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Es kostet mich Überwindung ruhig sitzen zu bleiben. Meine Gefühle sind so verwirrt, dass ich nicht einmal weiß ob ich mich freuen oder ärgern soll.
Was tut Noe hier?
Ihn in dieser Umgebung zu sehen, wirkt auf seltsame Weise lächerlich und falsch - als würde man durch Alaska laufen und auf einmal einem Känguru gegenüber stehen.
Sollte ich etwas sagen?
Ihn begrüßen oder ihn fragen was er hier will?
Warum hat er keinen meiner Anrufe beantwortet?
Wie kann es sein, dass er sich wieder mit seinem Vater vertragen hat?
Wieso hat er mich so behandelt?
Weshalb hat er sich an diesem Abend bekifft?
Hat er mich jemals geliebt?
Was ist mit unserem Vertrag?
Zu viel auf einmal stürzt auf mich ein und so entschließe ich mich ruhig zu bleiben.
Eine kurze Stille entsteht, bevor Noe wieder die Stimme erhebt: »Können wir reden?«
Unwillkürlich zögere ich. Ich weiß nicht, mit welches Absicht er hier aufgetaucht ist, doch schlimmer kann er es eigentlich kaum noch machen.
»Ja.« Ich nehme einen tiefen Atemzug und stehe auf. Ohne ihn nochmal groß anzuschauen gehe ich in Richtung meines Zimmers.
Während er mir folgt, spüre ich förmlich, dass Mikes und Kates Augen voller Neugierde auf uns liegen. Am liebsten würden sie wohl mit uns kommen, doch ihnen ist bewusst, dass ich ihnen im Nachhinein sowieso alles erzählen werde.
Mit kühler Höflichkeit halte ich Noe die Tür zu meinem Zimmer auf. Als er eintritt nehme ich seinen Gesichtsausdruck genauer in Augenschein. Wird er auf das kleine Bett und den begrenzten Platz hinabsehen? Ist es für ihn unvorstellbar, einen Kleiderschrank zu haben, den man nicht betreten kann? Gibt es irgendwas in seiner Miene, das ausdrückt, dass er die Stundentenwohnung für unter seinem Niveau hält?
Doch nichts der gleichen. Sein Blick schweift kurz umher, doch sein Ausdruck verändert sich nicht.
Ich ziehe ihm einen Stuhl heran und setze mich selbst auf meine Matratze. Erwartungsvoll sehe ich ihn mit leicht schräggelegtem Kopf an.
»In den letzten 48 Stunden«, beginnt er, ohne mir richtig in die Augen zu sehen. »-habe ich Sierra Stryker gefeuert, sämtliche Diätpläne in meinem Haus verbrannt und jegliche Chance auf einen Neustart mit meinem Vater verworfen. Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht und ich würde alles tun, dies wieder rückgängig zu machen.«
Er wirkt nicht unehrlich, doch ich kann ihm noch nicht glauben. »Du und dein Dad habt aber recht glücklich auf den Bildern der Paparazzi gewirkt«, entgegne ich kalt. Ich lehne mich leicht in meinem Kissen zurück und beobachte jede kleine Reaktion prüfend. »Wenn du hier bist um mich anzulügen, musst du es gar nicht erst versuchen.«
»April, ich verspreche dir, ich kann alles erklären - wenn du mir nur eine Chance dazu gibst.«
Unzufrieden ziehe ich eine Augenbraue hoch. Allein hier mit ihm zu reden, ruft so viele Gefühle hervor und ich möchte mich nicht verwundbar machen.
»Vertraust du mir?«, fragt er leise, beinahe flehend.
»Nein«, antworte ich kühl. »Aber vielleicht kannst du das ändern. Ich gebe dir zehn Minuten.«
Mein Gegenüber holt tief Luft und nickt kurz. »An dem Tag des Balls, sind ein paar Dinge passiert, von denen ich dir nichts erzählt habe. Ich dachte, ich könnte es gerade biegen, aber leider habe ich in dieser Beziehung versagt.
Es scheint so, als hätte mein Vater sich etwas genauer informiert, bevor er uns dort getroffen hat - oder besser gesagt; er hat Sierra bestochen. Meine Ex-Managerin hat ihm alles über unsere gestellte Beziehung erzählt und ihm hat das natürlich überhaupt nicht gefallen. Als er mich zu sich in den Raum geholt hat, forderte er mich auf, dich zu entlassen und daraufhin würde er darüber nachdenken, mich wieder in der Familie zu akzeptieren.«
Kurz muss ich schlucken.
Der Ball - das war der Abend, an dem Noe mich zum ersten Mal küsste. Wir haben zusammen getanzt, gelacht und waren wirklich glücklich. Und das alles was nach diesem Gespräch?
Es fiel mir von Anfang an schwer Arthur Glen einzuschätzen, doch nachdem ich diese Worte hörte, verabscheue ich ihn beinahe.
Ich bin ein Mensch, kein Gegenstand. Nicht einmal eine gewöhnliche Angestellte war ich! Noe und ich waren Freunde zu diesem Zeitpunkt.
»Ich sagte ihm, ich würde sein Angebot überdenken und bin zurück zu dir. Als ich dich gesehen habe... In deinem Kleid, mit deinen schimmernden, schwarzen Haaren und die Art wie du deine Augen zusammenkneifst wenn du lachst...« Kurz scheint er sich verloren zu haben und ich muss mir Mühe geben, weiterhin regungslos zuzuhören. Bevor er nicht alles erklärt hat, darf ich ihn nicht erleichtern. »Naja, auf jeden Fall wurde mir da klar, dass ich dich nicht einfach gehen lassen kann. Also habe ich mir überlegt, dass, wenn mein Vater keine gestellte Freundin an meiner Seite haben will, vielleicht eine echte Partnerin in Ordnung wäre.«
»Stop!«, unterbreche ich ihn. Ich habe mir eigentlich fest vorgenommen das nicht zu tun, doch ich kann nicht anders. »Du bist also nur mit mir zusammen gekommen, weil du mich ansonsten hättest feuern müssen.«
»Nein, nein, so war das nicht«, wehrt Noe erschrocken ab. »April, du musst mir glauben, mir war zu diesem Zeitpunkt schon lange klar, dass ich Gefühle für dich habe. Ich konnte nur schon im Vorraus sagen, dass es unfassbar kompliziert wird, mit dem Vertrag und allem. Alles was wollte, war es langsamer anzugehen, damit wir für alles eine Lösung finden.
Doch in dem Moment als ich dich geküsst habe, wusste ich, dass es richtig so war.«
Etwas beruhigt nicke ich.
Mein Herz schlägt mit jedem seiner Worte schneller und ich spüre, wie sehr mir diese langen Gespräche gefehlt haben, in der Zeit, in der ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen.
»Es ist unmöglich zu beschreiben, wie glücklich ich war, als wir endlich zusammen waren. Für den Moment hat sich alles so leicht angefühlt...
Doch dann kam der Tag, an dem ich mich mit Dad treffen sollte. Ich rief ihn 24 Stunden vorher ab und erklärte ihm, dass es sich bei uns nicht länger um eine falsche Beziehung handelt, sondern dass ich dich liebe und niemals loslassen könnte.«
Nervös kaue ich mir auf der Lippe herum.
Er sagt die Wahrheit. Ich habe ihn tatsächlich etwa einen Tag vor seinem Treffen telefonieren hören - kurz bevor er verschwunden ist und erst am nächsten Tag halb ohnmächtig zurück kam.
»Dein Vater hat dir nicht geglaubt?«, frage ich vorsichtig.
Mein Gegenüber schüttelt kurz den Kopf. »Nein, hat er nicht. Wenn ich ehrlich bin, kann ich ihm nicht einmal Vorwürfe machen. Ich war nie besonders ehrlich zu ihm, doch irgendwie hatte ich die Hoffnung, dass dieses eine Mal...« Kurz verstummt er.
Ich gebe ihm die Minute der Stille, während er sich sammelt.
»Auf jeden Fall hat er von mir daraufhin verlangt, mit dir Schluss zu machen - mehr noch: er wollte dabei sein, um sich sicher sein zu können, dass ich nicht wieder nur vortäusche. Ich war wütend und verzweifelt, ich wusste nicht was ich tun sollte. Doch mein Vater hat mich gefragt, was ich glaube, wie lange es du mit mir aushalten wirst und ehrlich gesagt hatte ich diesen Zweifel von Anfang an: dass ich irgendwas dummes tun würde und damit alles kaputt mache.
Dad hat mir versprochen mir wieder Familie zu geben und mich nicht im Stich zu lassen... Diese Worte haben ich mir monatelang von ihm gewünscht. Als ich sie endlich gehört habe, war es beinahe unmöglich zu widerstehen.«
Geschockt sehe ich ihn an. »Dein Vater war für all das verantwortlich?«
Traurig nickt Noe und in seinem Blick kann ich noch einen Hauch Wut erkennen - nicht auf seinen Vater. Auf sich selbst.
»Mir ist zu spät klargeworden, dass ich die falsche Seite gewählt habe.«
Leicht verbissen starre ich zu Boden.
»Warum bist du jetzt hier?«, frage ich schließlich. »Wieso hast du dich umentschieden.«
»Ich kann nicht von dir verlangen, mich zurückzunehmen, April, das weiß ich. Aber ich würde alles tun, um eine weitere Chance bei dir zu erhalten. Du bist das einzig wahrhaftig gute, was mir jemals passiert ist und es war der größte Fehler meines Lebens, meinen Vater über dich zu wählen.«
»Was bringt dich zu der Erkenntnis?«
»Alles«, hauchte er uns sieht mich mit Tränen in den Augen an. »Alles was mir in deiner Abwesenheit gefehlt hat! Ich bin jeden Morgen etwas früher aufgestanden, damit wir zusammen frühstücken konnten, du hast dich über das Alkohol bei meinem Essen lustig gemacht und du hast mir immer alles weggegessen, wenn ich meinem Teller nur wenige Sekunden aus den Augen gelassen habe. Immer wenn du eine Raum betreten hast, konnte ich sofort den Vanillegeruch deines Shampoos ausmachen und du hast von Chicago erzählt, dass man das Gefühl hat, man wäre dort gewesen. Deine Augen leuchten wenn du Pläne schmiedest, du streichst deine Haare ständig hinters Ohr und du könntest wahrscheinlich in High Heels einen Berg besteigen. Dir fehlen nie die Worte und du weißt was du willst. Du bist eingeschlafen, als wir gemeinsam The Shining angeguckt haben und du schnurrst wie eine Babykatze wenn du schläfst...
Als ich dich kennenlernte, dachte ich, du bist wie alle anderen. Ich hätte nicht falscher liegen können. Du bist der einzigartigste Mensch, den ich kenne. Ich konnte so viel von dir lernen; Ehrlichkeit, Freundschaft, Liebe...
Doch vor allem für die Dinge zu kämpfen, die einem wichtig sind. Deswegen bin ich hier - weil ich kaum einen Tag ohne all diese Eigenschaften von dir aushalten kann und weil du es wert bist, dass man um dich kämpft.«
Er liegt falsch, denn in diesem Moment fehlen mir die Worte.
Noch nie zuvor hat mich jemand auf diese Art wahrgenommen und meine ganzen nervigen Eigenheiten so gewürdigt.
Noe steht auf und macht ein paar Schritte auf mich zu. Wie von selbst richte auch ich mich auf.
»Ich liebe dich, April«, sagt er und sieht mir ohne Scheu in die Augen.
Ganz allmählich spüre ich, wie meine Stimme wieder kommt.
Die folgenden Worte kommen ganz selbstverständlich aus meinem Mund, denn sie könnten nicht wahrer sein: »Ich liebe dich auch.«
Bevor ich überhaupt realisiere, was passiert, spüre ich wie Noe seine Arme sanft um meine Hüfte schlingt und mich an sich heran zieht.
Mit einem unvermeidbaren Lächeln auf den Lippen, lege ich meinen Kopf in den Nacken und spüre nur einen Moment später seinen Kuss. Als ich die Geste erwidere, fühlt es sich an, als wäre ich endlich wieder Zuhause.
Nicht das Heim, das die Villa oder die Stufenwohnung für mich darstellt - nein, das Heim, das der Junge, den ich über alles liebe darstellt.

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