Ich zählte die Stunden die mir bis zur Operation noch blieben. Zählte meine Herzschläge – 72 in der Minute – multiplizierte zu Stunden, Tagen. Das letzte mal war ich so nervös gewesen, als ich kurz vor meiner ersten Chemotherapie war, das letzte Mal so neben der Spur, als Dr. Iyer mir verkündet hatte, dass ich nach der Chemo vermutlich nicht einfach schwanger werden könnte, wenn ich mich dazu entschloss Kinder zu kriegen, dass ich mir überlegen sollte, ob ich Eizellen entnehmen lassen wollte; dass man mich in künstliche Wechseljahre versetzen würde.
Im Vergleich zu der emotionalen Achterbahn die mich in ihren Klauen festhielt, war der Tag, an dem ich beschlossen hatte mir die Brüste einfach abnehmen zu lassen ein Kinderspiel gewesen. Damals war die Entscheidung, das Ergebnis so unendlich fern.
Und jetzt blieben mir kaum mehr als drei Tage bis zu Tag Null. Kaum drei Tage bis ich meinen Krebs-Look auch noch um die fehlende Brust erweitern würde. Kaum drei Tage in der ich die neue Deena kennenlernen würde.
Die hoffentlich-krebsfreie Deena. Die hoffentlich-für-immer-krebsfreie Denna, auch wenn ich die Statistiken zu den Rezidiven kannte. Auch wenn ich wusste, dass ich Dr. Iyer wohl kaum in den nächsten Monaten loswerden würde. Vermutlich würde ich ihn noch eine ganze Weile an meiner Seite wissen.
Wie meine Eltern, Emma – ich schluckte und sah vom Fernseher zu ihm. Vielleicht ja auch Jonah, wenn nicht für immer, dann jedenfalls für eine Weile.
Er wandte mir ebenfalls sein Gesicht zu und lächelte. Ich versuchte die Lachfalten mit dem Song in Verbindung zu bringen, der mir seit Emmas gelungener Geburtstagsparty nicht mehr aus dem Sinn kam. »Alles okay?« Seine Stimme war rau und inzwischen so seltsam vertraut, dass ich selbst nicht mehr wusste, was genau ich mir von dem ganzen erhoffte, was ich eigentlich wollte.
Ich blinzelte und zwang meine Mundwinkel nach oben. »Nur in Gedanken gewesen«, murmelte ich zur Antwort und sah wieder auf den Fernseher, versuchte mich auf den Inhalt der Serie zu konzentrieren und nicht daran, wie nahe er mir war. Wie leise es im Haus war, wie alleine wir waren, weil meine Eltern ausgegangen waren.
»Nur in Gedanken also?«
»Nur in Gedanken«, bestätigte ich, den Blick noch immer auf den Bildschirm geheftet, auch wenn ich den seinen noch immer auf mir spürte.
»Vielen werden gerade diese zum Verhängnis und du stempelst sie so einfach ab?«
Ich neigte meinen Kopf zur Seite, ließ die Wirbel in meinem Nacken knacksen und richtete den Blick auf ihn. »Was möchtest du von mir hören?«
Er zog sein linkes Bein aufs Sofa, richtete seinen Oberkörper in meine Richtung und stützte sich mit dem Arm auf der Rückenlehne ab, sein Blich bohrend auf mich gerichtet. Ich ahmte seine Pose demonstrativ nach, bemühte mich um das gleiche Selbstbewusstsein, die gleiche Sturheit. »Dass es dir gut geht?«, schlug er vor.
»Mir geht's gut.«
»Wirklich?«
Ich blinzelte, mit einem Mal wieder verloren in der Angst vor der Operation, vor den Gefühlen die sich in mir anbahnten, von dem Verlangen ihm Nahe zu sein. »Wirklich.«
»Okay«, sagte er und wandte sein Gesicht wieder dem Fernseher zu, sein Körper blieb mir zugewandt.
»Und dir?«, hakte ich nach und musterte sein Gesicht.
»Mir geht's gut«, wiederholte er meine Worte feixend. Ich gab ihm einen Stoß, doch das brachte ihn nur zum Lachen. »Ich schwör's. Wirklich. Heute ist ein guter Tag.«
Meine Mundwinkel zuckten ungewohlt nach oben. »Nur heute?«
»Heute besonders.«
Mir war klar, dass seine Worte wohl kaum eine Antwort auf meine Frage darstellen und er, wann immer es ernster wurde, die Fragen einfach umging. Ich ließ mich trotzdem näher an ihn ziehen, ließ seinen Daumen sanft gegen meine Schulter kreisen, lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
Ich wagte es kaum zu atmen, als könnte jede noch so winzige Bewegung ihn mit einem Mal verschrecken und fortjagen. Als könnte jede noch so winzige Bewegung dazu führen, dass er ging. Weil es zu viel wurde, weil es zu anders wurde, weil er er war und ihn verstehen zu wollen, einer höheren Mathematik glich. Einer höheren Kunst, während man selbst verloren danebensaß und nicht begreifen konnte, was in ihm vorging.
»Ist es bescheuert, sich so viele Gedanken über Titten zu machen?«, fragte ich ihn. Jonah stoppte in der Bewegung. Mein Herzschlag setzte aus. Er räusperte sich. Ich schloss die Augen.. Die Worte waren aus mir heraus gesprudelt, noch bevor ich überhaupt die Chance hatte, sie irgendwie aufzuhalten, sie einzufangen und erst wieder herauszuholen, wenn Emma meine Gesprächspartnerin war.
»Es ist ein Körperteil von dir«, entgegnete Jonah. »Wieso sollte man sich nur über Beine und Hände Gedanken machen dürfen?«
»Weil sie zu einem Schönheitsideal gehören.« Ich setzte mich wieder auf und sah ihm in die dunklen Augen. »Und auch wenn Dr. Iyer sagt, sie werden brusterhaltend operieren, kann ich mir gut selbst ausrechnen wie viel noch übrig bleibt.«
»Ich dachte, kleine Brüste wären voll im Trend.«
»Es gibt einen Unterschied zwischen kleine und keine.«
»Es macht allerdings keinen Unterschied. Die einzige Person, die mit dem Körperbild ein Problem haben wird, wirst du sein, niemand sonst. Du bist wunderschön, ob mit oder ohne Brüste ist dabei ziemlich scheiß egal.« Mein Herz sackte hinab, mein Magen zog sich zusammen und ich musste den Blick wieder von ihm abwenden, weil ich nicht mit der Intensität seiner Worte zurechtkam. »Hey«, murmelte er und ich zuckte erschrocken zusammen, als er seine Hände an meine Wangen hob und mein Gesicht zu sich drehte. »Es heißt nicht umsonst Selbstzweifel«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.
»Ich komme mir dumm dabei vor.«
»Wenn das dumm ist, bin ich ein totaler Idiot und du solltest schleunigst das Weite suchen.«
»Wieso bist du so?« Ich nahm seine Hände in meine und verschränkte unsere Finger mit einander.
»So wie?«
»So weise«, fügte ich hinzu und strich mir lachend über die Wangen. »Du bist wie der weiseste und älteste Mann der Welt.«
»Na danke!«, entgegnete er ebenfalls lachend.
»Komm schon, du hörst sogar Garage Rock!«
»Du hörst gar keine Musik, weißt du eigentlich wie verrückt das ist?«
Ich küsste ihn. Vermutlich hatte er recht und es war wirklich verrückt. Seine Hand glitt zurück an meine Wange und zog mich auf seinen Schoß, näher an ihn heran. Ich fuhr durch seine Haare, vermisste das Gefühl an mir selbst, vermisste die frühere Denna, die sich so viel mehr traute als das schüchterne Mädchen, das zurückgeblieben war. Die so viel mehr wollte, als die Deena, die hier mit ihm saß.
Seine Hände wanderten zu meinen Hüften und ich fasste neuen Mut, wollte den letzten Schritt wagen und fuhr mit meinen Fingern über seine Brust, als mit einem Mal nach meinen Händen griff und den Kuss unterbrach. »Deine Eltern – «
» – werden nicht vor zehn hier sein«, beendete ich seinen Satz, doch er schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück, den Blick zur Decke gerichtet. Sein Kehlkopf bewegte sich auf und ab, als er schluckte und mit geschlossenen Augen verkündete: »Können wir damit warten?«
Ich blinzelte irritiert und rutschte von seinem Schoß, versuchte die richtigen Worte zu finden, doch Jonah kam mir erneut zuvor: »Können wir bitte einfach hier sein? Zusammen?«
»Ja«, krächzte ich hervor.
Er griff blind nach meiner Hand und drückte sie. »Danke.«
Ich habe gerade meinen ersten Livestream auf INSTA beendet und WOW ich war so NERVÖS ich könnte jetzt glatt einfach einpennen.Hope euch gefällt das neue Kapitel
DU LIEST GERADE
A Pain That I'm Used To
Teen Fiction𝑨𝒍𝒍 𝒕𝒉𝒊𝒔 𝒓𝒖𝒏𝒏𝒊𝒏𝒈 𝒂𝒓𝒐𝒖𝒏𝒅 / 𝑾𝒆𝒍𝒍 𝒊𝒕'𝒔 𝒈𝒆𝒕𝒕𝒊𝒏𝒈 𝒎𝒆 𝒅𝒐𝒘𝒏 / 𝑱𝒖𝒔𝒕 𝒈𝒊𝒗𝒆 𝒎𝒆 𝒂 𝒑𝒂𝒊𝒏 𝒕𝒉𝒂𝒕 𝑰'𝒎 𝒖𝒔𝒆𝒅 𝒕𝒐 - D.M. Jonah Pulley zu kennen, war wie eine Reise an einen fernen, unbekannten Ort. Manchma...