„Mr. Page, vielen Dank, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten", wendet sich Dr. Cooke an Henry.
Henry und ich sitzen gemeinsam auf dem braunen Chesterfieldsofa in der Praxis meines Therapeuten, mein weinrotes Dezemberheft liegt auf meinem Schoß. Dr. Cooke sitzt wie immer auf dem zweiten Sofa und lächelt uns an.
„Henry, bitte nennen Sie mich Henry", sagt Henry freundlich und lehnt sich entspannt zurück. Ich kann nie entspannt auf diesem Sofa sitzen.Dr. Cooke nickt und wendet sich mir zu.
„Wie geht es dir heute, Max?"
„Sehr gut, Dr. Cooke", antworte ich wahrheitsgemäß und greife unbewusst nach Henrys Hand. Dr. Cookes braune Augen beobachten dies interessiert und er macht sich Notizen.
„Das freut mich sehr. Möchtest du mir erzählen, wie es dazu kam, dass deine Stimmung sich so merklich gewandelt hat?"
Ich räuspere mich.
„Es gab ein Missverständnis zwischen Henry und mir. Wir haben das geklärt und jetzt geht es mir wieder gut."„Was für eine Art Missverständnis?", fragt Dr. Cooke nun in Henrys Richtung. Dieser blickt mich fragend an, als wollte er um stille Erlaubnis bitten, es erzählen zu dürfen und ich zucke mit den Schultern. Ich habe keine Geheimnisse vor Dr. Cooke. Und selbst wenn ich welche hätte, könnte er sie alle in meinen Notizbüchern nachlesen.
„Maxwell nahm etwas an, wie ich über etwas denken würde und hat daraus leider falsche Schlüsse gezogen", erklärt Henry. „Und statt mit mir darüber zu reden, ist er geflüchtet."
Dr. Cooke nickt verständnisvoll. „Gedankenkarussell?", fragt er und ich nicke zustimmend. „Habt ihr darüber gesprochen?"
„Ja", erklärt Henry. „Und wir haben besprochen, dass Maxwell seine Gedanken immer gleich offen ausspricht."
Dr. Cooke notiert weiter und sieht Henry anerkennend an.
„Und funktioniert das?"Henry sieht mich kurz fragend an und zuckt dann grinsend mit den Schultern.
„Bislang hat er nicht viel gesagt."
Verblüfft starre ich den hübschen Mann neben mir an und knuffe ihn in die Seite, dass er leise kichert. Dr. Cooke beobachtet unsere Interaktion interessiert.
„Es gab auch nicht viel zu sagen, zumindest keine Zweifel oder seltsame Gedanken", füge ich hinzu.
Dr. Cooke notiert auch das.„Wir würden gern ein paar Tage wegfliegen", erkläre ich nun leise. Dr. Cookes Gesichtsausdruck hat keine Chance, die Verwunderung über mein Verhalten abzulegen. „Wäre das okay? Ich würde anrufen, wenn etwas ist und Henry hat ihre Nummer auch schon eingespeichert."
„Du musst mich nicht um Erlaubnis bitten, Max", sagt mein Therapeut freundlich. „Aber ich bin sehr froh über deine Umsichtigkeit. Wohin fliegt ihr denn?"Henry und ich sehen uns beide lächelnd an und Zucken fast zeitgleich mit den Schultern.
„Keine Ahnung", sagen wir wie aus einem Mund.
Ich bin immer noch furchtbar nervös beim Gedanken daran, in ein Flugzeug zu steigen und keinen festen Boden mehr unter mir zu wissen. Doch Henry hat mir versprochen, dass wir innerhalb der USA bleiben, da ich keinen Reisepass besitze und somit ist auch die mögliche Flugzeit begrenzt.Als wir später die Praxis verlassen, greift Henry meine Hand und seufzt erleichtert.
„Und das hast du jede Woche?", fragt er.
„Diese Sitzungen? Ja", antworte ich und genieße das Gefühl von seinen Fingern, die sich mit meinen verschränken. Die Luft ist eisig und es riecht nach Schnee, obwohl es bislang noch nicht geschneit hat.
„Das wäre mir persönlich ja zu langweilig."
Ich überlege kurz und antworte dann: „Mir hilft es, die Dinge auch mal anders zu betrachten."
Henry bleibt stehen und sieht mich liebevoll mit seinen braunen Augen mit den goldenen Flecken darin an.
„Dann bin ich sehr froh, dass du hingehst."•••
Etwa dreiundzwanzig Stunden später sitze ich mit meinem weinroten Dezemberbuch, welches meine kalten Finger krampfhaft umklammern, am Flughafenterminal. Mein Knie wippt nervös auf und ab und mir geht es gar nicht gut. Henry hat sein Versprechen bezüglich des Coddiwomple wahrgemacht und nun sitzen wir hier und starren auf die Fluganzeige.
Wir haben beschlossen, ein verlängertes Wochenende an einem uns noch unbekannten Ziel zu verbringen und allein die Tatsache, dass ich nicht weiß, in welcher Klimazone wir uns aufhalten werden, hat mich grenzenlos überfordert.
Glücklicherweise kam Jennifer mir beim Packen zu Hilfe, sie war begeistert von der Idee, auch wenn sie mir das Versprechen abnahm, mich zu melden, sobald ich wüsste, wohin es geht, wann wir fliegen, wenn wir angekommen sind, wenn wir im Hotel sind. Eigentlich muss ich mich jede Minute bei ihr melden, da sie so besorgt um mich ist.
Jetzt sitze ich hier neben einem wie immer gutgelaunten Henry, mein kleiner schwarzer Rollkoffer mit einem senfgelben Koffergurt neben mir, damit ich ihn auf dem Gepäckband wiedererkenne.
In meinem Koffer befindet sich eine hellgraue Jeans, eine schwarze Chinohose, genügend Boxershorts, ein anthrazitfarbener und ein dunkelblauer Pullover, ein dunkelblaues und ein hellgraues T-Shirt, eine kurze graue Hose, mein Kulturbeutel und ein weiteres weinrotes Notizbuch, da mein Aktuelles schon fast voll ist und ich mir sicher bin, dass ich es bis spätestens zu unserer Ankunft im Hotel, von dem ich noch nicht weiß, wo es sich befindet, gefüllt haben werde.Ich trage meinen senfgelben Pullover, eine dunkelblaue Jeans, meinen anthrazitfarbenen Schal und meinen schwarzen Wintermantel. Jennifer meinte, mit dieser Ausstattung wäre ich auf alles vorbereitet. Ich bin mir dessen nicht so sicher, aber vertraue auf ihre Expertise.
„Was ist deine Lieblingszahl?", will Henry auf einmal wissen. Ich blicke ihn verwundert an.
„Ich weiß nicht", antworte ich ehrlich. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht."
„Wirklich nicht?", fragt er überrascht. „Aber gibt es nicht irgendeine Zahl, die dich besonders anspricht oder dir oft begegnet?"
Ich überlege kurz und zucke mit den Schultern.
„Vier?", sage ich schließlich.
Henry lächelt mich an und nickt.
„Dachte ich mir."
„Warum?"
„Weil du nach Stabilität und Sicherheit suchst."
Meine Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen. „Und was hat das mit der Vier zu tun?"„Numerologie", antwortet Henry schlicht und schon wieder schlage ich mein Buch auf, um ein weiteres neu erlerntes Wort zu notieren.
„Auch Zahlensymbolik genannt. Jede Zahl hat ihre eigenen Eigenschaften und jeder Mensch eine Art Lebenszahl", erklärt der hübsche Mann neben mir.
„Woher weißt du das alles?", frage ich, während ich wild notiere. Henry fasziniert mich jeden Tag aufs Neue. Er lacht dieses umwerfende Lachen und antwortet: „Ich bin wie ein Schwamm für unnützes Wissen."Meine Hand stoppt plötzlich und ich sehe ihn ernst an.
„Ich finde es keineswegs unnütz."
Und einfach so, ohne nachzudenken oder zu grübeln, küsse ich ihn mitten in diesem Flughafenterminal und die Kolibris in meinem Bauch tanzen Polka. Henry Hand liegt sanft an meiner Wange und er strahlt mich an.
„Ich bin eine Drei."
Ich hebe eine Augenbraue und warte auf seine Erklärung, die auch prompt folgt: „Kommunikation und Kreativität."
Ich höre mein eigenes Lachen und nicke.
„Das könnte treffender nicht sein."„Zusammen ergeben wir eine Sieben. Also nehmen wir den siebten Inlandsflug, okay?", bietet Henry an.
„Wofür steht die Sieben?", frage ich skeptisch. „Nicht für Tod oder freien Fall, oder?"
Henry lacht laut auf.
„Ich erziehe dich noch zu einem richtigen Komiker, Maxwell. Nein, die Sieben steht für Glück, Neugier und das Gute. Uns kann also gar nichts passieren."Er streicht sanft über meine Wange und die goldenen Flecken in seinen braunen Augen funkeln regelrecht.
„Okay", sage ich. „Die Sieben."
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Wortliebe | ✓
Teen FictionMax mag Ordnung. Henry liebt das Leben und schöne Worte. Kann der Chaot den verschlossenen Einzelgänger aus seiner Nussschale locken? **Wattys 2020 Gewinner - Kategorie Young Adult** Hinweis: Erwachseneninhalt, für graphische Sprache und Beschreibu...