Drei Stunden später, kann ich nicht mehr weinen. Ich liege nur noch starr auf meinem Bett und starre die Decke an. Meine Gedanken kreisen sich noch immer, um nichts anderes, als meinen Streit mit Mike.
Ich wünschte er hätte mir eine Chance gegeben, mir zugehört und mich erklären lassen. Doch andererseits - hätte dies etwas geändert?
Es ist nicht so, dass wir uns nie gestritten hätten, doch dieses mal fürchte ich, dass es sich nicht wieder gutmachen lässt. Ich kann diesen Job nicht aufgeben und schon gar nicht meine Beziehung mit Noe, doch genauso wenig wird Mike seine Meinung über diese Situation ändern. Ehrlich gesagt kann ich ihm das auch nicht verübeln. Als ich erstmals von der ganzen Sache gehört habe, klang es auch krank in meinen Ohren, doch ich habe mich eingelebt.
Die Frage ist: wird Mike damit umgehen können, um unsere Freundschaft zu retten?
Er kann ziemlich nachtragend sein und gerade Ehrlichkeit ist für ihn sehr wichtig. Beides ist nicht gerade vorteilhaft für diese Situation.
Egal wie viel ich nachdenke, es zeigt sich kein Ausweg.
Nach einer Weile überwinde ich mich schließlich mein Zimmer zu verlassen und mache mich in Richtung Speisesaal auf. Wenn ich Glück habe, wartet Noe dort schon auf mich und wir können über alles reden. Vielleicht wird er einen Ausweg finden oder mich zumindest wieder aufmuntern.
Zu meiner Enttäuschung finde ich den Saal allerdings leer vor. Als ich bei James nachfrage, erhalte ich nur als Antwort, dass er noch nicht zurück gekommen sei.
Stirnrunzelnd bedanke ich mich.
Kurz bereue ich es, nicht genauer nachgebohrt zu haben, wohin er heute geht. Er hat mir nur ein paar unklare Informationen gegeben und ich habe es schlichtweg akzeptiert. Ich wollte ihn nicht weiter stressen, denn in den letzten Tagen war er mehr als angespannt. Zusammen mit meinem morgigen Vorsprechen, steht auch das Gespräch mit seinem Vater an und dies macht ihm mehr Angst, als er gerne zugeben würde.
Obwohl er bereits eine freundliche Einladung erhalten hat, ist nicht sicher, ob sein Vater ihm diese Chance tatsächlich gewähren wird.
Theoretisch hätte er keinen Grund dazu; sein Sohn hat ihn zutiefst enttäuscht und sein Job hält ihn auch ohne familiäre Pflichten gut beschäftigt.
Allein mit diesem Gedanken, hat Noe sich die letzten Tage ziemlich fertig gemacht und jetzt, da das Ergebnis so kurz bevor steht, scheint seine Nervosität den Höhepunkt erreicht zu haben.
Ich warte auf dem Sofa im Foyer und kann regelrecht beobachten, wie es vor dem Fenster immer dunkler wird.
Je später es wird, desto mehr verwandelt sich meine Frustration über den Streit mit Mike, in Angst um Noe.
Normalerweise ist er nie so spät - zumindest nicht ohne es mit mir abzusprechen.
Ich versuche ihn telefonisch zu erreichen, doch es geht nur der Anrufbeantworter dran.
Als nächstes versuche ich Chauffeure und Bodyguards zu kontaktieren, doch anscheinend hat mein Freund keinen ihrer Dienste in Anspruch genommen.
Diese Nachricht macht mich noch misstrauischer - Noe kann nicht fahren und ohne Auto würde er ewig in die Stadt brauchen. Nachdem ich James noch ein wenig ausgequetscht habe, finde ich zumindest heraus, dass er anscheinend von einem fremden Auto abgeholt wurde.
Mit jeder Sekunde werde ich unruhiger. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was all das zu bedeuten hat, doch ich mache mir ernsthafte Sorgen.
Es ist inzwischen beinahe 04:00 nachts. Aus dem perfekten Schönheitsschlaf, den ich eigentlich vor dem morgigen Vorsprechen geplant habe, wird wohl nichts mehr.
Ich bin kurz davor, ihn als vermisst anzuzeigen, als es an der Tür klingelt.
Wie aus dem Nichts erscheint James, doch dieses mal bin ich schneller. Ich stürze zur Tür, reisse sie auf und - Noe kippt mir halb bewusstlos entgegen.
Hinter ihm steht ein breitgebauter Typ in einem schwarzen Kapuzenpullover.
Erschrocken gehe ich in die Hocke und ziehe meinen Freund an mich heran.
»Was-«
»Sorry, Badtrip«, sagt der Unbekannte mit rauer Stimme. Dann dreht er sich um und verschwindet wieder in Richtung Gartentor, wo ich seinen Wagen vermute.
Am liebsten würde ich ihn aufhalten, doch offensichtlich braucht Noe im Moment mehr Zuwendung, als sein dunkler Begleiter.
Schemenhaft blinzelt er mich an.
Mit zwei Fingern ziehe ich seine Lider ein wenig außeinander. Sofort erkenne ich die glasigen Pupillen und die roten Adern, die ich bei Studenten in meinem alten Haus nur zu oft gesehen habe - Noe ist vollkommen bekifft.
In diesem Moment taucht James an meiner Seite auf und beugt sich besorgt hinunter.
»Was ist passiert?«
»Ich- ich weiß es nicht!«, antworte ich mit schriller Stimme. »Bitte, wir müssen ihn in sein Zimmer schaffen, am besten legen wir ihn hin.«
Der Buttler hilft mir den beinahe ohnmächtigen Jungen die Treppe hoch zu tragen und auf seinem Bett abzulegen.
»April?« Seine Stimme klingt schwach und bemüht. Er ist sich nicht sicher, ob ich real bin - ob seine Wahrnehmung noch zutreffend ist.
»Ich bin da«, flüstere ich. »Alles ist in Ordnung.«
Seine Finger greifen schwach nach meiner Hand und halten einen Moment daran fest. Gerade als sein Griff wieder erschlaffen will, greife ich zu und halte ihn.
Anscheinend hat er so lange keine Drogen mehr genommen, dass ein einfacher Joint ihn komplett weggehauen hat.
Warum hat er das getan?
Er hätte einfach mit mir reden oder seinen Stress auf andere Weise abbauen können!
Hastig weiche ich ein Stück zurück, als sein Körper sich aufbäumt und er sich auf seine Matratze übergibt.
Ich dränge meinen eigenen Ekel zurück und ziehe die beschmutzte Decke vom Bett.
Kurz wage ich es, ihn alleine zu lassen, um Tücher und einen Eimer zu holen.
Vorsichtig wische ich ihm daraufhin den Schweiß und einen Rest Erbrochenes aus dem Gesicht. Zusätzlich lockere ich seinen Gürtel, um es ihm ein wenig bequemer zu machen.
Ich kann nicht fassen, dass er geplanter Weise das Haus verlassen hat, um nach mehreren Entzügen wieder Drogen zu konsumieren. Man kann von Glück sagen, dass sein Dealer oder wer auch immer, noch den Anstand hatte ihn hier abzuliefern.
Es kommt vor, dass so etwas falsch anschlägt oder mehr schadet, als gutes tut - gerade wenn man nach längerem etwas übertreibt - doch heute kann ich das absolut nicht gebrauchen.
Es ist inzwischen 05:00 morgens, die Sonne geht langsam auf, Noe sollte sich in nur drei Stunden mit seinem Dad treffen und ich habe in vier Stunden das Casting.
Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare. Ich muss eine Entscheidung treffen - eine mit der ich leben kann. Es ist nicht leicht, doch ich sehe keine andere Möglichkeit.Im Nachhinein kann ich kaum sagen, wie ich es geschafft habe, doch in den folgenden zwei Stunden schaffe ich es Noes schlaffen Körper zu duschen, in einen Anzug zu zwängen und ihn halbwegs lebendig aussehen zu lassen. Mit James Hilfe schleppe ich ihn schließlich wieder ins Foyer. Als wir die Villa verlassen, kann er wenigstens wieder alleine laufen, doch offensichtlich hat er noch Kopfschmerzen und Magenbeschwerden.
Vor dem Tor erwarten uns zwei Limousinen und ich steuere an Noes Seite auf die rechte zu.
Ich öffne ihm die Tür und helfe ihm einzusteigen. Gerade möchte ich ihm folgen, als mich der Fahrer des anderen Autos aufhält.
»Miss Collins, ich hoffe Ihnen ist bewusst, dass Sie nach Santa Monica müssen? Steigen Sie in dieses Auto ein, enden Sie in South Pasadena und werden es nicht mehr rechtzeitig zu Ihrem Termin schaffen.«
Eine Sekunde halte ich inne.
Obwohl meine Entscheidung längst gefallen ist, zögert mein Körper dennoch einen Moment.
Ein privates Vorsprechen, Adam Hudson, eine Rolle in einem Hollywood-Film... Kurz ziehen all diese Träume an meinem inneren Auge vorbei, nur damit ich sie schließlich loslassen kann.
»Ich weiß«, sage ich und folge meinem Freund ins Innere des Wagens.Für den Rest der Fahrt schütte ich Unmengen Kaffee in mich hinein, um mich halbwegs wach zu halten. Noe dagegen muss ich mit einer Wasserflasche beinahe füttern, was leider zur Folge hat, dass er sich mehr als einmal auf die teuren Ledersitze des Autos übergibt.
Ich würde gerne mit ihm reden und ihm fragen, was er sich dabei gedacht. Heute sollte einer der wichtigsten Tage seines Lebens sein und doch hat er es eigenständig sabotiert.
Doch offensichtlich befindet er sich in noch keinem Zustand, der ihm die Möglichkeit gibt, angemessen zu reagieren, geschweige denn sich zu erklären.
Wir fahren nicht lange, doch als wir schließlich eine halbe Stunde später von einem Herrn im Frack durch die riesige Villa Arthur Glens geführt werden, ist ihm kaum noch anzusehen, wie schlecht es ihm tatsächlich geht.
Im ersten Moment erstaunt mich der Anblick des Hauses. Es hat auffällige Ähnlichkeiten mit Noes Villa, nur dass es viel größer und viel teurer eingerichtet ist. Doch bei genauerem Nachdenken ist dies gar nicht so abwegig. Ich habe mich schon immer gefragt, warum Noe so ein altertümliches Haus bewohnt, wo doch etwas modernes viel mehr seinen Ansprüchen entsprechen würde. Die Antwort ist ziemlich tief in ihm vergraben und doch ziemlich simpel; es hat ihn an seine Kindheit erinnert. Nachdem sein Vater Kontakt abgebrochen hat, war es das letzte, was er noch mit seiner Familie verbinden konnte. Die Villa hat ihm, trotz dem ganzen Druck, der tagtäglich auf ihm lastete, Sicherheit gegeben.
Wir werden in einen Speisesaal geführt, in dem zwei Plätze gedeckt sind. Der Frackträger deutet eine Verbeugung an und verschwindet.
Unsicher sehe ich mich um und greife nach Noes Hand. Es macht mich nervös, hier so alleine zu sein, doch mein Freund scheint mit seinen Gedanken noch nicht ganz angekommen zu sein. Wie betäubt stiert er auf den Tisch vor ihm.
In diesem Moment geht die Tür hinter uns wieder auf und Arthur Glen betritt breit lächelnd den Raum. Im Gegensatz zu Noe, scheint er sich tatsächlich auf diese Zusammenkunft gefreut zu haben.
»Noe, wie schön dich wieder in diesen Hallen zu erblicken!« Sein Blick fällt auf mich und kurz verschmälert sich sein Lächeln. »Und... Miss Collins. Verzeihen Sie bitte, ich habe nicht mit Ihrer Gesellschaft gerechnet.«
»Jaa...«, sage ich verunsichert und trete einen Schritt näher an Noe, der es kaum schafft seinem alten Herrn in die Augen zu blicken. »Ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber Noe muss sich in den letzten Tagen etwas eingefangen haben, er ist ziemlich krank. Ich wollte nur sicher gehen, dass er gut hier ankommt.«
Mr Glens Augen schweifen wieder in Richtung seines Sohnes. Innerlich flehe ich, dass er ihn nicht zu genau ansieht.
»Miss Collins«, beginnt er mit aller Höflichkeit. »So sehr ich Ihren Aufwand bewundere, schätze ich Lügen nicht wert. Ich habe diesem Jungen aufwachsen sehen - glauben Sie , ich würde nicht erkennen wenn er bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich genommen hat?«
Ich beiße mir auf die Lippe und senke den Blick.
»Sir, ich bitte Sie um Verzeihung, aber-«
»Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe ihn schon in schlimmeren Zuständen gesehen. Ich dachte nur... Ich müsste das nicht mehr.«
Mein Freund hebt nun erstmals den Kopf, nur um in die zutiefst enttäuschten Augen seines Vaters zu sehen.
»Vielleicht war all das keine so gute Idee«, höre ich Mr Glen sagen.
Noes Hand entgleitet meiner. »Dad-«, settt er mit rauer Stimme an. Ich sehe Verzweiflung in seinen Augen brennen, Frustration und Reue. Doch die Person, die diese Gefühle erreichen sollen, schenkt ihm keine Beachtung mehr.
»Louis wird Sie hinaus geleiten.«
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Spotlight
RomanceMöchtegern-Hollywoodsternchen, April Collins, bekommt bei ihrem voraussichtlich letzten Casting die Rolle ihres Lebens angeboten: sie soll die Freundin des Milliadärssohns, Noe Glen, spielen - und zwar im echten Leben! Im Mittelpunkt des Rampenlicht...