Dreizehntens

91 12 8
                                    

Wir besuchten den botanischen Garten der Yale Universität. Ich hatte meinen Eltern lediglich geschrieben, dass ich noch mit Jonah unterwegs war und ihnen für den Fall der Fälle nochmal seine Handynummer durchgereicht, dass wir allerdings nach New Haven fuhren, verschwieg ich gewissenhaft.

Falls Mum verdacht schöpfte, ortete sie mein Handy und ließ sich damit besänftigen, zu sehen, wo ich mich befand. Es war wie eine unausgesprochene Regel zwischen uns. Sie sprach meine Ausflüge nicht an und ich ließ sie gewähren, so lange sie es nicht übertrieb und mir ins Leben funkte. Nicht das ich sonderlich viel vor ihnen zu verheimlichen hätte. Sie wären vermutlich sogar ganz froh, dass ich mal »aus mir herauskam« und »wieder unter Menschen ging«.

Jonah blieb dabei, mir, trotz der Nachfrage, nichts über seine Faible gegenüber Selbsthilfegruppen zu erzählen. Aber es war ein wunderschön sonniger Nachmittag und ich wollte den Moment nicht wegen meiner Neugierde zerstören. Er wirkte entspannt, normal. Irgendwo in den Bäumen zwitscherten Vögel und die Gärten waren so atemberaubend, dass ich für den Moment vergaß, wie gut Jonah aussah, wie süß er war, wie aufmerksam. Ich vergaß, dass ich drauf und dran war mich mit einer solchen Heftigkeit in ihn zu verlieben, wie es nur die kitschigsten Romanzen der Weltgeschichte zu vermitteln schafften. Ich vergaß, dass ich mich eigentlich von einem Fremden habe in eine andere Stadt entführen lassen, mit nichts anderem ausgestattet als einer paranoiden Mutter und einem operablen Krebs.

Wir hielten nicht Händchen, vermutlich würde ich dann an der Realität zu zweifeln beginnen und mir wünschen aus dieser seltsamen Traumblase nicht mehr erwachen zu müssen. Vielleicht war ja während meiner Operation etwas schief gegangen und ich befand mich eigentlich in einem Koma-Traum. Ich musterte sein Profil, während Jonah sich über die Brüstung beugte und zu den Wasserpflanzen starrte. In dem Gewächshaus war es unfassbar stickig, aber die tropischen Pflanzen machten den Druck wett. Ich wünschte, ich könnte mein ganzes Zimmer mit ihnen vollstellen. Mein eigener, privater Dschungel.

Jonah hob den Blick und sah mir direkt in die Augen. Ich wandte beschämt den Kopf ab, spürte die Hitze in meine Wangen schießen und verfluchte die blasse Haut, die jede winzige Gefühlsregung nur noch deutlicher zu machen schien. »Worüber denkst du nach?«, fragte er und trat näher an mich heran. Unsere Ellenbogen berührten sich, während wir beide auf die kleine Insel mitten im Wasser starrten.

»Wie wenig ich eigentlich über Pflanzen weiß«, murmelte ich und wagte einen erneuten Blick zu seinem Gesicht. »Und das ein privater Dschungel im Zimmer ziemlich cool sein muss.«

»Meine Mutter ist verrückt nach Pflanzen. Ich glaube, die Hälfte davon steht in unserem Haus.«

»Meine Mum, hätte was gegen die hohe Luftfeuchtigkeit in diesem Gewächshaus. Ich will ja nicht sagen, dass sie pingelig ist, aber sie mag es, wenn Dinge nicht durch die Gegend wuchern.« Ich presste meine Lippen aufeinander. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Kontrollzwang von ihr herkommt.«

Jonah lachte. »Es ist fast schon seltsam, wie unsere Eltern eigentlich auf uns abfärben.« Einen Moment lang sagte er nichts mehr. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, nachdenklich, ruhig. Ich wünschte, ich könnte verstehen, was in seinem Kopf vor sich ging. »Ich habe den gleichen Garagen-Rock-Geschmack wie mein Dad.«

»Garagen-Rock-Geschmack?« Ich lachte.

»Ja.« Das Grinsen auf seinen Lippen wurde breiter. »Die fast schon peinlich einfachen Akkordanreihungen, verzerrte Gitarrenklänge. Gilt als Vorläufer des Punks.«

Diese Musikrichtung passte so gut zu ihm, dass es mich fast schon überraschte. »Ich weiß, was Garage Rock ist.«

»Und deine Meinung dazu?«

A Pain That I'm Used ToWo Geschichten leben. Entdecke jetzt