⑦ ⊱ • 「🎹」 • ⊰

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𝟸𝟾. 𝙰𝚞𝚐𝚞𝚜𝚝 𝟸𝟶𝟷𝟺

「 ⓟ🅞🅘ⓝⓣ 🅞🅕 ⓥⓘ🅔🅦:
𝐘𝐚𝐦𝐚𝐠𝐮𝐜𝐡𝐢 𝐓𝐚𝐝𝐚𝐬𝐡𝐢 」

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Andauernd wedle ich mir die kalte, frische Luft zu. Es ist so warm, dass es kaum auszuhalten ist, obwohl wir schon fast September haben. Vermutlich ist es die Hitzewelle, die wir den ganzen Sommer nicht hatten. Ich hatte mich schon darüber gefreut, dem Sommer einmal in meinem Leben entkommen zu sein, aber auch dieses Jahr war das wohl nichts. Aber zu dieser Zeit bei dieser Hitze in der Schule sitzen zu müssen, ist nochmal schlimmer, als wenn man sich irgendwo zuhause verkriechen kann. Immerhin sitze ich am Fenster, das heißt, ich kriege etwas vom Wind ab, während Menschen wie Tsukki, der in der Mitte und somit am weitesten von allen Fenstern entfernt sitzt, nur die drückende, schwüle Luft zu atmen bekommen. Aber es ist ja nicht mehr für lange. Der Unterricht ist fast vorbei und genauso wird auch das Schuljahr nicht mehr allzu lange gehen. Bis zum Dezember zieht es sich vielleicht ab und an noch, aber Januar bis März geht immer so schnell, dass man es gar nicht richtig merkt. Woran es liegt, dass ich das so auffasse, kann ich nicht ganz sagen. Aber es ist ein Trost, dass die Schule danach vorbei ist, klar, es geht danach weiter und vor Allem soll es noch schlimmer sein als die Schule. Aber auch, wenn es nicht unbedingt der schönste Ausweg ist, ich kann mittlerweile von meinem eigenen "Taschengeld" leben und könnte dem normalen weiteren Verlauf meines Lebens so ausweichen. Im Ernst. Ich bin aber eigentlich nur froh, dass niemand weiß, wer ich bin. Wenn es schon so weit kommen würde, dass man mich erkennt, wäre das mein Ende. Ich würde damit nicht klar kommen. Dieser aufkommende Druck würde mich langsam ersticken und dann umbringen, da verwette ich was drauf. Aber ich werde sowieso von der Schulglocke aus meinen Gedanken gerissen, da diese altbekannte Melodie uns nun endlich für diesen Tag entlässt. Es wurde auch langsam Zeit dazu, denn mir ist warm wie sonst was und ich habe gar keine Lust mehr auf irgendwas. Ein Glück, dass wegen der Hitze auch das Training abgesagt wurde. Ich wäre heute sonst noch weggestorben. Aber trotzdem hat sich der Tag einfach so unendlich lang gezogen, das war schon echt unnormal. Donnerstage ziehen sich sowieso schon immer, aber an einem so heißen Tag muss das erst recht nicht sein.
Ich verlasse gemeinsam mit Tsukki das Gebäude und überlege, ob wir nicht statt dem gemeinsamen Lernen etwas zusammen machen können. Es ist sowieso viel zu warm dazu und ich brauche auch ein wenig Ablenkung, sonst denke ich mir noch ein Loch in den Kopf oder komponiere aus Verzweiflung wieder ein neues Lied.
Ich schaffe es schließlich, ihn dazu zu überreden, zumindest nicht fünfzig Kilometer vorzulaufen, als hätte er es so eilig.
"Tsukki, müssen wir wirklich lernen gehen? Es ist viel zu warm und außerdem steht auch mein letztes Bedarfsfach jetzt gut. Wir haben in den letzten Wochen genug gemacht, wir schaffen die Abschlussprüfungen schon. Aber man muss sich auch mal einen Tag Pause gönnen. Du bist doch so schon schlau genug, drei Stunden weniger lernen tut dir nicht schlecht."
Er seufzt dazu erstmal nur.
"Fein. Aber was hast du denn vor? Bei dieser Hitze nichts zu tun ist doch langweilig und genauso anstrengend."
"Wir könnten uns doch ein wenig bei dir zuhause abspritzen."
"Wie bitte?"
"Na, mit deinem Schlauch. Der ist doch so lang, damit haben wir Bewegungsfreiheit und können uns nass machen. Das haben wir doch als Kinder immer gemacht, ich vermisse das irgendwie. Damals haben wir so viele Spiele erfunden, zum Beispiel, als der Strahl genau in das Loch am Ende von der Latte spritzen sollte und dann den Nachbar treffen sollte, den wir nicht mochten. Wir haben so viele Positionen ausprobiert, wie man am besten trifft, letztenendes ist aber der Nachbar gar nicht erst gekommen, obwohl wir es perfektioniert hatten. Am lustigsten war aber das erste Mal, das war, wo du zu weit drin warst und alles ins Haus gespritzt ist. Deine Mutter ist ausgerastet, ich bin deswegen tagelang nicht mehr gekommen. Das war aber auch meine Schuld, ich hätte dich nicht soweit gehen lassen müssen, schließlich war da kein Platz mehr. Tja, aber du wolltest dich mir ja nicht untergeben, obwohl ich als Schwächling schon die Macht über deinen Schlauch hatte. Na ja, so konnte ich es bis zum letzten Tropfen auskosten und mich für all die Male revanchieren, als ich derjenige war, der die ganze Ladung ins Gesicht-"
Ab dem Augenblick bricht er einfach in Gelächter aus.
"Also an sowas erinnere ich mich nicht."
"Mensch Kei, dein Schlauch, der lange, wo wir sonst immer drüber stolpern! Du weißt schon, was ich meine, wir haben doch vor fünf Jahren schonmal miteinander-"
Ich höre auf zu reden, als ich sehe, wie er vor Lachen schon weint. Ich glaube nicht, dass ich ihn in den letzten Jahren schonmal so doll lachen gesehen habe. Und als ich dann nochmal über meine Wortwahl nachdenke, merke ich auch endlich was. Ich habe das Gefühl, sofort dunkelrot anzulaufen.
"Tadashi, das war... Zu gut! Bitte, noch mehr davon!"
Ich lache aber trotzdem mit, ich weiß ja, dass so etwas niemals so passiert ist, wie es gerade aufgenommen wurde.
"Also, ich weiß nicht, ob ich das jetzt mental noch hinkriege, zuhause den Gartenschlauch zu benutzen, aber die Idee war nicht schlecht."
"Wir können uns auch jetzt gleich sofort ausziehen und dann zusammen-"
Und wieder habe ich es geschafft, aus einem ganz normalen Satz etwas ekelhaftes zu erzeugen.
"Bach! Zum Bach runter!", rufe ich schnell hinterher, als ich es bemerke und ich gestikuliere wild dazu.
"Schon verstanden. Können wir machen, aber du gehst zuerst und guckst, ob das ekelhafte Plürre oder klares Wasser ist."
Yay! Ich freue mich, dass Tsukki dem zugestimmt hat und laufe dann schonmal zum Bach vor, der hier auf dem Weg liegt. Ich warte jetzt schon sehnsüchtig darauf, das kalte Wasser in mein Gesicht zu spritzen und mit meinen kochend heißen Füßen hinein zu steigen. Als ich dort ankomme, schiebe ich sofort meine Hosenbeine hoch und steige ins Wasser. Das tut unfassbar gut. Das Wasser scheint sauber zu sein und der Boden ist auch eben, sodass man in dem Umkreis, den ich ablaufe, auch nicht auf einen Stein streten wird.
"Alles safe!", rufe ich zu Tsukki hoch. Dann setze ich mich auf die steile Grasböschung, lasse meine Füße dabei einfach in das Wasser sinken.
Schließlich kommt Kei auch endlich dazu. Er tut es mir gleich, er zieht Schuhe und Socken aus, schiebt die Hosenbeine nach oben und lässt sich neben mir nieder. Ich muss lächeln. Irgendwie fühlt es sich sehr idyllisch an, allein mit uns hier unten zu sitzen und einfach nur dem Wasser zuzusehen, wie es fließt. Ich beginne, ein wenig mit dem Fuß das Wasser hin- und herzuschieben, bis ich einfach so auf die Idee komme, das Wasser an Tsukkis Schienbeine zu spritzen und dann den Wasserperlen dabei zuzusehen, wie sie auf ihrem Weg einen feuchten Pfad hinterlassen und dann wieder abperlen und ins Wasser fallen. Damit beschäftige ich mich für die nächste Minute, bis ich plötzlich eine Hand auf meinem Rücken spüre, die mich nach vorne drückt. Durch die Steilheit der Böschung rutsche ich sofort mit meinem Hinterteil ins Wasser.
Super, jetzt sitze ich bis zu meiner Hüfte im Bach, dessen Wasser so kalt ist, dass ich kurz davor bin, einen hohen Schrei auszustoßen.
"Wer mir auf die Nerven geht, muss auch das Echo vertragen können.", sagt er trocken und beginnt, mich auszulachen. Ich könne ja jetzt theoretisch seinen Fuß wegziehen und ihn direkt hinterher ziehen, aber wenn er mich dann nicht für immer hasst, wird mein Karma dafür einen sehr hohen Preis haben, also versuche ich, es ihm auf eine andere Art heimzuzahlen.
Ich ziehe scharf die Luft durch meine Zähne ein, als hätte ich mich verletzt. Dann gebe ich ein "verdammter Mist" von mir und verziehe das Gesicht.
"Hintern zu knochig oder was ist los?", fragt er, so ganz kauft er es mir nicht ab.
"Neee, ich glaube, mir ist ein Missgeschick passiert."
"Du hast dich vor Schreck eingekackt?! Ne, das ist ein Witz oder?"
"Das nicht, aber ich glaube, ich hab' ne Scherbe im Hintern."
"Du hast was? Zeig her."
"Tsukki, da lag eine Glasflasche, meine ganze Hose ist von hinten zerrissen, ich kann doch jetzt nicht aufstehen!"
Ich sehe ihm deutlich an, dass er mit der Situation völlig überfordert ist. Klar, er denkt ja, dass er mich gerade schwer verletzt hat.
"Ja, aber wir müssen das doch behandeln, ich meine... Moment mal, warum färbt sich das Wasser nicht rot?"
Oh, verdammt, stimmt. So eine Menge an Blut würde man bei diesem klaren Wasser sofort sehen.
"Okay, gut, du hast mich."
"Man... Mach' das nie wieder. Nicht cool. Ich habe mich wirklich erschreckt."
"Tut mir Leid, ich wollte nicht alleine leiden. Wenn das nicht klappt, muss ich was anderes versuchen."
Kurzerhand schiebe ich seine Hosenbeine beide runter, sodass diese knöcheltief im Wasser stehen. Das war schon besser, was hasst man mehr als das Gefühl, wenn einem beim Händewaschen die Ärmel runterrutschen? Das hier löst hoffentlich ein ähnliches Gefühl aus.
Ich blicke auf und grinse frech. Es wurde mal Zeit, dass ich nicht immer nur der bin, der einstecken muss. Er schaut genervt zurück, aber dann lockern sich seine Gesichtszüge und er entspannt sich.
"Na ja, das habe ich wohl verdient.", sagt er und macht sich gar nicht erst die Mühe, die Hosenbeine wieder hochzuschieben.
Ich ziehe es nun aber langsam in Erwägung, mal aus dem Bach aufzustehen führe diese Überlegung auch aus. Das Wasser läuft und tropft alles wieder in den Bach, das Ganze ist so laut, dass es fast wie ein Wasserfall klingt.
"Weißt du jetzt, weshalb du das nicht tun sollst?", fragt er und schaut dabei in Richtung Sonne, die langsam aber sicher untergeht.
"Hmm? Was meinst du?"
"Na ja, vor fast zwei Jahren auf der Brücke hast du mich gefragt, ob du über den Bach laufen kannst, wenn er zufriert. Ich habe dir damals doch gesagt, dass es unangenehm ist, wenn du einbrichst. Jetzt hast du dort im Wasser gesessen, auch, wenn das meine Schuld war. Du hast gemerkt, dass es unangenehm war, oder?"
Wow, dass er sich an diese blöde Frage von vor fast zwei Jahren noch erinnert, überrascht mich irgendwie. Ich habe das schließlich damals nur einfach so gefragt, als Außenstehender, der meine Gedanken nicht deuten kann oder gar nicht erst daran denkt, dass ich eigentlich etwas anderes damit meinte, hat Tsukki natürlich keine Ahnung, dass diese simple Frage natürlich einen tieferen Sinn hatte. Ich wollte doch nicht wirklich wissen, ob ich den Bach überqueren sollte, wenn er zugefroren ist. Ich habe eigentlich in Rätseln und Metaphern eine Frage an ihn gestellt. Mich hat damals wie auch heute nur interessiert, ob ich das Eis brechen sollte. Ich bewege mich seit Jahren in Richtung sehr dünnes Eis, das aber erst einbrechen würde, wenn ich es auch wirklich betrete. Ich rede darüber, dass ich mich gefragt habe, ob Kei es wissen wollen würde, dass diese Freundschaft meinerseits viel tiefer geht, als er es vermuten würde und ich nicht weiß, ob es das richtige wäre, es ihm zu sagen. Ich stelle mir die Frage, ob ich es bei dieser Freundschaft belassen soll, schließlich wäre ein weiterer Weg deutlich komplizierter und riskanter. Es ist ja so, dass ich dadurch zwar vielleicht alles haben könnte, aber auch alles verlieren könnte. Also habe ich damals nur Pseudonyme verwendet und ihn gefragt, ob ich es riskieren und es ihm sagen sollte. Und er hat mir ja, wie er selbst gerade nochmal gesagt hat, davon abgeraten. Und deshalb habe ich es ihm bis heute nicht gesagt. Aber letztes Jahr, als wir an meinem Geburtstag am Strand waren, habe ich auch gemerkt, dass er ja damals nicht wusste, worum es eigentlich ging und ich es niemals wissen werde, wenn ich es nicht versuche. Und das alles wegen diesen einfachen Sätzen, die er von sich gegeben hat, als er mir die Muschel geschenkt hat, welche ich im Übrigen an einer Kette trage, wenn niemand zusieht und es nicht allzu riskant ist, dass die Muschel kaputt geht, schließlich ist sie zerbrechlich. Deshalb überlege ich tagein tagaus, wie, wann und ob ich es tun sollte. Um Tsukkis Frage zu beantworten, natürlich war es unangenehm, im Wasser zu sitzen. Und wenn es kein Pseudonym mehr wäre, dann hätte ich wohl ein Problem. Und genau das ist meine Angst.
"Na ja, natürlich war es nicht so schön. Aber ich bin ins Wasser gefallen, ohne dass es gefroren war und ich es zu überwinden versucht habe, also ist es nicht das Selbe."
"Schön, aber was nützt es schon, ob du es versucht hast. Letztenendes bist du doch gefallen, egal ob einfach so oder wegen eines kläglichen Versuches."
"Aber so war es auch eigentlich nicht gemeint. Ach, ist schon egal. Du hast vermutlich Recht. Aber warst du nicht derjenige, der mir immer sagt, dass ich nur auf meinem jetzigen Stand bin, weil ich mich selbst überwinden konnte, einen Knopf zu drücken?"
"Ähm... Na ja, das kann ich nicht entkräften, aber wir reden ja auch von zwei unterschiedlichen Dingen. Die Wahrscheinlichkeit hat eine große Differenz, ob du untergehst, wenn du dünnes Eis betrittst oder wenn du ein Video hochlädst."
Ja, fast richtig. Wir reden von unterschiedlichen Dingen, aber von Dingen mit einem so viel tieferem Sinn, den er gar nicht wissen kann. Aber ich kann nicht weiter in Rätseln sprechen, wenn er nicht weiß, was ich meine, ist es wohl nutzlos, also gebe ich einfach nach.
"Gut. Ist ja gut, ich habe es verstanden. Lass uns über was anderes reden."
Er nickt und steht ebenfalls auf. Es wird langsam ein wenig kalt, also verlassen wir den Bach, gehen die steile Böschung hoch und betreten dann die gepflasterten Steine. Da unsere Füße noch nass sind, wollen wir die Socken und Schuhe lieber nicht anziehen, aber das ist ein Fehler. Wir haben ganz vergessen, wie heiß der Asphalt in der Sonne geworden ist und springen kurzerhand wieder zurück auf das Gras. Das heißt dann wohl, dass wir eben die zwei Minuten warten müssen, bis unsere Füße trocken sind und wir wieder mit Schuhen laufen können, sonst kriegen wir noch Brandblasen und als Volleyballspieler sind diese nicht sonderlich vorteilhaft. Gott sei Dank geht das ja einigermaßen schnell, also können wir dann nach kurzer Zeit losgehen.
"Und, was machen wir jetzt noch?", frage ich, während wir die Straße runterlaufen, die wie leer gefegt ist. Kein Wunder, bei der Hitze ist niemand draußen.
"Also, in einer Stunde sollte es bei uns Essen geben und ich sollte dich sowieso fragen, ob du bei uns mitessen willst, aber bis dahin brauchen wir wohl noch eine Beschäftigung."
Auf einmal surrt mein Handy und wie gerufen hat meine Mutter mir eine Nachricht geschrieben.
< Kommst du zum Essen oder kommst du später? Kuss, Mama <3 >
< Nein Mama, ich komme erst später. Ihr müsst auch nichts übrig lassen. <3 >
"Gut, ich komme dann mit. Magst du ein Eis haben? Ich habe gerade Lust auf eins."
Er brummt dazu nur, das heißt sowas wie "Ja, aber muss nicht sein, mach, was du willst".
Also bleiben wir vor einem Kiosk stehen, ich lasse meine Taschen bei ihm stehen und hole von dem letzten Rest Kleingeld Eis für uns zwei.
Auf dem Weg zu Tsukki essen wir das Ganze dann auch auf. Das Essen ist fast fertig, als wir ankommen, also setze ich mich mit Tsukki ins Wohnzimmer und wir warten dort dann auf das Essen. Es ist still, da Akiteru nicht zu uns stößt wie sonst auch immer, schließlich ist er mittlerweile schon dreiundzwanzig und lebt bei sich zuhause.
"Still hier.", merke ich also an.
"Dann mach was dagegen."
"Was soll ich denn machen?"
Er führt seine ausgestreckte Hand nach vorne und richtet sie auf das Klavier, das dort noch immer steht. Nun ja, warum auch nicht?
Ich lasse mich also auf dem Hocker nieder und streife mit meinen Fingern über die Klaviatur. Das sind die Tasten, die aus Elfenbein gefertigt wurden. Es ist schon ein Kontrast zu meinem Keyboard, dessen Tasten aus Kunststoff bestehen. Generell gibt es viele Unterschiede zwischen dem elektrischen Keyboard und dem traditionellen Klavier, dass ich da erst mal wieder reinkommen muss, schließlich habe ich hier die Möglichkeit, mit Sustain, Soft und Sostenuto* zu arbeiten, statt später digital nochmal dadrüber zu gehen, da ich diese sonst extra kaufen und anschließen müsste. Ich habe zwar gelernt, damit umzugehen, aber wenn man es jahrelang nicht macht, kommt man da wieder raus.

* Die Pedale am Klavier
Sustain = Der Dämpfer, mit dem die Saiten freier schwingen können
Sostenuto = ähnlich dem Dämpfer, wirkt aber nur auf eine einzelne Taste, ist also ein selektiver Dämpfer
Soft = Leisepedal, wie der Name schon sagt, werden dadurch die Töne leiser und weicher

"Was soll ich denn spielen?", frage ich Tsukki, der in aller Ruhe da sitzt und sich kein Stück bewegt, man könnte sogar meinen, er atmet nicht mehr.
"Ich weiß nicht. Dein Neustes war gut, spiel das doch."
Zum Glück, ich weiß nicht, inwifern ich die älteren Lieder noch spielen könnte.
Also setze ich an und spiele die Noten so runter, zumindest, sofern ich mich an sie erinnere, sonst improvisiere ich. Ich versuche auch, die Pedale öfter miteinzubeziehen, aber ich bin damit noch unsicher, also mache ich das nicht oft. Nach etwa drei Minuten spiele ich den letzten Ton und sehe dann lächelnd zu ihm. Er lächelt so leicht zurück, dass es fast nicht sichtbar ist. Dann stehe ich auf und genau zu diesem Zeitpunkt werden wir dann zum Essen gerufen. Während des Essens darf ich mir dann wieder mal anhören, wie schön es ist, dass ich wieder so oft vorbei komme und dass meine Aufschläge ja so gut geworden sind und auch mein Klavierspiel immer schöner wird. Ich bedanke mich natürlich immer höflich und freue mich, dass ich hier immer wieder so wertgeschätzt werde und immer willkommen bin. Zum Abschluss helfe ich natürlich dabei, den Tisch abzuräumen und letzten Endes wird es dann auch Zeit, nach Hause zu gehen. Ich verabschiede mich angemessen und schließlich begleitet Tsukki mich noch bis zur Tür.
"Wir sehen uns dann morgen. Am besten wäschst du deine Hose, denn das Bachwasser stinkt."
Mir schießt augenblicklich Röte ins Gesicht. Das heißt ja, dass ich die ganze Zeit über gestunken haben muss, dabei ist das nicht mal meine Schuld.
"Das tut mir Leid...", sage ich, aber er winkt ab.
"Man hat's nicht gerochen, aber morgen wird man's."
Dann verabschiede ich mich endgültig und bewege mich in Richtung nach hause.
Es war ein schöner Tag, ich habe das Gefühl, dass ich Tsukki schon lange nicht mehr so offen und irgendwie auch glücklich gesehen habe. Ich freue mich sehr darüber und frage mich, ob ich etwas dazu beigesteuert habe, dass er heute so war. Er ist definitiv nicht zu jedem so.
Als ich zuhause ankomme, ist niemand da. Ich sehe mich um und sehe schließlich, dass das Essen auf dem Tisch steht, es liegt sogar schon auf Tellern, aber als ich ein wenig probieren will, merke ich, dass es schon kalt ist.
Das ist wirklich komisch. So langsam werde ich misstrauisch und beginne, meine Eltern zu rufen und im ganzen Haus zu suchen. Schließlich sehe ich sogar draußen nach und bemerke, dass kein Auto da ist. Na nu, wo fahren sie denn so spät noch hin? Warum sagen sie nichts und vor Allem, warum lassen sie das Essen einfach stehen?
Ich entschließe mich, meine Eltern anzurufen, aber bei meiner Mutter geht nur die Mailbox an. Ich bemerke aber auch, dass ihr Handy in der Küche liegt. Also rufe ich auch meinen Vater an, der nach einer Ewigkeit endlich ans Handy geht.
"Papa, wo seid ihr?", frage ich, und beruhige mich langsam. Immerhin geht jemand dran, dann wird wohl alles in Ordnung sein.
"Ehm, Tadashi, also, was soll ich sagen. Wir sind ins Krankenhaus gefahren, Mama geht es nicht so gut."
Ich erschrecke mich, als hätte mich jemand angetippt, während ich gerade in tiefen Gedanken stecke.
"W-was? Wie?"
"Wir waren am Essen, da hat sie einen erneuten Schlaganfall gehabt. Die Ärzte wollen sie diesmal so lange hierbehalten, bis sie wirklich was gefunden haben, schließlich ist das schon das dritte Mal."
In mir bricht gerade eine Welt zusammen. Drei Schlaganfälle. Ich habe so eine irre Angst um meine Mutter und dass ich sie verliere und jedesmal, wenn man denkt, es ist vorbei und es geht ihr gut, passiert wieder etwas. Es macht mir so viel Angst, dass ich meine Mutter verlieren könnte und es ihr nicht besser geht, ich mache mir so viele Sorgen, was dann mit meinem Vater passiert. Ich weiß genau, wie ich mich wieder verhalten werde und es überfordert mich. Was sind das für Ärzte, die keine Ursache für drei Schlaganfälle finden? Warum können sie Menschen teilweise wieder ins Leben rufen, aber meiner Mutter nicht helfen? Es macht mich verrückt, dass auch ich nichts tun kann. Und es macht mich verrückt, dass alles immer den Bach runtergeht, sobald es einmal für eine Zeit gut lief. Es ist nicht fair. Ich kann und will es nicht akzeptieren.

IVORY KEYS - [tsukkiyama]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt