner, hat mich in Panik versetzt. Doch der Blick mit dem er mich jetzt ansieht, verspricht stumm, dass er meine Gefühle erwidert.
»Sollen wir uns heute mal das Frühstück ans Bett bringen lassen?«, fragt er mich sanft und streicht eine meiner Haarsträhnen zurück.
Ich lache leise. »Wow, ich bin seit über einem Monat hier und du sagst mir erst jetzt, dass ich die ganze Zeit über, im Bett hätte frühstücken können? Was hat dieses Haus noch für geheime Angebote, von denen ich wissen sollte?«
»Wenn wir James eine Gehaltserhöhung anbieten, würde er dir bestimmt vorlesen und falls du den Chaffeur darum bittest, dich von der Haustür zum Auto zu tragen, sagt er bestimmt auch nicht nein.« Grinsend drückt Noe mir einen Kuss auf die Schläfe. »Und ich bin jederzeit bereit, dich beim Umziehen, Duschen oder Einschlafen zu unterstützen.«
»Ich werde bei Gelegenheit darauf zurück kommen«, antworte ich lachend und stehe auf. »Aber ich sollte mir erstmal etwas anziehen, bevor dein geheimer Roomservice kommt.«
»So sehr ich es auch genießen würde, mit einer Dame im Ballkleid zu frühstücken«, sagt Noe mit einem Blick auf das Kleid - das einzige Kleidungsstück von mir, in seinem Raum. »Wird das nicht etwas unbequem?«
»Da du es ansprichst-«, gebe ich amüsiert zurück. »Hast du doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir etwas borge.«
Und ohne mich nochmal umzudrehen, verschwinde ich in seinem begehbaren Kleiderschrank. Er ist ziemlich ähnlich aufgebaut, wie mein eigener, also finde ich mich problemlos zurecht.
Während ich mir dort eine Hemd nehme und überziehe, höre ich Noe draußen über das Haustelefon mit der Küche reden.
Vor einem der Spiegel halte ich inne und lächle mein Ebenbild an. Es lächelt zurück.
Hastig fahre ich mit meinem bloßen Fingern durch meine Haare, um sie ein wenig zu ordnen, dann gehe ich zurück in Noes Zimmer.
»Du solltest öfter so rumlaufen«, kommentiert dieser amüsiert.
Ich muss zugeben, dass sein Hemd bequemer ist, als das meiste, was sich in meinem Kleiderschrank befindet.
Mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen klettere ich zurück ins Bett und lehne mich an ihn. Sanft legt er beide Arme um mich und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen kann, spüre ich, dass er ernster wird. »April, ich wollte mich nochmal für gestern Abend - und die ganzen letzteb Tage bedanken. Du hast mir mehr geholfen, als es ein anderer Mensch jemals getan hat.«
Ich antworte nicht, sondern lächle nur sanft.
»Ich weiß nicht, was diese Nacht für dich bedeutet hat - und ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht genau, was sie für mich bedeutet, aber ich möchte es heraus finden.«
Sanft drehe ich mich um. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, du bist entlastet von der Pflicht mit Freundschaft beizubringen«, antwortet er und schiebt seine Finger zärtlich unter mein Kinn. »Wenn du es auch möchtest - wäre ich gerne nicht nur in der Öffentlichkeit ein Paar.«
Eine Sekunde scheinen mir die Gesichtszüge zu entgleißen, dann hellt sich meine Miene schneller auf, als ein Eimer Benzin, in den ein Feuerzeug geworfen wird.
Er will wirklich mit mir zusammen sein!
Der erste Junge, der mich geküsst hat, der erste Junge, mit dem ich geschlafen habe, der erste Junge, der meine Gefühle erwidert.
»Natürlich möchte ich das auch!«, sage ich überglücklich und falle ihm in die Arme.
Lachend fängt er mich auf, drückt mich an sich und hält mich dann doch wieder ein Stück von sich weg, um mich zu küssen.
Wer hätte gedacht, dass ich bei diesem Job tatsächlich Liebe finden würde?
In diesem Moment werden wir vom Roomservice unterbrochen. Einer der Köche kommt herein, nickt Noe untergeben zu und stellt darauf hin ein Tablet mit Frühstück auf dem Nachttisch ab.
Wie erwartet, kümmert sich keiner vom um unsere neue Beziehung. Dabei platze ich beinahe! Nur zu gerne würde ich irgendjemand anrufen und ihm sagen, dass Noe Glen mein Freund ist und dass ich ihn über alles liebe.
Das einzige Problem dabei wäre, dass das offiziell schon seit einiger Zeit so ist und niemand etwas besonderes mehr darin sehen würde.
Doch ich könnte im Moment nicht glücklicher sein.
Während wir anfangen zu essen, führen wir unser Gespräch fort: »Was genau hat dein Vater eigentlich gestern noch zu dir gesagt?«
»Er meinte er sieht, dass ich mir Mühe gebe ein besserer Mensch zu sein und dass er bereit ist, mir noch eine Chance zu geben. Bei dem Treffen, das wir geplant haben, wollen wir nochmal etwas genauer reden.« Mit einem kleinen Lächeln trinkt er einen Schluck Kaffee. »Und er hat mir zu meiner reizenden Freundin gratuliert.«
Amüsiert lache ich auf. »Wolltest du ihm nicht sagen, dass unsere Beziehung nur auf dem Blatt existiert?«
»Eigentlich habe ich geplant, dies beim nächsten Mal aufzuklären, aber sieht so aus, als wäre das nicht mehr nötig.« Kurz beugt er sich vor und küsst mich. Selbst nachdem er sich gelöst hat, halte ich noch einen Moment meine Augen geschlossen. Diese Nähe fühlt sich unglaublich erfüllend an. Seine Lippen auf meinen fühlen sich an, wie zwei lang verlorene Puzzelteile, die sich wieder finden.
»Wo wir gerade davon sprechen, was ist jetzt eigentlich mit unserem Vertrag?«, hake ich vorsichtig nach. Egal wie unerfahren ich im Thema Liebe bin, mir ist klar, dass eine Beziehung nicht durch Vorschriften gestützt werden sollte.
»Naja, wir könnten distanzieren«, schlägt Noe vor. »Die letzten Wochen konnten wir ja auch immer unsere öffentliche Beziehung und unsere private Beziehung außeinander halten. Warum sollte das jetzt nicht mehr funktionieren? Dort draußen halten wir uns an den Vertrag und innerhalb dieses Hauses, können wir tun und lassen was wir wollen.«
Kurz nicke ich.
Ja, damit kann ich wohl leben.
Der Vertrag läuft sowieso nur ein Jahr, danach können Noe und ich uns ausleben wie wir wollen.
»Aufgeregt wegen deinem Vorsprechen?«, fragt Noe und schiebt mir sanft einen Löffel Honig in den Mund.
Ich verschlucke mich fast, muss lachen und kann erst danach meine Ernsthaftigkeit wieder finden. »Weiß nicht, ehrlich gesagt kann ich es noch nicht ganz fassen. Ich dachte, ich würde nie wieder zu einem Casting gehen und auf einmal wird mir so eine große Chance direkt vor die Nase gehalten.«
»Ging mir mit meinem Vater genauso«, gibt Noe leise zu. »Ich war mir sicher, ich würde ihn nie wieder sehen und auf einmal steht dieses große Gespräch mit ihm bevor.«
»Und dann ist da diese Angst, dass wenn man versagt, nie wieder eine Chance bekommen wird«, ergänze ich nickend.
Mein Freund blickt auf und lächelt traurig. »Es gibt so viele Fragen, die er mir stellen könnte, auf die ich keine Antwort weiß. Was willst du mit deiner Zukunft machen? Wo siehst du dich in fünf Jahren? Was hast du vor mir im Zuge einer zweiten Chance zurück zu geben? Es macht mich irre!«
»Sei einfach ehrlich - sei du selbst. Dein Vater wird erkennen, wenn der Junge, der vor ihm sitzt und diese Fragen beantwortet, nicht sein Sohn ist.«
»Vielleicht wäre ihm diese Person lieber.«
»Nein!« Etwas zu heftig stellt ich meine Tasse ab. Ein wenig Kaffee schwappt über, doch ich beachte es kaum. »Diese Person existiert nicht. Nicht in dir. Hätte er nicht wirklich Noe Glen gewollt, hätte er auch nicht Noe Glen zu sich bestellt.«
Meine Augen überfliegen kurz das ganze Frühstückstablett. Nirgends ist auch nur ein Tropfen Alkohol zu erkennen. Kein Wunder, dass er so nervös ist.
»Hör zu«, fahre ich etwas sanfter fort. »Du spielst der ganzen Welt jeden Tag etwas vor. Willst du das wirklich in deiner eigenen Familie fortsetzen? Ich habe jemanden kennengelernt, hinter der Fassade für die Öffentlichkeit und hinter der Maske, die er privat aufsetzt.« Meine Finger verschränken sich in seinen und ich sehe ihm ernst in die Augen. »Und dieser Jemand ist gar nicht so schlecht, wie er von sich selbst denkt.«
Noe sieht mich an. In seinem Blick steht die Faszination, die ich schon früher erkennen konnte, doch dieses mal zeigt er sie ganz offenkundig.
»Das«, sagt er leise. »Genau das war der Moment in dem ich mich in dich verliebt habe. Als du mir gesagt hast, ich soll mich selbst akzeptieren. Manchmal ist es hart zuzugeben, dass man von einem anderen Menschen besser gekannt wird, als von sich selber. Aber es ist ein ziemlich gutes Gefühl.«
Mein ganzer Körper scheint zu zittern, so sehr berühren mich seine Worte. Sanft drücke ich seine Hand ein wenig fester.
In den Augen meines Gegenüber steht so viel Schmerz, den er jetzt, da wir darüber sprechen, nicht länger verbirgt. Und dies zu sehen, tut mir selbst weh.
Ist das Liebe?
Die Emotionen des anderen zu spüren, als wären es die eigenen...
Das Bedürfnis ihn glücklich zu machen, koste es was es wolle...
Das lautlose Versprechen, immer da zu sein...
Kleine Momente fliegen fetzenweise durch meine Erinnerung. Wie ich Mrs Strykers Büro betreten habe und ihm zum ersten Mal sah. Wie er den Arm um mich legt und meinen Kopf an seiner Brust birgt, um mich vor Paparazzis zu bewahren. Wie er meine Schläfe in dem Interview geküsst hat. Wie er mich nach meinem Zusammenbruch zum Flughafen gefahren hat. Wie wir reden und reden und offener als je zuvor sind.
All diese Augenblicke - egal wie schmerzhaft oder erinnerungswürdig - scheinen nur auf dieses eine Szenario hingeführt zu haben: Noe und ich, dicht beieinander und von einem inneren Feuer des Glücks erfüllt.
Ich wünsche nicht, wir hätten uns anders kennengelernt oder schneller angefreundet. Ich wünsche nicht, wir hätten uns anfangs nicht gehasst oder weniger gestritten.
Eine Liebesgeschichte ist immer perfekt, genauso wie sie ist.
Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass wir noch lange nicht das Ende erreicht haben.

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