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Noch bevor ich meine Augen öffne, spüre ich das sanfte Ruckeln. Ein leises Motorengeräusch dringt an mein Ohr und ich glaube eine Kurve zu spüren.
Vorsichtig hebe ich den Kopf und sehe mich um.
Ich befinde mich in einem Auto.
Neben mir sitzt Noe und fährt in langsamen Tempo durch die Straßen, sodass ich so wenig wie möglich durchgeschüttelt werde.
Meine Augen gleiten hinab, an meinem eignen Körper. Ich trage noch immer das neongelbe Kleid, doch inzwischen kommt es mir lächerlich vor. Doch jemand hat mir darüber ein Sakko gelegt, sodass ich nicht vollkommen entblößt bin.
Kurz fällt mein Blick auf meinen Nebensitzer, der im Hemd auf dem Fahrersitz sitzt.
Unwillkürlich muss ich lächeln und ziehe die schwarze Anzugsjacke etwas enger um meine Schultern.
Noe scheint die Bewegung aus dem Augenwinkel gesehen zu haben, denn er dreht sich augenblicklich zu mir.
»Hey, wie geht's dir?«
Die Frage ist berechtigt, doch noch bin ich mir der Antwort nicht sicher. »Was ist passiert?«
»Du bist ohnmächtig geworden. Die Sanitäter dort meinten es wäre wohl stressbedingt. Nachdem sie sich sicher waren, dass dir nichts weiter fehlt habe ich dich zum Auto getragen und jetzt sind wir auf dem Weg zum Flughafen.«
Seine Worte überraschen mich.
Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist dashier das erste Mal, dass wir ganz normal reden und ehrlich gesagt fühlt sich das nicht schlecht an.
»Du hast mich getragen?«, hake ich nach. »Haben dich zumindest Reporter auf deinem heldenhaften Weg zum Auto gesehen?«
»Nein, ich habe einen Hinterausgang genommen.«
Irritiert sehe ich auf. »Wenn du es nicht für Publicity gemacht hast, warum dann?«
Noes Blick gleitet auf die Straße vor ihm und er scheint einen Moment wirklich darüber nachzudenken. Dann antwortet er: »Deine Aktion letzten Abend hat mich überrascht. Mir kam das erste mal der Gedanke, dass ich dich vielleicht vorschnell verurteilt habe. Vielleicht macht dich das nun nicht mehr zu dem Mädchen, das Sierra unbedingt wollte, aber es macht dich dafür um einiges sympathischer für mich.«
Kurz lächle ich.
Ehrlich gesagt habe ich eher erwartet, auf meine kleine Show mit dem Kleid eher negative Rückmeldung zu bekommen, aber anscheinend habe ich tatsächlich den großen Noe Glen damit beeindruckt.
»Mrs Stryker wird mich umbringen, oder?«, frage ich mit einem leisen Grinsen.
»Bist du verrückt? Sie ist begeistert!«
Irritiert blicke ich auf und bringe ihn damit zum Lachen.
»Du hast sämtliche Schlagzeilen auf dich gezogen! Ein Newcomer der bei einer öffentlichen Veranstaltung einen Zusammenbruch hat - das ist genau die Art von Geschichte, die die Leute hören wollen! Außerdem wird es dich noch mehr in der Rolle bestärken, die du neben mir spielen sollst.«
»Schwach und hilflos?« Frustriert lehne ich mich in meinem Sitz zurück.
»Wenn du es so nennen willst.« Er wirft mir einen besorgten Blick zu. Vermutet er schon wieder etwas falsches gesagt zu haben? Dabei ist es doch nur die Wahrheit.
»Ich wollte nie so enden«, sage ich leise. »Ich hatte immer ein ganz genaues Bild von meiner Zukunft und ein ganz genaues Bild von mir. Aber das war definitiv nicht, durch Beziehungsprostitution mein Geld zu verdienen. Eigentlich habe ich mir immer gewünscht eine starke und unabhängige Frau zu sein...«
»April«, sagt Noe mit einer überranschenden Sanftheit. »Dashier ist doch noch lange nicht das Ende. Außerdem definiert dein Job nicht, ob du stark oder schwach bist!«
Hätte mir vor ein paar Stunden jemand gesagt, wie feinfühlig Noe sein kann, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Aber tatsächlich ist es etwas ganz besonderes, mit ihm reden zu können.
»Und wenn es dich tröstet: du schläfst dich ausgezeichnet in der Beziehungsprostitution.«
Er grinst mich an und ich kichere leise.
»Überraschend eigentlich. Ich bin vollkommen neu in dieser Richtung.«
»Tja, diese Glamourwelt kann ziemlich belastend sein. Es bringt viel Stress und Druck mit sich, aber es gibt auch positives.«
»Das meinte ich nicht.«
Noch einmal riskiert er es, den Blick von der Straße abzuwenden und in meine Richtung zu blicken. »Was?«
»Ich meinte in Richtung Beziehungen.«
»Du hattest noch nie eine Beziehung?!« Diese Neuigkeit scheint ihn ziemlich zu schockieren. »Wieso nicht?«
»In Chicago war ich nicht unbedingt... Beliebt. Ich wurde sozusagen im falschen Körper geboren - ich kam als Junge auf die Welt. Eigentlich war mir das auch schon ziemlich früh klar und ich wurde schon in jungem Alter umoperiert.
Obwohl ich mich mit meinem neuen Aussehen um Länger wohler fühlte, war ich für die Leute in meinem Umfeld immer ein Aussenseiter und nicht akzeptiert. Niemand wollte etwas mit dem Mädchen zu tun haben, das mal ein Junge war.
Vielleicht war das auch einer der Gründe, warum ich schon so früh nach LA umgezogen bin. Es war die Chance auf einen Neustart.
In den letzten Jahren habe ich mich so stark auf Castings und Vorsprechen fokussiert, dass ich mir nie wirklich Zeit genommen habe, Leute kennenzulernen. Ich war immer single und das hat auch ganz gut funktioniert für mich. Also bin ich dabei geblieben.
Dieser ganze Job hier war ein großer Schritt und in gewisser Weise ziemlich beängstigend. Aber ich hatte Angst, dass es die einzige Chance ist, die ich jemals bekommen könnte.«
Traurig lächelnd sehe ich zu Noe hinüber, der jedem Wort aufmerksam gelauscht hat.
»Es tut mir wirklich leid, dass deine erste Beziehung so aussehen muss«, sagt er ehrlich und sieht mich an. »Du hättest etwas besseres verdient.«
»Ich habe immer gedacht es wäre mein Schicksal Schauspielerin zu werden«, sage ich, mehr zu mir selbst. »Für mich war immer klar, dass ich nach Los Angeles muss und dort alles daran setzen, meinen Traum zu erreichen. Aber was wenn das ein Fehler war? Kann es sein, dass man sein Leben lang glaubt etwas wäre richtig und es stellt sich dann als falsch heraus?«
Ich versinke in meinen eigenen Gedanken, als Noes Antwort mich aufschreckt: »Du kannst das Leben nicht in richtig und falsch unterteilen, April.«
Langsam wende ich meinen Kopf zu ihm.
»Von dem Tag meiner Geburt an, hat mein Vater alles daran gelegt, mich zu schützen. Er wollte mich aus der Öffentlichkeit raushalten und mir ein normales, ruhiges Leben ermöglichen. Wahrscheinlich wollte er nur das beste für mich, aber wie glaubst du fühlt sich ein kleiner Junge, wenn er im Fernsehen seinen alten Herrn in einem perfekt sitzendem Anzug auf dem roten Teppich mit Filmstars reden sieht?
Mir wurde gesagt, ich soll ein schlichtes Leben führen, wenn die glitzernde Welt des Ruhms praktisch vor meinen Augen schwebte.
Schon viel zu früh, habe ich angefangen gegen meinen Dad zu rebellieren. Ich dachte, er würde mir etwas vorenthalten, wenn er mich versteckt und habe auf eigenen Fuß den Weg in die Berühmtheit gesucht.
Als Sohn von einem der bekanntesten Designer überhaupt, hat sich die Presse begierig auf jedes kleine Skandal gestürzt.
Am Anfang war es noch ganz lustig, doch dann wurde ich immer mehr eingesogen und bevor ich kapierte, was passiert, wurden Freunde von mir ausgefragt, ich wurde auf der Straße bedroht und Reporter verfolgten mich überall hin.
Ab dem Punkt gab es kein Zurück mehr.
Eine Weile habe ich versucht, alles richtig zu machen und kein negatives Aufsehen zu erregen, doch mit der Zeit ist mir immer mehr bewusst geworden, wie viel einfacher es wäre, sich die ganze Mühe einfach zu sparen.
Alkohol und Drogen haben die Events erträglicher gemacht, die Prügeleien haben geholfen mich abzureagieren und die Beleidigungen gegenüber der Presse waren nur ehrlich gemeint.
Mein Leben ist abgestürzt, während ich glaubte, es würde nach oben gehen. Immer mehr Klatschzeitungen haben sich für mich interessiert, immer mehr Leute kannten meinen Namen.
Der ansteigende Ruhm hat mich süchtiger gemacht als jede Droge. Je schlechter ich mich benommen habe, desto weiter kam ich nach oben, also habe ich immer weiter gemacht.«
Gebannt lausche ich seiner Erzählung. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dieser eiskalten Maske eine herzzereißende Geschichte verbirgt?
Noe scheint meine Anwesenheit kaum noch wahrzunehmen, so sehr ist er in seiner Vergangenheit versunken.
»Vor einem halben Jahr habe ich einen Anruf von meinem Vater bekommen. Er wollte ein ernstes Gespräch mit mir führen, doch ich war zu diesem Zeitpunkt auf Ecstasy und konnte ihn kaum ernstnehmen.
Alles woran ich mich noch wirklich erinnere, ist, dass er mir am Ende gesagt, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will, bis ich mich gebessert habe.
Das war der Tag an dem ich meinen damaligen Manager gefeuert habe. Er hat es natürlich im Nachhinein vor der Presse so rumgedreht, dass er gekündigt hätte, aber das war mir egal.
Als ich Sierra eingestellt habe, habe ich eine reale Chance auf Besserung gesehen. Sie hatte Ideen und Vorschläge. Sie war bereit mir einen Weg zu zeigen und mich zu führen - das war etwas, was bisher noch niemand für mich getan hat. Und es hat mich... Wirklich erleichtert.«
Sein letzter Satz bringt mich zum Nachdenken.
Ich habe Sierra Stryker immer nur als eine arrogante, rechthaberische Frau gesehen, die auf alles hinab geblickt hat. Und nun ist es ausgerechnet Noe Glen, der mich meinen Blickwinkel überdenken lässt.
»Meine Mutter starb viel zu früh, mein Vater musste viel arbeiten und nach ein paar Jahren hatte ich das Gefühl, dass mich meine Freunde entweder ausgenutzt haben oder sich für mich schämten.
Es mag komisch für dich klingen, aber Sierra ist der einzige Mensch, der etwas gutes für mich will.«
Ich habe die Augen wieder geschlossen und lausche nur seinen Worten.
»Aber kein Geschehniss dieser Welt würde mich dazu bringen, die letzten Jahre als Fehler zu bezeichnen. Ich weiß nicht was geschehen wäre, wenn ich mich besser verhalten hätte oder wenn ich erst gar nicht in die Öffentlichkeit gegangen wäre.
Es gibt mehr als zwei Wege im Leben und keiner davon ist der falsche oder der richtige.
Und wenn du zurück blickst - würdest du deinen Umzug gerne rückgängig machen? Oder deine Operation, die dich zum Außenseiter gemacht hat?
Jede einzelne Entscheidung - und ist sie noch so klein - hat Folgen. Positive, negative, unerwartete...
Aber kein einziger Lebensweg lässt sich in eine Schublade stecken.«
Ich mache meine Augen wieder auf. Als ich ihn ansehe, ist es, als würde ich ihn zum ersten Mal betrachten.
Wenn man die Geschichte einer Person kennt, verändert sich alles.
Ohne dass ich es wirklich gemerkt habe, sind wir beim Flughafen angekommen.
Wir parken am Gehweg, wo uns schon drei Bodyguards erwarten. Obwohl wir unseren Flug kriegen müssen, bleiben wir noch einen Moment im Auto sitzen.
»Und ich dachte immer, du hättest es für einen Fehler gehalten, mich einzustellen.«
»Zugegebenermaßen«, sagt Noe mit einem leichten Grinsen. »Ich konnte dich nicht besonders gut leiden. Aber...« Er hält zögerlich inne.
»...aber?«, frage ich vorsichtig, unsicher ob ich die Antwort hören will.
»Aber es war ganz schön nicht alleine zu sein. Zwischen den Paparazzis, in dem Interview, am Flughafen, auf dem roten Teppich... Es ist neu jemanden an meiner Seite zu haben, aber es fühlt sich gut an.«
Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. »Ich weiß was du meinst. Es ist nicht schlecht jemanden zu haben, der einen trägt, wenn man in aller Öffentlichkeit kollabiert.«
Erstmals lächelt er zurück.
»Ich lag falsch.« Fast schon fasziniert betrachtet er mich. »Du bist nicht wie ich dachte.«
Vor dem Autofenster hat sich schon eine kleine Menschenmenge gesammelt, die verzweifelt versucht einen Blick durch die verspiegelten Fenster zu werfen. Natürlich ziehen unsere Bodyguards Aufmerksamkeit auf sich.
»Wir sollten gehen«, sage ich leise, so sehr ich auch hasse, dieses Gespräch zu beenden.
Die Wahrheit ist; ich habe Angst. Was wenn es später so wird, als hätte es diese Fahrt nie gegeben, wenn es genauso wie jede gespielte Zärtlichkeit vor Kameras im Nachhinein nie stattgefunden hat.
»April«, hält Noe mich plötzlich auf, als ich die Tür öffnen will.
»Ja?« Noch einmal wende ich mich ihm zu.
»Ich glaube... All das-« Er deutet aus dem Fenster auf die aufgeregten Fans. »-es würde mir leichter fallen, wenn wir tatsächlich Freunde wären.«
Erleichterung breitet sich in mir aus.
»Okay«, sage ich leise. »Freunde.«
Ich nehme seine Hand und öffne vorsichtig die Tür.
Fast augenblicklich schießen mir Kamerablitze entgegen und aufgeregte Schreie ertönen.
Doch heute ist es weniger schlimm als sonst, denn ich habe einen Freund an meiner Seite.

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