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➷ 𝟷𝟿. 𝙾𝚔𝚝𝚘𝚋𝚎𝚛 𝟸𝟶𝟷𝟸

「 ⓟ🅞🅘ⓝⓣ 🅞🅕 ⓥⓘ🅔🅦:
𝐓𝐬𝐮𝐤𝐢𝐬𝐡𝐢𝐦𝐚 𝐊𝐞𝐢 」

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Ausdruckslos sehe ich Tadashis Gesicht dabei zu, wie es sich stetig verändert, von neutral, zu geschockt, zu traurig und dann zu für mich undefinierbar. Was auch immer der Anrufer will, irgendetwas muss wohl passiert sein. Die Frage ist allerdings, ob ich davon erfahren werde. Ich werde nicht nachfragen, wenn er es nicht selbst zum Ausdruck bringen will, ist es unwichtig. Ich verfolge das Gespräch weiter, bekomme aber nicht mit, was sein Gegenüber von sich gibt. Hellhörig werde ich erst, als Yamaguchi fragt, ob er nach Hause kommen soll. Scheint wirklich ernst zu sein, denke ich und schaue zu Boden. Ich fühle mich irgendwie fehl am Platz. Eine Hilfe oder Stütze bin ich gewiss auch nicht und etwas damit zu tun habe ich auch nicht. Also bleibe ich einfach still und zähle, wie viele Bücher in meinem Regal stehen, die ich aussortieren könnte. Eigentlich sind es nur Sachbücher, für andere Geschichten interessiere ich mich nicht. Ich kann mich sowieso nie mit einem der Protagonisten oder einer der Situationen verbinden. Meist sind mir die Protagonisten zu extrovertiert und das geht mir auf die Nerven, oder sie sind zu introvertiert und das geht mir auch gegen den Strich. Die Geschichten dahinter sind frei von jeglicher Logik und Realitätsnähe oder treffen meinen Geschmack nicht, also warum sollte ich so etwas lesen? Was lerne ich in solchen Geschichten schon? All die Bücher, die Verwandte mir schenken, rühre ich nicht an, also kann das auch alles weg. Scheinbar sehe ich so aus, als wäre ich der Typ, der viel liest. Liegt das an dem Klischee meiner Brille? Ich weiß es nicht, es kann mir auch egal sein. Ein kleines Lächeln ihnen gegenüber genügt und ich darf mich verziehen und die Bücher in die nächste Ecke pfeffern. Das einzige Buch, das bei meiner Art auszusortieren überleben würde, wäre ein altes Fotoalbum. Die Fotos darin sind definitiv grotesk, keine Frage. Ich wollte nie in einem dieser Fotos sein und das sieht man mir auch auf jedem Bild an. Wäre ich dreizehn, hätte ich es bestimmt sofort weggeworfen, aber vom heutigen Stand stehe ich wohl irgendwie dadrüber, aber auch nur, weil Yamaguchi mal gesagt hat, dass das alles eingefangene Momente von Situationen sind, die längst vergangen sind und so nie wieder passieren werden und diese Bilder eine der wenigen Beweise sind, die aussagen, dass das darauf Abgebildete wirklich passiert ist. Ich mag diese Ansicht und finde es interessant, so über Zeit zu denken. Sie vergeht so schnell und reißt alles mit sich, was bleibt da eigentlich zurück, außer Erinnerungen und eingefangene Momente durch eine Kamera?

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Tadashi seine letzten Worte in den Hörer sagt und dann auflegt. Ich sehe ihn fragend an, jetzt ist wohl seine letzte Chance. Er sieht zurück, sagt aber nichts dazu und setzt ein Lächeln auf, als sei nichts gewesen. Also wie immer, dann scheint es ja nicht so wichtig zu sein. Aber irgendwie macht es mich doch wütend. Ich muss zugeben, es macht mich nicht wütend, weil er nichts sagt, sondern mich macht der Fakt wütend, dass er denkt, ich wäre zu blöd um was zu merken. Ich würde jetzt wirklich gerne etwas sagen, ich mag es nicht, so dumm darzustehen, aber andererseits vermeide ich so vielleicht komische Gespräche oder andere Unannehmlichkeiten. Jedoch, so wie ich ihn kenne, würde er sicherlich auch alles abstreiten, selbst wenn ich ihn fragen würde. Das heißt, ich könnte ihn fragen, stehe dann nicht als dumm oder als Arschloch da und vermeide außerdem eben genanntes. Also tue ich das auch so.
"Ist was?"
Ein Schweigen von meinem Gegenüber folgt, fast, als wäre es Verwunderung.
"N-nein, alles gut.", seufzt er und dann setzt er sich neben mich auf das Bett, viel zu nah, für meinen Geschmack, aber es ist Tadashi, also stört es mich weniger, als wenn es wer anders wäre. Als er dann aber seinen Kopf auf meine Schulter legt, wird es mir zu viel. Ich bin kurz davor, aufzustehen oder ihn wegzustoßen. Ich würde körperlichen Kontakt wenn möglich lieber abblocken. Wie sehr ich es hasse, wenn man mich anfasst oder nur leicht berührt. Aber wie gesagt bin ich nur kurz davor, ich tue es nicht. Ich bewege mich keinen Millimeter, um genau zu sein. Es ist, als sei ich in einer Schockstarre und ich hoffe einfach, dass es bald aufhört. Bis mir auffällt, dass es eigentlich gar nicht mal so schlimm ist, wie wenn Akiteru seine Armbeuge um meinen Nacken legt oder wenn man mich antippt. Es ist sogar völlig erträglich. Letztenendes kann ich mir wohl irgendwie denken, dass er nach Trost sucht, aber nicht reden will. Zu meinem Glück, so bleiben mir unangenehme Szenarien erspart. Ich weiß nicht, ob ich es wissen oder verstehen möchte. Vielleicht hilft ihm das gerade ja schon genug. Eigentlich bin ich nicht so aus dem Grund, wie sich das gerade anhört. Ich würde mich nicht als arrogant betiteln, obwohl ich mich selbst auch nicht beschreiben kann, aber meine Beweggründe bauen nicht darauf auf, dass ich Yamaguchi nicht helfen möchte und nichts mit Problemen Anderer zu tun haben möchte. Ich meine, irgendwie ist es schon so, zumindest letzteres. Aber warum das so ist, ist eher, dass ich glaube, dass ich keine Hilfe wäre. Ich nehme ernste Dinge nicht ernst genug und kann nicht helfen, weswegen ich so etwas grundlegend aus dem Weg gehe, weil ich einfach keine Lust darauf habe. Keine Lust auf Missverstände und keine Lust darauf, Seelenklemptner zu spielen. Ich könnte das sowieso nicht und erachte es somit als unwichtig. Obwohl mich die Tatsache, dass Tadashi mein bester und einziger Freund ist und er der Einzige ist, den ich irgendwie akzeptiere und, ganz weit hergeholt, auch schätze, ein wenig ins Wanken geraten lässt. Obwohl, eigentlich Quatsch. Ich bin kein Hund, ich werde niemandem hinterherrennen und dazu zwingen, mir ihre Lasten aufzulegen, um mich letztenendes darüber aufzuregen. Besser, er behält es für sich, ich kann nichts für ihn tun. Ich löse seinen Körper geschickt von meinem, indem ich mich rausrede, dass ich mal muss. Also begebe ich mich in Richtung Bad und schließe mich dort ein. Natürlich muss ich nicht wirklich, aber ich bringe es bei Tadashis scheinbarem Gemütszustand nicht übers Herz, ihn einfach wegzuschieben. Stattdessen starre ich mich selbst im Spiegel an. So sehe ich das, was andere tagtäglich sehen. Je länger ich mich betrachte, desto surrealer und verzogener erscheint das Bild. Es wirkt fast gruselig. Ich sehe meine Augenbrauen, die sich so verziehen, dass ich fast böse aussehe. Meine Augen, die durch meine Brille ein wenig größer aussehen, als sie sind. Jeden Fettfleck auf meiner Brille, kleine Kratzer im Glas, die aber nicht so schlimm sind, dass man sie reparieren müsste. So sehen mich also alle jeden Tag. Ich bin schon komisch, denke ich. Ich habe für absolut niemanden gute Worte oder ein Lächeln übrig, zumindest nie ernst gemeint. Und Yamaguchi ist das genaue Gegenteil zu mir, er ist freundlich und lächelt oft. Und doch zieht er mit, wenn ich jemanden auslache oder gemein zu Anderen bin. Ein guter Einfluss bin ich nicht wirklich. Das netteste, das ich jemals gesagt habe, war vermutlich, als ich zu Tadashi sagte, dass er etwas entweder schafft oder eben nicht, aber beides nichts neues wäre. Schon fies. Dabei erhalte ich selbst doch auch Anerkennung für Kleinigkeiten, die nicht erwähnenswert wären. Aber egal, so bin ich nunmal. Es verwirrt mich, wie ich selbst meine Fehler sehe, aber es mir am Arsch vorbei geht und ich einen Dreck tun würde, mich zu ändern. Meine Art ist wohl einfach komisch. Vielleicht würde ich es eher "schwierig" nennen, für Andere nicht nachvollziehbar. Aber in der Hinsicht bin ich unverbesserlich. Überhaupt scheue ich jede Mühe, wenn mir die Dinge nicht einfach so zufliegen. Ich wende den Blick vom Spiegel und somit auch von mir ab und betätige die Spülung, damit kein Verdacht aufkommt. Dann verlasse ich das Bad und kehre zu Yamaguchi zurück. Zu meiner Verwunderung hat er bereits sein Bettzeug alleine fertig gemacht, der Futon liegt ausgebreitet auf dem Boden, ein Kissen und eine Decke, die meine Mutter wohl während meiner Abwesenheit nach oben gebracht haben muss, liegen darauf und Yamaguchi selbst liegt gerade darauf, seine Arme hinter seinem Kopf. Er sieht nachdenklich aus, ich sage aber nichts dazu. Ich war echt lange weg, denke ich, als ich bemerke, dass er sein Bett alleine aufgebaut und die Fläche darunter allein leer geräumt hat.
"Was machst du?", frage ich, als ich sehe, dass er einfach weiterhin stumpf da liegt.
"Wäre es okay, wenn wir jetzt schon schlafen gehen?"
Ich nicke und schalte also das Licht aus, dann tapse ich im Dunklen die letzten Meter zu meinem Bett. Das hatte ich nicht wirklich erwartet, aber stören tut es mich nicht. Wer weiß, was Tadashi hat, vielleicht ist es besser, wenn er jetzt einfach schlafen würde, wenn er das überhaupt kann. Denn ich kann es nicht. Ich liege noch eine sehr lange Zeit reglos da und denke nach. Soll ich nicht doch vielleicht irgendetwas tun? Aber was soll ich denn auch machen? Nein, es ist schon gut so, wie es ist, denke ich, schließlich passiert alles so, wie es letztendlich sein soll. Er kommt wohl schon klar, er ist schließlich kein Kind und ich bin kein Fußabtreter für die Probleme anderer. Letztenendes wäre ich sowieso keine Hilfe, wenn ich nicht seriös an so etwas rangehen kann. Wenn man selbst mit etwas nicht klar kommt, bedeutet das doch sowieso nur, dass man zu schwach ist oder zu unreif ist, kindisch eben. Ich kann mich mit sowas nicht befassen, davon bekomme ich Kopfschmerzen.
Und wieder erwische ich mich dabei, wie ich trotzdem über nichts Anderes nachdenke als darüber, ob mein Verhalten denn nun richtig oder falsch ist. Obwohl ich mich mehrere Male damit abgefunden und mich geeinigt habe, das Thema abzuschließen, kommt es doch immer wieder in meinen Kopf und ich weiß nicht, ob ich mich umentscheiden sollte. Wenn ich Yamaguchi wäre, würde ich wohl wollen, dass man mich einfach in Ruhe lässt. Also ist es vielleicht das beste, wenn ich meinen Mund halte und einfach schlafen gehe. Als ich noch sehr klein war und traurig oder wütend wegen irgendetwas ins Bett musste, sagte meine Mutter immer, morgen sehe die Welt wieder ganz anders aus. Und irgendwie hatte sie auch immer Recht. Mal sehen, wie es morgen ist, denke ich und rüste mich, so still es geht, mit Kopfhörern aus und höre den Klängen zu. So höre ich seinen Atem nicht mehr und muss nicht ständig darüber nachdenken, auch wenn ich es trotzdem tue. Ich hasse es, dass mich das doch so sehr beschäftigt.

IVORY KEYS - [tsukkiyama]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt