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»Das ganze ist Live, also überdenke jeden Satz den du sagen möchtest, fünfmal, bevor du ihn aussprichst.«
Mrs Stryker und ich stehen im Backstage-Bereich einer Late-Night-Show, in dem ich gerade noch ein letztes Mal hektisch gepudert werde.
In wenigen Minuten wird mein erstes Interview los gehen und ehrlich gesagt bin ich nervös er als ich zugeben will. Auf einem Monitor vor uns ist die Bühne zu sehen, auf der unsere Interviewerin, Leslie Hill, zu sehen ist. Mehrere Techniker umkreisen sie, um ihr Mikrofon zu testen. Es sind etwa zweihundert Leute vor Ort, aber mir ist bewusst, dass tausende - wenn nicht millionen - Zuschauer Zuhause vor ihrem Fernseher sitzen und den ersten öffentlichen Auftritt von Noe Glens Freundin abwarten.
»Das Bild war nichts im Gegensatz hierzu! Bisher wissen die Leute nur, dass du existierst. Heute zeigst du ihnen wer du bist.«
Ich weiß nicht wann Mrs Stryker angefangen hat, mich zu duzen, aber im Moment habe ich größere Sorgen. Ihr Gerede macht mich noch nervöser und ich muss mir meine nassgeschwitzten Hände mehrmals an meinem Kleid abwischen.
»Wenn du da raus gehst, ist alles andere vollkommen unwichtig. Dort draußen bist du höflich, zurück haltend und wahnsinnig verliebt. Klar?«
»Ja«, antworte ich unruhig und flehe innerlich, ihre Anweisungen auch wirklich umsetzen zu können.
Vor Castings hatte ich schon oft mit Nervosität zu kämpfen, doch dashier ist etwas ganz anderes. Dennoch wäre es gelogen, zu sagen, dass ich es nicht zumindest ein wenig genieße. Das Adrenalin, die Aufregung, das innere Feuer - ich fühle mich wahrlich lebendig.
Mrs Stryker wendet sich schon wieder ab, als sie nochmal kurz inne hält. »Du kommst aus Chicago, richtig?«
»Ja, wieso?«
»Falls du gefragt wirst: du wurdest in Connecticut geboren.«
»Was?!«, frage ich verwirrt, doch da hat sie schon den Raum verlassen - wahrscheinlich auf der Suche nach Noe.
Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, meine Heimat zu verleugnen und außerdem werden viele Leute, die mich persönlich kennen, darauf aufmerksam werden und bemerken, dass etwas merkwürdig ist.
Vielleicht kann ich ja einfach behaupten, es hätte etwas mit Datenschutz zu tun...
Meine Gedanken werden unterbrochen, da mein angeblicher Freund herein kommt. Das kann nichts anderes bedeuten, als dass es jeden Moment losgehen wird.
»Bereit?«, fragt er, ohne mich richtig anzusehen.
»Weiß nicht. Ich hoffe einfach alle Erwartungen erfüllen zu können.«
»Oh, besser nicht. Ich erwarte, dass du da draußen versagst.«
Normalerweise würde ich den Kommentar einfach abtun, doch heute Abend stört seine beleidigende Art mich wirklich. Ich habe wirklich Angst davor, etwas falsch zu machen und ich kann es nicht brauchen, dass jemand mich kurz vorher noch runter macht.
»Was ist eigentlich dein Problem mit mir?«, gifte ich ihn an. »Seit wir uns kennengelernt haben, benimmt du dich ekelhaft! Du kennst mich noch nicht mal!«
Mit einem spöttischen Lachen, legt Noe den Kopf in den Nacken. »Oh bitte, ich kenne Mädchen wie dich nur zu gut. Ihr rastet aus, wenn sich ein Nagel abbricht, macht euch ständig Gedanken um eure Figur, lauft in High Heels als wären es Sneakers und glaubt in Los Angeles Ruhm finden zu können. Ihr glaubt etwas besonderes zu sein und ein Talent zu haben, dass nur darauf wartet entdeckt zu werden. Ihr stellt eure Bildung zurück und glaubt allen Ernstes, ihr hättet das Zeug, groß rauszukommen. Eure Chancen auf Erfolg sind gleich null! Mach dir nichts vor, April, du hattest nur Glück.«
Einen Moment schweige ich, ernsthaft getroffen von seinen Worten.
Hat er Recht?
Passe ich genau in dieses Klischee rein?
»Selbst wenn es so ist«, sage ich leise. »Ist es so falsch Träume zu haben?«
Mit einem veträchtlichen Schnauben schüttelt Noe den Kopf. »Glaub nicht mich belehren zu müssen. Du bist nichts weiter als ein Accessoire an meiner Seite. Man wird zu mir schauen und vielleicht fällt auch der eine oder andere Blick dabei auf dich und man wird sagen ›Ach, wie nett‹ aber mehr bedeutest du hier auch nicht. Also benimm dich auch endlich so und tu nicht so, als hättest du hier irgendwas zu sagen!«
Seine Heftigkeit schockiert mich.
Schon in den letzten Wochen musste ich feststellen, dass er nicht gut damit umgehen kann, wenn man ihm widerspricht, doch ich hätte nicht damit gerechnet, dass er so persönlich wird.
Nur ungerne lasse ich es auf mir ruhen, doch ich will weitere Außeinandersetzungen, kurz vor einem Auftritt, vermeiden.
In diesem Moment tritt ein Bühnenarbeiter in den Raum und gibt uns ein Zeichen, dass es los geht.
Unsanft greift Noe nach meiner Hand und zieht mich mit sich.
Während ich mich in Richtung Bühne führen lasse, gehe ich mir Mühe, nicht zu viel über seine Worte nachzudenken.
Ich höre die Stimme unserer Interviewerin, die uns ankündigt, dann treten wir Hand in Hand auf die Bühne.
Kaum setze ich einen Fuß auf den glänzenden Boden und kaum hat das erste Scheinwerferlicht und getroffen, höre ich Klatschen aus den Publikum.
So schnell wie möglich setze ich ein strahlendes Lächeln auf und laufe näher bei Noe. Mein Partner ist vertrauter mit der Atmosphäre, winkt in die Reihen der Zuschauer und wirft einen Kuss in die Kamera. Ich dagegen lächle zurückhaltend und halte mich dicht an meinem Begleiter - wie Mrs Stryker mich angewiesen hat.
Im Gegensatz zu den Paparazzis genieße ich dashier. Die Leute bleiben zivilisiert sitzen, scheinen aber trotzdem ehrlich interessiert und aufmerksam.
Allmählich lasse ich tatsächlich den Streit und die anderen Probleme zurück. Ich habe zu lange von solch einem Auftritt geplant, um ihn mir jetzt verderben zu lassen.
Noe und ich lassen uns auf einem eleganten Sofa nieder, wobei er einen Arm um mich legt und mich nah an sich heran zieht. Kurz hebe ich den Kopf und er lächelt mich strahlend an. Reflexartig erwidere ich das Lächeln, doch gleichzeitig fühlt es sich nicht so an, als wären wir noch wir selbst.
Leslie Hill lässt den Jubel kurz verklingen, dann wendet sie sich gut gelaunt an uns. »Meine Damen und Herren, Noe Glen und April Collins!«
Erneut brandet Applaus auf, doch diesesmal verebbt er schneller. Alle sind gespannt darauf, was an diesem Abend aus uns heraus gekitzelt wird.
»Als erstes möchte ich euch herzlich für euer Kommen danken. Es ist mir eine Ehre euch heute Abend als Gast begrüßen zu dürfen.«
»Es ist uns eine Freude«, antwortet Noe höflich.
»Ich denke ich spreche für alle Zuschauer, wenn ich sage, dass eure Beziehung eine ziemliche Überraschung war. Aber wie fühlt ihr euch denn damit?«
»Ehrlich gesagt kann ich es selbst kaum glauben«, sagt mein Nebensitzer und ruft damit einige Lacher hervor.
Unauffällig stupst er mich an und fordert mich somit lautlos auf, auch etwas dazu zu sagen.
»Diese Beziehung bringt viel neues mit sich«, gebe ich meine ersten Worte an diesem Abend von mir. Tatsächlich komme ich nicht Mrs Strykers Aufforderung nach - ich überdenke nichts. Die Sätze kommen ganz natürlich über meine Zunge, als wären es meine tatsächlichen Gedanken. »Aber der Prozess, diese Dinge zu erlernen, ist unglaublich spannend und aufregend. Ich denke, wenn man nur die richtige Person dazu findet, fühlt es sich ganz einfach an.«
Noe gibt mir einen kurzen Kuss auf die Schläfe und ich lächle ihn sanft an.
Sein Blick wirkt stolz, als habe er immer gewusst, dass ich mich gut schlafen würde vor den Kameras. Dieser Gesichtsausdruck wirkt so ehrlich, dass ich beinahe selbst Zweifel bekomme, ob er wirklich gespielt ist.
»Der Weg Neues kennenzulernen ist immer das schönste an einer Beziehung«, stimmt Leslie Hill uns zu. »Aber was macht eure Beziehung aus?«
»Verlässlichkeit«, lautet Noes Antwort. »Ich weiß, dass ich mich vollständig auf April stützen kann und sie für mich da sein wird, wenn ich sie brauche.«
Bevor ich antworte lasse ich eine kleine Pause. »Für mich ist es Vertrauen. Es gibt nichts was ich zwischen uns mehr wertschätze als die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.«
»Ohne Zweifel, wichtige Elemente«, fährt Leslie fort und scheint sich jetzt etwas mehr zu trauen. »Gibt es denn auch etwas, was euch an dem anderen nicht so gut gefällt?«
Fast gleichzeitig sehen wir uns an und fangen an zu grinsen.
»Er lässt seine Wäsche überall liegen!« Das Publikum lacht mit mir, während ich weiter erzähle: »Manchmal fühlt es sich an, als müsste ich erst einen Ozean an Wäsche durchqueren, um mich in unserem Haus fortbewegen zu können.«
»Das ist kein Anlass alles zu verstecken!«, entgegnet Noe lachend. »Wenn du bei uns aufräumst, findet man im Nachhinein nichts wieder! Ich musste heute Morgen eine halbe Stunde lang meine Zahnbürste suchen!«
Wir müssen ein typisches, frisch verliebtes Paar wirken. Während ich kichernd meine Beine über seinen Schoß schlage, lassen wir beide vollständig hinter uns, wer wir in Wahrheit sind. Dashier ist nicht mehr, als ein Spiel. Für die Zeit des Interviews sind wir, was die Leute sehen wollen und danach können wir wieder zu unseren üblichen Beleidigungen zurück kehren.
Es ist nicht gerade einfach so zu tun, als wären wir hin und weg voneinander, doch je länger wir es tun, desto lockerer werden wir.
Nachdem das Lachen des Publikums etwas verstummt ist, stellt Leslie ihre nächste Frage: »April, du sagtest gerade ›unser Haus‹. Habe ich also Recht mit der Annahme, dass ihr schon den großen Schritt des gemeinsamen Wohnens gewagt habt?«
»Ja, das stimmt«, antworte ich. »Es ist leider nicht so leicht ein gewöhnliches Date mit Noe zu haben, also hat er mir das Angebot gemacht, bei ihm einzuziehen, damit wir mehr Zeit zusammen verbringen können.«
»Wie lange lebt ihr dann schon zusammen?«
»Etwa zwei Monaten«, beantwortet Noe die Frage. »Mir war von Anfang an klar, dass das zwischen uns etwas Ernstes ist, also habe ich ihr schon relativ früh dieses Angebot gemacht.«
Leslie lächelt berührt, doch ich kann mir gut vorstellen, dass das nicht weniger gespielt ist, also unsere Verliebtheit.
»Noe; ich muss dich fragen. Du hattest keine reibungslose Vergangenheit - inwiefern wirkt sich das auf deine Beziehung aus?«
Äußerlich lässt sich mein Nebensitzer vermutlich nichts anmerken, doch ich spüre, dass er langsam anspannt wird. Die Frage ist mit Vorsicht zu beantworten.
»Ich würde eher sagen, dass sich meine Beziehung auf meine Vergangenheit auswirkt. Mit April an meiner Seite, habe ich die Motivation ein besserer Mensch zu sein, gewisse Taten wieder gut zu machen und meine Probleme hinter mir zu lassen. Ich möchte mich verändern und mich selbst im Spiegel wieder ansehen können. Mein Ziel ist es, mit mir selbst im reinen zu sein.«
Dieses mal bin ich es, die ihm ein stolzes Lächeln zu wirft. Sanft schmiege ich mich an ihn und lege meinen Kopf auf seine Schulter.
Auch wenn ich es nur ungern zugebe, fühlt sich seine Nähe nicht schlecht an. Er ist groß, breit gebaut und muskulös. Je näher ich ihm komme, desto mehr scheinen seine Arme mich willkommen zu heißen.
»April, wie betrachtest du dieses Vorhaben?«
Kurz muss ich schlucken. »Ich bewundere es«, sage ich schließlich. »Es macht mich glücklich zu sehen, wie viel Mühe er sich gibt und wie stark sein Willen ist. Jeden Tag kann ich sehen, wie viel ihm daran liegt. Allein diese Bemühungen zeigen mir, wie stark er ist.
Ich denke, man sollte Menschen nicht durch ihre Fehler definieren. Man sollte sie danach beurteilen, wie sie mit den Konsequenzen dieser Fehler umgehen.«
Noe wirft mir einen schnellen Blick zu und eine Sekunde glaube ich sein wahres Ich durchblitzen zu sehen. Meine Worte scheinen ihn beinahe verblüfft zu haben, doch innerhalb weniger Sekunden hat er wieder die liebesblinde Maske auf.
»Das ist schön zu hören.« Strahlend lächelnd sieht Leslie uns beide an.
Wahrscheinlich hätte sie nur zu gerne etwas interessanteres aus uns heraus bekommen, doch keins unserer Worte könnte in einen negativen Zusammenhang gebracht werden.
»Abschließend würde ich noch gerne erfahren, wie es mit euch weiter gehen soll. Was plant ihr für eure gemeinsame Zukunft?«
»Viel gemeinsame Zeit«, sagt Noe lächelnd. »Ich möchte jede freie Sekunde an Aprils Seite verbringen. Genaueres möchten wir gar nicht planen. Alles wird so kommen, wie es kommen soll und ich bin mir ganz sicher, dass unser Weg ein gemeinsamer ist.«
»Vielen Dank. Meine Damen und Herren, bitte verabschieden Sie mit einem großen Applaus unsere heutigen Gäste: Noe Glen und April Collins!«
Applaus brandet auf uns ich gebe meinem Partner grinsend einen Kuss auf die Wange.
Nachdem wir einige Sekunden das Klatschen des Publikums genossen haben, stehen wir auf uns verlassen Seite an Seite die Bühne.
Noch ein letztes Mal winken wir in die Kamera, dann verschwinden wir Backstage.
Augenblicklich verschwindet das Lächeln von meinem Gesicht. Meine Wangenknochen schmerzen beinahe, so sehr musste ich es erzwingen.
Auch Noe hat inzwischen meine Hand losgelassen und gewinnt Abstand zu mir.
Von seiner gut gelaunten, verliebten Haltung ist nichts mehr übrig und damit kommt auch meine Abneigung gegen ihn zurück.
Mit dem Verlassen der Bühne verwandeln wir uns wieder in die Menschen, die wir tatsächlich sind.
Keine von uns sagt ein Wort, während wir zurück zum Ankleideraum laufen.
Kaum öffnen wir die Tür, stürmt uns auch schon eine ziemlich aufgewühlte Mrs Stryker entgegen.
»Endlich seid ihr da, es gibt Neuigkeiten!« Ohne uns eine Sekunde durchatmen zu lassen, fährt sie fort: »Wir wurden eingeladen!«
»Willkommen zurück, gute Arbeit in dem Interview«, murmle ich zu mir selbst das Kompliment, welches ich gerne gehört hätte.
»Auf die Glow-Gala!«
Überrascht sehe ich sie an.
»Wirklich?«
Die Glow-Gala ist eines der größten Events des Jahres. Sämtliche Celebrities versammeln sich dazu in New York und lassen sich auf dem roten Teppich ablichten. Wer nur einmal dort war, bleibt auf ewig unvergessen.
Selbst Noe wirkt etwas überrascht.
»Ich habe den Anruf vor wenigen Minuten erhalten! Ein Sänger hat spontan abgesagt und deswegen wurden Plätze frei.«
Ich kann meine Begeisterung über die Einladung kaum verbergen. Das ist wirklich eine große Sache.
»Das ganze ist in 48 Stunden, also macht euch auf etwas Stress gefasst. Die Vorbereitungen gehen von dieser Sekunde an los!«

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