Siebzehntens

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Am Freitag machte Emma mein gesamtes Makeup mitsamt Augenbrauen und als ich mich im Spegel betrachtete, konnte ich meinen eigenen Augen kaum glauben. Es war vielleicht nicht das erste mal, dass Emma mich für eins ihrer Makeup-Experimente missbrauchte, doch so gut waren sie ihr bisher noch nie gelungen. Ich lehnte mich näher an den Spiegel und drehte mein Gesicht von der einen zur anderen Seite.

»Krass«, kommentierte ich schließlich und Emma zog provozierend eine Augenbraue hoch. »Mehr als krass«, schob ich hinterher und gab ihr einen sanften Stoß gegen den Oberarm.

»Genau das wollte ich hören.«

»Du wirst echt immer besser.« Ich betrachtete beide Seiten ein letztes Mal, dann drehte ich mich in meinem Bürostuhl wieder in ihre Richtung.

Emma betrachtete mich lächelnd. »Du siehst klasse aus.« Ich konnte die Hitze in meine Wangen steigen spüren, beschämt drückte ich meine kalten Hände gegen mene Wangen und hoffte die Röte dadurch etwas zu kaschieren. Emma hatte sie selbstverständlicherweise trotzdem bemerkt, ihr entging nichts. Jedenfalls nichts von dem, was ich vor ihr zu verbergen versuchte. »Rot steht dir auch - du hast hier noch irgendwo Blush oder?«

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und stöhnte. »Unterste Schublade«, murmelte ich zwischen meinen Fingern hervor, darauf bedacht die aufgemalten Augenbrauen nicht zu verschmieren. Emma wühlte in meiner Schublade, dann wies sie mir harsch an, wieder in ihre Richtung zu sehen. »Um ehrlich zu sein, habe ich nicht erwartet, dass du die Sache mit dem Makeup-Model heute so durchsetzt«, bemerkte ich, während Emma sich zu mir vorlehnte und begann einen Eyelinerstrich auf einem Augenlid zu zeichnen.

»Eine andere Option wird mir ja wohl kaum übrigbleiben. Ich kenne dich doch«, entgegnete Emma, ohne die Arbeit an meinen Augen zu unterbrechen. »Das wird die umhauen.«

»Die sind bestimmt schon zu oft wegen deines Makeups umgekippt«, gab ich zu bedenken und blinzelte vorsichtig, als Emma sich zurücklehnte und die Zähne fletschte.

Ich folgte ihren Anweisungen, schloss meine Augen, drehte mein Gesicht erst nach links, dann nach rechts, erhaschte einen Blick im Spiegel und schämte mich fast schon für das Auftreten der letzten Wochen.

»Die werden deinetwegen stürzen, Dee.«

»Klar und morgen helfe ich dem Osterhasen.«

»Ostern war schon, aber kein Ding. Nicht jeder kann gläubig sein.« Emma streckte die Hand nach meinem Kinn aus und drückte mein Gesicht sanft nach Links, einen Moment lang musste ich in dieser Position verharren, dann steckte sie die Schminke endlich weg und griff nach einer ihrer vielen Bürsten. »Und weil ich Geburtstag habe und Glitzer mag - «, kommentierte sie ihre eigene Arbeit, ehe sie mir Highlighter ins Gesicht tupfte.

»Eigentlich ist dein Geburtstag ja erst morgen.«

»Er kann gar nicht zu früh kommen - alles klar, ich bin fertig, Lippenstift kriegst du ja selbst drauf oder?« Ich nickte und griff nach dem Rotton, den sie mir selbstsicher hinhielt. Knallig, wahnsinnig, doch es passte zum Rest und ich vertraute Emma in dem Punkt. Mal davon abgesehen, dass sie mir in Situationen wie diesen immer etwas Angst machte. »Apropos kommen: Hast du was von Jonah gehört?«

»Noch nicht, aber er wollte mich vor Ort treffen. Ich soll ihm schreiben, wenn wir ankommen.«

»Gina hat erzählt, dass er sich aus solchen Geschehen normalerweise immer raushält, ich bin gespannt ob er wirklich auftaucht. Der unantastbare Jonah Pulley, der meiner besten Freundin wie ein treuer Hund folgt.«

»Er folgt mir nicht wie ein treuer Hund«, entgegnete ich, den Blick auf meine Lippen im Spiegel gerichtet.

»Klaro, nenn' es wie du's willst.« Emma zuckte mit den Schultern und lächelte mich durch den Spiegel an. »Dein Ding. Ich habe mir meine Reime bereits zusammengesammelt.«

»Ich bin mir ja nicht einmal sicher, was genau zwischen uns beiden läuft«, entgegnete ich. »Und abgesagt hat er mir für die Party auch zuerst.« Ich war mir nicht sicher, wen genau ich hier zu rechtfertigen versuchte, doch Ems glaubte mir kein Wort. Wenn sie sich einmal auf einer Sache festgefahren hatte, blieb es auch dabei.

Vielleicht hatten ihre Eltern deswegen so viele Schwierigkeiten mit ihr und ihrer Implusivität. »Habe ich was im Gesicht?«, fragte sie und ich blinzelte erschrocken, kehrte in diese seltsame Realität zurück, in der ich eine junge Frau nach der Chemo war.

Eine junge Frau mit wunderschönen Augenbrauen. Eine wunderschöne Frau, die ihren Brüsten den gebürtigen Abschied geben würde, den sie verdienten - mehr dafür tun, als sie an einer Schnellstraße zu präsentieren.

Emmas erste Idee war gewesen, dass ich ja etwas mit einem solch tiefen Ausschnitt tragen könnte, dass ich auf den BH verzichten müsste und eigentlich gar keine andere Wahl hatte, als meine Brüste jedem zu präsentieren - ob sie wollen oder nicht. Doch ich musste gestehen, dass mir der Gedanke, Emmas Freunde von der Universität könnten nicht nur meinen haarlosen Körper, sondern auch noch den Port sehen, wenig Freude bereitete.

»Wir sind heiß, sowas von«, kommentierte Ems unser beider Spiegelbild. Ich zwang meine Lippen zu einem Lächeln.

»Du bist wunderschön«, akzeptiere ich, doch sie schüttelte nur den Kopf und verdrehte die Augen. »Wir sind wunderschön, Dee.«

»Dein Ding. Ich habe mir meine Reime bereits zusammengesammelt«, äffte ich sie nach und kassierte dafür ebenfalls einen Schlag gegen die Schulter. »Fair«, sagte ich darauf und hielt mir den Arm.

»Wir sind quitt«, stimmte sie mir zu und strich sich die langen Haare hinter die Ohren, ehe sie einen Blick auf ihr Handy warf. »Gina ist schon da.«

Ich seufte und erhob mich aus meinem Stuhl. »Dann sollten wir Gina wohl nicht warten lassen.«

»Ist das etwa Eifersucht in deiner Stimme?«, fragte sie belustigt und zog die Stirn kraus, den Blick fest auf mich gerichtet.

»Nein!«, entgegnete ich etwas zu schnell, zu enthusiastisch, zu eifersüchtig.

»Ich glaubs nicht!«, rief Emma lachend aus und sprang ebenfalls von ihrem Stuhl auf. »Didi ist tatsächlich eifersüchtig!«

»Ems, nein!«, begann ich und hob den Blick gen Decke. Den Kopf im Nacken, die Hände an meinen Wangen starrte ich hinauf, flehte, dass mich irgendein Ungeheuer im Boden verschlucken könnte. »Ich schwöre, ich bin nicht eifersüchtig!«

Meine beste Freundin lachte und schloß mich anschließend in eine feste Umarmung. »Ist doch in Ordnung, ich wäre es auch. Vermutlich würde ich sogar heimlich deine Seminare und Vorlesungen besuchen, in der Hoffnung so alles über deine neuen Freunde zu erfahren. Geschweige denn von dem ganzen Stalken im Internet.«

»Du bist verrückt.«

»Besonders«, korrigierte sie mich. »Und deswegen liebst du mich so sehr.«

Ich verdrehte die Augen, konnte mir das Lächeln allerdings nicht verkneifen. »Lass uns losgehen«, beendete ich das Gespräch und öffnete meine Schranktür, bevor die Angst mich übermannen konnte, griff ich nach dem Kleid, welches Emma sich gewünscht hatte und verließ das Zimmer.

Im Bad betrachtete ich mein Gesicht. Wie konnte etwas so fremd und vertraut zu gleich wirken? Ich tat, um was Emma mich gebeten hatte, zog mein Shirt und meinen BH aus, um in das Kleid zu schlüpfen, dass ich zuletzt an meinem siebzehnten Geburtstag getragen hatte.

Meine Vergangenheit vermischte sich mit der Gegenwart.

Heute würde ich die frühere Dee sein, die die sich dessen bewusst war, dass sie gut aussah. Die, die sich dessen bewusst war, was für eine Wirkung sie auf andere hatte.

Heute würde ich aus meinem Schatten treten.

Mit Port, aufgemalten Augenbrauen und kahlem Schädel.


Gestern war mein Dozent in dem Café in dem ich arbeite und es war nur slightly awkward ihn nach seinen Kontaktdaten zu fragen, danke dafür Corona

A Pain That I'm Used ToWo Geschichten leben. Entdecke jetzt