Zweiundzwanzigstens

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Als ich am nächsten Tag in der Schlange für den Tee im Krankenhauscafé anstand, tippte mir eine Fremde auf die Schulter. Ihr Lächeln war breit und herzlich, doch ihre dunklen Augen wirkten wenig einladend. »Holly«, stellte sie sich vor, ohne dass ich auch nur zu Wort gekommen war.

»Deena«, murmelte ich perplex zur Antwort.

»Ich weiß. Wir sind uns mal begegnet, nur ganz kurz. Ich bin hier auf der Psychiatrischen.«

»Onkologie.«

»Tut mir leid.«

»Mir auch.« Einen Moment lang sahen wir uns stumm an, dann ergriff ich wieder das Wort: »Ich kann mich nicht an dich erinnern, tut mir leid – woher sagtest du, kennst du mich?« Die Kassiererin winkte mich zu sich und ich bestellte mir einen Kräutertee.

Holly winkte ab. »Irgendeine bescheuerte Selbsthilfegruppe, nicht weiter wichtig. Mir ist nur aufgefallen, dass du mit Jonah gehst.« Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

»Du bist gestern auch hier gewesen, nicht?« Ich nickte in Richtung der Ecke, in der die Mädchen gesessen hatten, die ich als sein Fanclub bezeichnet hatte. »Als wir uns gestritten hatten?«

»Habe was mitbekommen, ja.« Ich überlegte, ob ich sie dafür wertschätzen sollte, dass sie immerhin ehrlich war. Holly bestellte sich einen schwarzen Kaffee und folgte mir zu einem der Tische, ließ sich gegenüber von mir nieder, wie eine alte Freundin.

»Und woher kennst du Jonah?« Das Verlangen nach einer Antwort, der Wunsch endlich mehr über Jonah herauszufinden, nagte an mir, vermischte sich mit dem schlechten Gewissen, dass ich hatte, weil ich eine Fremde über ihn ausfragte.

Hollys Gesichtszüge verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen, als sie schließlich sagte: »Vom Rauchen, aus den Selbsthilfegruppen, 'ne Zeitlang hat er im selben Gang gewohnt wie ich, da hatten wir noch mehr miteinander zu tun.« Sie musterte mich. »Und du?«

»Habe ihn hier auf dem Gelände getroffen«, meine Stimme klang kühler als beabsichtigt. »Und wie du bereits sagtest, gehen wir miteinander.« Ich legte meine Hände um den heißen Becher und nippte an dem Tee.

»Worum ging's bei eurem Streit?« Ich verschluckte mich überrascht an meinem Getränk und sah das Mädchen vor mir an, versuchte in ihrem Gesicht eine Antwort darauf zu finden, wieso es sie so brennend zu interessieren schien, was ich mit Jonah am Hut hatte.

»Ich glaube nicht, dass es dich zu interessieren hat, worüber ich mit Jonah rede.«

»Komm schon! Weißt du eigentlich wie langweilig es hier sein kann?«

»Mein Leben ist nicht dafür da, dass du dich daran ergötzt. Ich bin TV-Sender.«

»Gut. Ich lass dich in Ruhe«, erwiderte sie schnippisch und verschränkte die dünnen Arme vor der Brust. »Aber weißt du was? Er wird dein Herz brechen, du denkst du kannst ihn ändern, aber das wirst du nicht. Er ist schrott, am Ende. Dem Typen kann niemand mehr helfen.« Energisch erhobt sie sich, nahm ihren Kaffee und marschierte davon, ließ mich genauso zurück wie Jonah es gestern getan hatte.

Ich grübelte über meiner Tasse, zerbrach mir über ihre Worte den Kopf, zerbrach mir über seine Worte den Kopf. Dann zog ich mein Telefon aus der Hosentasche und tippte eine Nachricht:

Deena (10:44 Uhr): Ich möchte mit dir reden. Kein Streit. Keine Vorwürfe. Reden.

Jonah antwortete, als ich gerade auf dem Weg zurück in mein Zimmer war. Schneller als ich erwartet hatte und doch sagten seine Worte weniger, als ich mir gewünscht hatte.

Jonah ♡ (11:02 Uhr): Morgen?

Deena (11:02 Uhr): nachmittags bin ich wieder zu Hause, du kannst dann vorbeikommen.

Jonah ♡ (11:03 Uhr): ok

Mit einem Seufzer steckte ich das Handy wieder weg und stieß meine Tür zum Behandlungszimmer auf, ließ mich auf meinem Bett nieder und starrte gen Decke. Die verrückte Holly hatte recht: Das Leben in diesem Gebäude konnte verdammt langweilig sein.

Nach der Uni kam Emma wie ein Wirbelsturm durchs Krankenhaus gefegt, in ihren Händen trug sie Kaffee und Tee in mein Zimmer und ehe ich ihr helfen konnte, schlug sie die Tür mit ihrem Fuß hinter sich zu. Ich aß gerade die eigens für die Onkologie gekochte Pampe an Nudeln und Emma runzelte, vermutlich wenig beeindruckt von dem Geruch, die Stirn.

»Ist Dolores gar nicht da?«

»Ich habe sie nach Hause geschickt.« Hauptsächlich, weil ich es nicht übers Herz gebracht hatte, meiner Mutter zu sagen, dass ich mich schon wieder mit Jonah gestritten hatte.

Emma zuckte mit den Schultern und ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. »Dein Essen riecht komisch. Wie die Mensa irgendwie, aber komischer.«

»Na, danke.« Sie nahm einen Bissen Nudeln und rümpfte die Nase. »Da fehlt Salz.«

»Ungesund, schon vergessen?«

»Ich glaube, diese ganze Ernährungsumstellung würde mich am Krebs am meisten anpissen«, verkündete sie und reichte mir den Becher mit dem Tee. »Grüntee, damit du endlich mal in die Gänge kommst.«

»Danke.«

»Glaubst du Dr. Iyer ist endlich bereit, mir so ein Krankenhausbett zu besorgen?«

»Vermutlich nicht.«

»Und bist du endlich bereit, mich über die ganze Jonah-Sache aufzuklären? Diese ganze Geheimniskrämerei ist nämlich wirklich nicht so mein Ding.«

Ich seufzte und stellte den Teller mit der halbgegessenen Portion Nudeln auf dem Nachttisch ab. »Ich habe heute eine ganz seltsame Person kennengelernt.«

»Gut-Seltsam oder mehr so WTF-Seltsam?«

»Zweiteres, definitiv«, begann ich und nippte an dem Tee. Emma hörte mit gerunzelter Stirn zu, während ich ihr von meinem Treffen mit Holly berichtete und stimmte mir schlussendlich zu, die ganze Situation war »WTF-Seltsam«.

»Glaubst du, die hatten mal was miteinander?«

»Keine Ahnung. Gestern meinte er nur, dass er mit einer geraucht hatte.«

»Vielleicht solltest du ihn in den Wind schießen.« Die Worte aus ihrem Mund zu hören tat weh. Ich versuchte mir einzureden, dass sie vermutlich Recht hatte, dass Emma sowas nie mit bösen Absichten von sich geben würde.

»Ich will ihn aber nicht in den Wind schießen«, gestand ich Zähne knirschend und sah in meinen Becher. Emma neben mir seufzte und strich mir mit ihren warmen Fingern über den Arm.

»Ich weiß, D-D.«

»Er ist so... so – « Mir fehlten die Worte, es gab vermutlich nicht einmal welche, die Jonah Pulley in seiner ganzen Pracht erklären würden. »Ich will ihn kennenlernen, ich will ihn verstehen können, aber er macht es einem echt schwer. Ich will ihm nicht das Leben reden, ihn irgendwie verändern, ich will einfach nur verstehen können, wieso einige Dinge ihn so aus der Bahn werfen können.«

»Vielleicht kann er es einfach nicht erklären.«

»Witzigerweise ist das genau das, was er auch gesagt hat.«

Emma legte den Arm um mich, drückte mich ans ich. »Weißt du was, D-D? Sobald du zu Hause bist, gehen wir zusammen shoppen, irgendetwas richtig heißes und dann machen wir uns einen richtig geilen Abend, nur wir beide.«

»Danke.«

»Jonah ist wie er nun mal ist. Wenn er behauptet ehrlich zu sein, ist er das vielleicht wirklich, einen wirklichen Grund um daran zu zweifeln hat er uns ja bisher nicht gegeben, stimmt's? Und wenn er dir das Herz bricht, trete ich ihm in den Arsch und ziehe die Antworten eigenhändig aus ihm heraus.«

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A Pain That I'm Used ToWo Geschichten leben. Entdecke jetzt