Neuntens

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Freitags war meistens »Ems und D-D«-Abend, was soviel bedeutete wie: Dee liest ein Buch und Ems erledigt ihre Aufgaben für die Universität. Ich lernte gerne mit ihr zusammen, es hatte mir schon immer Spaß gemacht, zu lernen.

Emma hasste es zu lernen. Sie zappelte herum, spielte an ihrem Handy, starrte an die Decke. Sie war verdammt gut darin, alles zu tun, bis auf die vorgegebenen Seiten zu lesen. Deswegen lernten wir zusammen, jedenfalls so in etwa. Ihre Eltern hatten immer darauf bestanden, dass sie gute Noten nach Hause brachte und später einmal studierte. Es war ja nicht so, dass sie dumm war. Sie war einfach nicht dafür gemacht, still sitzen zu müssen.

Mit zwölf hatte sie beschlossen, später einmal der Army beizutreten. Das war bevor sie feststellte, dass sie eigentlich Pazifistin war und auch nicht wirklich was mit Autoritäten anfangen konnte. Auch Astronautin wurde schnell von der Liste gestrichen - zum Teil auch wegen der wahnwitzigen Zulassungsbeschränkungen. Was ihr übrig blieb, war die Gastronomie. Seit drei Jahren kellnerte sie in einem kleinen italienischen Lokal unweit unserer alten Schule und auch wenn sie unfassbar gut darin war, hatten ihre Eltern andere Pläne. Zwar nicht wirklich konkretisiert, doch sie beinhalteten sicherlich nicht den Aufgabenbereich der Gastronomie. Vor allem nicht in einem kleinen Familienbetrieb, der kaum mehr als den überlebensnotwendigen Mindestbetrag einnahm.

Zusammen zu lernen war schon jeher unsere Tradition, ein Treffen, über das sich selbst Emmas Mum freute, weil sie fest davon überzeugt war, ich hätte einen guten Einfluss auf ihre Tochter. Tatsächlich war es eher so, dass Ems einen guten Einfluss auf mich hatte. Dank ihr kam ich aus mir heraus. Dank ihr hatte ich keine Angst davor, eine Glatze zu tragen, keine Angst davor, bald nur noch Narben als Erinnerung an meine Brüste zu haben. Dank ihr hatte ich genügend Kraft, jede Chemo zu bewältigen die mir bevorstand, mich über jede Hürde zu kämpfen, die der Krebs mir in den Weg stellen mochte.

Wir aßen Popcorn und und Ems zippte sich durch die Stories von Freunden oder irgendwelchen Berühmtheiten. Schließlich seufzte sie und zeigte mir ein Profil mit dem Namen jPulley. Ich betrachtete den Bildschirm, dann wandte ich den Blick wieder auf mein Buch und erwiderte so gelassen wie möglich: »Meinst du nicht, dass du gerade was anderes machen solltest?«

»Meinst du nicht, dass du gerade was anderes machen solltest?«, äffte sie mich nach. »Ich betreibe wichtige Recherche für dich.«

»Du stalkst ihn«, schlussfolgerte ich und sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Wirklich?«

»Eine von uns muss ja tun.« Sie zuckte mit den Schultern und »Tyrone folgt ihm. Ich frage mich, woher die beiden sich kennen.« Tyrone war in meinem Mathekurs gewesen, nachdem er die Zehnte hatte wiederholen müssen.

»Vielleicht war Jonah ja an der Prichard«, murmelte ich. »Ein oder zwei Jahrgänge über uns.«

»Wie alt, sagtest du, ist er?«

Ich unterdrückte ein Lächeln, als ich an seinen gefälschten Ausweis zurückdachte. »Zwanzig.« Vermutlich war das seit Jahren mein erstes Geheimnis vor Ems, dabei war es ja nicht einmal wirklich mein Geheimnis. Ich war mir sicher, dass sie versuchen würde ihn anzuheuern, damit sie auch endlich irgendwo ausgehen konnte. Viele ihrer Kommilitonen waren über einundzwanzig und ich konnte mir vorstellen, wie frustrierend es für sie sein musste, nirgends wirklich dazu zu gehören.

Vielleicht könnte ich Jonah dazu bringen, ihr einen Ausweis zu besorgen - als Geschenk. Ihre Mutter würde mich für diese Idee vermutlich umbringen.

»Hast du ihm inzwischen geschrieben?«, fragte sie und kaute auf ihrem Stift herum. Unterstrich einen Satz in ihrem Buch, von dem ich mir sicher war, dass sie ihn bereits zig Male durchgelesen hatte.

A Pain That I'm Used ToWo Geschichten leben. Entdecke jetzt