Ein neuer Gefährte

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(Wie immer ich bin kein Arzt, habe leider auch nicht wirklich was gefunden. Außer Zeugenberichte von meinem Uropa kann ich leider nichts zum Lungensteckschuss sagen)

Die aufgehende Sonne warf einen Schatten auf den Mann in der Sträflingskleidung, der in dem Garten stand und an der Wäscheleine zittrig Klamotten entnahm. Darauf bedacht, möglichst kein Lärm zumachen, von rechts hörte er die Hühner immer lauter werden. Sie waren 5 Leute und brauchten für alle Kleidung. Achtlos warf er das Diebesgut über den braunen Zaun, wo Katharina und Judith knieten und alles in den Schutz der Bäume brachten.

Erich robbte am Bauch über die Wiese einem Huhn hinter her. Weniger Zentimeter trennten ihn von dem Tier als plötzlich laute Rufe zuhören waren. Eilig sprangen die beiden Männer über den Zaun in Richtung Waldrand, hinter ihnen Schüsse, die in das Gras vor, hinter oder neben ihnen einschlugen. Die Schritte trugen sie hastig in das rettende Dickicht. Völlig außer Atem lehnte sich der Allgemeinmediziner an den Stamm eines Baumes, das war knapp doch sie hatten Kleidung das war alles was zählte. Eduard hatte in der Zwischenzeit ein paar mickrige Himbeersträucher entdeckt und die Beeren gesammelt, mit jener kleinen Beute eilte er zum ausgemachten Treffpunkt. Fast wollte er erröten, als er sah dass die beiden Damen sich entkleideten.

Immerhin war der Abiturient gerade einmal 18 Jahre alt. Rochus und Karl hatten damit nicht wirklich ein Problem. Karl war Arzt, das war nichts was er nicht regelmäßig sah und Katharina und er hatten ja eh ein Beziehung. Erich war es vielleicht nur gegenüber der Polin ein wenig unangenehm, da sie ja in keiner menschlichen Beziehungen zueinander standen, doch sie mussten sich eilen, irgendwo hinzukommen was möglichst weit Weg von Ausschwitz war.

Katharina nahm die sperrige Hose und ein weißes Hemd. Eilig zerschnitt sie mit dem scharfen Messer die Häftlingsuniform um eine Art Gürtel herzustellen, da die Männerhose ihr sonst vom Leibe rutschen würde. Judith wie ihr Mitflüchtling hieß, hatte bereits kurze Haare wie ein Mann und sie selbst eilte sich die Haare zusammen zu binden und einen scharfen Schnitt zu setzen. Achtlos schmiss die Berlinerin den abgeschnitten Zopf auf den Waldboden und sah die anderen an. Nun sahen sie nicht mehr aus wie auf der Flucht, ein Vorteil mehr.

Judith rückte noch einmal ihre neue Kleidung zurecht. "Ich niemals dachte, dass ich sage zu deutsche. Aber hoffe ihr werdet Leben." Die Worte waren hart, doch Karl konnte es verstehen, bei all dem Leid was ihr Land über Polen gebracht hatte. Alle Mitglieder der Organisation wünschten der jungen Frau dasselbe. "Wir hoffen du kommst gut in Warschau an, aber lass dich nicht erwischen." Karl reichte ihr die Hand, ein Händedruck zu dem "Feind" während des Krieges war so unrealistisch und dennoch standen sie hier in einem Wald 45 Kilometer vor Ausschwitz und taten genau das. War dieser Mensch da nicht nach der Ideologie des Regimes Abschaum? Der Deutschen Heeren Rasse unterlegen?

Die vier Berliner drahten sich um, ihr Weg trennte sich ab sofort. Ihr Weg sollte über Tschechien, Deutschland und Belgien gehen, dass hofften sie zu mindestens. Erichs Augen verengten sich, durch den Wald lief etwas. Die Angst war groß einem Trupp Soldaten oder am schlimmsten der SS in die Hände zulaufen. "Wir müssen hier weg...rennt!" Seine Stimme war so leise und dennoch verstanden ihn alle. Ihre Flucht war sicherlich nicht unbemerkt geblieben. Ein Knacksen und die Herzen der Organisation weißer Taube schlugen schneller. Adrenalin machte sich in ihnen breit und plötzlich stand da ein erster Soldat und die Gruppe begann zu rennen.

Das Laub am Boden und der leichte Hang beschwerten es. Vor ihnen lief Judith, die die Feinde noch gar nicht vernommen hatte. "Lauf eine SS Einheit!" Die Polin viel beinahe hin, hinter ihnen waren Schüsse. Karl und Katharina waren die ersten die oben in den Bäumen verschwinden konnten, ihnen dicht auf den Fersen Erich und Eduard. Doch von Judith fehlte jede Spur, die Polin war hingefallen, doch der Abiturient eilte zurück und griff nach ihr und eilte weiter. Plötzlich spürte er einen dumpfen Aufschlag, die erste Kugel traf ihn in der Nähe der Lunge. Blut bahnte sich seinen Weg durch den Mund, doch er spürte starke Arme die ihn mitzogen. Hinter ihnen immer noch die SS und Eduard war kurz vorm sterben! Doch zurücklassen war keine Option und ihre Rettung offenbarte sich in jenem Moment. Eine tiefe Grube, eilig drückten sie sich hinein. Keiner wagte es zu atmen, geschweige denn sich zu rühren. Über ihnen die Schritte der Soldaten.

Karl bettete innerlich und drückte Eduards Hand. Wie sollten sie ihn retten? Man konnte ihn nicht mehr retten, nur würdevoll sterben lassen. Die Zeit verging elendig langsam und als die Einheit abrückte widmeten sie sich sofort dem Verletzten. Katharina strich behutsam über seine Stirn. "Alles wird gut, alles wird gut. Du schaffst das ...hörst du." Karl wusste nicht was er tun sollte, solch einen Fall hatte er nie gehabt! Außerdem hatten sie nichts zum Behandeln. Man hörte Röcheln, der junge Mann drohte an seinem eigenen Blut zu ersticken. Eilig versuchten sie den Kopf zu überstrecken und ihm irgendwie zu helfen. "Sagt meiner Anja ich liebe sie..."

An jenem Tag war ein weiteres Mitglied der Organisation weißer Taube aus dem Leben gedrehten. Wie konnte man ihn würdevoll begraben? Eine Schaufel hatten sie nicht und auch nicht viel Zeit. Doch eilig nahmen die verblieben Männer die Arbeit auf. Egal wie lange es dauern würde, wenigstens die letzte Ehre sollte Eduard erhalten bleiben. Die Frauen bastelten ein Kreuz, Katharina fühlte sich so leer. Hatten sie sein Leben auf der Verantwortung? Schließlich war er nur inhaftiert, weil er mit ihnen zusammengearbeitet hatte. Schuldgefühle machten sich in ihr breit, nie würde vermutlich rauskommen das er hier lag. Doch die Ärztin schwor sich irgendwie, irgendwann seiner Mutter mitzuteilen was sich zugetragen hatte. Stumm standen die Freunde am Grab, beteten und dankten Gott für die Zeit mit dem Berliner.

Judith stand in einer Ecke und sah ihnen zu. Die sprachen alle nicht wirklich polnisch und waren dem Untergang geweiht, vielleicht konnte sie helfen. Schließlich hatte der Tote ihr auch geholfen. "Wir sollten uns nicht trennen, ihr nicht sprechen unsere Sprache und ich können helfen euch. Habe Freude in Wiederstand." Das klang nicht schlecht und somit blieb die Gruppe weiterhin bestehen, die sich ihren Weg durch das Land kämpfte.

Gefangen im FaschismusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt