Kapitel 1

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Leise hörte ich Musik, während mir immer und immer wieder die Augen zu fielen. Die Reisetablette, die ich vor der Autofahrt eingenommen hatte, zeigte ihre Wirkung. Ich zwang mich, die Augen offen zu halten und schaute zum Fenster hinaus.

Häuser, Bäume und andere Autos flogen an mir vorbei. Ich fühlte meine lahme Müdigkeit, die mich schon seit der Abfahrt aus unserer Stadt verfolgte. Sie zog sich hinter mir her, wie ein Schleier, der nicht nachgab. Das ganze Jahr hatte ich nur wenige Stunden geschlafen und rund um die Uhr gelernt sowie gelesen.

Unendlich viel hatte ich gelesen, von Sachbüchern, die mich aufs Abi vorbereiten sollten, bis zu meinen Romanen, die ich regelmäßig verschlang.

Mein Vater bezeichnete mich gerne als Nerd, obwohl ich auch wirklich genug in der Realität erlebte. Ich ging auf Partys und hatte zwar wenige, aber dafür gute und liebenswerte Freunde, die mich wohlwollend begleiteten, wohin ich sie auch mitschleppte. Ob auf Lesungen, Buchmessen, Workshops oder Wettbewerbe, wenn es ums Thema Bücher ging, konnte mich niemand bremsen- bis auf das Büffeln für die Schule. Tagelang hatte ich mit Vokabeln lernen verbracht, mir Vorträge zu Metamorphosen von Fröschen und gemeinen Lurchen angehört, hatte mir Videos zu Stochastik angeschaut und schlussendlich mein Abi mit einem sehr guten Gesamtdurchschnitt bestanden. Dabei hatte ich aber meinen Konsum von Romanen eingeschränkt und vernachlässigt.

Meine Eltern hatten mich in dieser besonders anstrengenden Zeit so gut sie selbst konnten, unterstützt. Meine Mutter hatte die Gabe, mich aufzubauen, wenn ich mal wieder nur noch schwarzsah und Löcher an die Decke starrte. Sie führte mit mir nächtelang Gespräche, bis sie mich wohlwollend entließ, damit ich noch ein paar Stunden Schlaf bekam. Sie sorgte sich manchmal mehr um mein Wohl, als ich mich um mich selbst, wofür ich ihr sehr dankbar war. Schließlich hatte sie als Medienmanagerin schon genug zu tun und ich fand es einfach fantastisch, dass sie ihre ohnehin schon begrenzte Zeit für mein Wohlbefinden opferte.

Mein Vater dagegen war ein eher humorvoller Mensch und brachte mich mit seiner lockeren Art manchmal ziemlich auf die Palme. Meine Zukunft behandelte ich mit mehr Respekt als er es tat. Er sagte, dass es nicht wichtig war, ob ich einen Beruf ausübte, in dem man die große Kohle schob oder ob man einen reichen Mann heiraten sollte. Ich hingegen bekam schon beim Gedanken an meine Zukunft Schweißausbrüche. Man konnte sagen, dass er mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte und mich mit seinem Humor für gewöhnlich zum Lachen brachte, deswegen liebte ich ihn auch so sehr. Er machte mir Mut, die Dinge etwas lockerer zu sehen, er gab mir oft das Gefühl, dass man auch ohne viel Druck glücklich werden kann.

Und was soll ich sagen? Immer, wenn ich meine Eltern zusammen sah, wusste ich, dass er recht hatte.

Torquecrea- Schatten und Licht 🔹Zurzeit pausiert🔹Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt