Siebtens

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Ich war erstaunt, wie cool Mum geblieben war. Jonah hatte mich an der Tür abgesetzt und sie hatte uns geöffnet, seinen Ausweis bereits in der Hand. Sie hatte es sogar geschafft, mir nicht irgendeinen peinlichen Kosenamen vor ihm zu verpassen, was mich vermutlich am meisten erleichterte.

Jonah verneinte auf die Frage, ob er noch mit reinkommen wollte und stand mit beiden Händen in den Hosentaschen an der Türschwelle, wirkte seltsam verloren an der Stelle.

Sie sah an uns beiden vorbei zur Straße, suchte vermutlich nach seinem Auto, von dem er ihr sicherlich hatte erzählen müssen, bevor sie zugesagt hatte, dass er mich entführte. Es würde mich nicht wundern, wenn sie auch sein Nummernschild notiert hatte »Seid ihr den ganzen Weg gelaufen?«, fragte Mum und richtete ihren Blick auf mich. Sie konnte mir jede Lüge einfach von den Lippen lesen, sah jede Unruhe in meinem Inneren. In dem letzten Jahr war sie verdammt gut darin geworden, mich zu durchschauen. Jedes »Es geht mir gut«, wurde von ihr analysiert. Jedes »Ich habe keinen Hunger« ergründet. An ihrem Wachsamen Blick ging nichts vorbei.

»Wir sind Bus gefahren, Ma'am«, antwortete Jonah und wippte leicht vor und zurück.

»Und dein Auto?«

Er sah mich kurz an. »Steht vor dem Krankenhaus. Deena hat gesagt, sie steigt nicht zu Fremden ins Auto.«

Ich presste meine Lippen zusammen und hielt einem weiteren, prüfenden Blick meiner Mum stand. »Das wurde mir beigebracht«, fügte ich also hinzu und hoffte, so ihrem Blick zu entkommen.

Mum seufzte. »Du bist unvergleichlich.« Sie wandte sich wieder Jonah zu und lächelte. »Hat mich gefreut dich kennenzulernen, wenn du mal zum Essen vorbeikommen möchtest, fühle dich herzlichst eingeladen. Beim nächsten Mal musst du dich nicht ausweisen.«

Er grinste als sie ihm seinen Ausweis überreichte. »Danke, Ma'am«, sagte er und schwieg, bis Mum umkehrte und wieder im Inneren des Hauses verschwand. »Glaubst du ich sollte ihr lieber schon beim nächsten Mal gestehen, dass mein Name eigentlich Dennis ist?«

»Dein - was?« Ich griff nach dem Ausweis in seinen Händen und blickte drauf.

Er lachte. »Das war ein Scherz«, sagte er und lehnte sich zu mir vor. Ich hielt den Atem an, als er mir ins Ohr flüsterte: »Ich bin eigentlich zwanzig und nicht einundzwanzig.« Seine Worte jagten mir einen Schauer den Rücken herunter.

»Dein Ausweis - «, ich hielt den Atem an, dann wandte ich mich ihm zu und wisperte: »Kannst du mir auch so einen besorgen?« Erst nach meinem Worten bemerkte ich, wie nahe wir uns standen. Jonah machte keine Anstalten zurückzuweichen und mich hatte man schon immer als sturköpfig bezeichnet.

Ich war froh, dass meine Eltern - oder schlimmer: Emma - uns nicht dabei beobachteten, wie wir so dicht beieinander standen. »Ich hätte nicht gedacht, dass du diese Art von Mensch bist«, murmelte er.

»Muss wohl dein schlechter Einfluss sein.« Ich vergaß meine fehlenden Augenbrauen und Wimpern, ich vergaß meinen kahlen Kopf und meinen schwachen Körper. Ich vergaß, dass ich jeden Mittwoch zur Chemo ging und danach mindestens drei Tage lang kaum ansprechbar war. Ich vergaß, wie stark ich an eine blasse Sphynx-Katze erinnerte.

Dann mit einem Mal realisierte ich, wie das hier eigentlich aussehen musste, räusperte mich und machte einen Schritt zurück, wurde vom Türrahmen aufgehalten. Jonah wich ebenfalls weg, stieg eine Treppenstufe herunter, während ich tiefer ins Haus wich. »Könnte eine Weile dauern«, sagte er dann.

Ich lächelte. »In drei Wochen feiern Ems und ich meine neuen Brüste. Du solltest kommen.«

»Ich werde da sein«, versprach er, den Blick noch immer auf mich gerichtet. Dann lächelte er und hob zum Abschied eine Hand. Er verschwand, bevor mir einfiel, dass wir die Handy-Generation waren. Bevor ich ihn nach seiner Nummer hätte fragen können.

A Pain That I'm Used ToWo Geschichten leben. Entdecke jetzt