Kapitel 19

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Sie saß seit einer gefühlten Ewigkeit auf dem Bett und starrte nach draußen. Sie fühlte sich seltsam leer und leblos. Aber zumindest nicht mehr so unruhig und rastlos wie zu Beginn. Als Edward sie zu dem Anwesen ihres Großvaters gebracht hatte, hatte sie sich allen entzogen. Sie wollte nicht in den Arm genommen werden. Nicht hören, dass alles gut werden würde, was ohnehin nicht stimmte. Nur Edward hatte sie in ihrer Nähe akzeptiert. Nur ihn. Er hatte nichts gesagt. Keine dummen Standardsprüche ihr vorgetragen. Er war einfach nur dagewesen. Dagewesen als Astoria geweint und gejammert hatte. Er hatte ihr über den Rücken gestreichelt, als sie sich zusammengerollt hatte auf dem Bett und er war einfach dagesessen, wenn sie wieder aufgestanden war und fahrig im Zimmer umhergeirrt war.

Umhergeirrt, weil sie das Gefühl hatte es nicht auszuhalten zu sitzen, zu liegen, zu rasten geschweige zu ruhen. Weil sie es nicht glauben wollte. Weil es unlogisch war. Sie hatte mit ihm doch noch telefoniert. Mit ihm gesprochen. Er hatte vorgeschlagen, dass sie am Abend seine berühmte Reispfanne machen würde, wenn er wieder da war. Aber Jackson würde nicht mehr kommen. Er war tot. Astoria kam es immer noch vor, wie ein grausamer Scherz. Sie rief sich seinen letzten Kuss in Erinnerung, wie die letzten Stunden so häufig, weil sie Angst hatte es zu vergessen. Dass es verblassen würde wie eine alte Fotografie. Sie wusste nicht, wann sie eingeschlafen war, nur dass irgendwann Aurora ins Zimmer geschlichen war. Sie hatte sich ohne was zu sagen unter Astorias Decke geschoben und Astoria hatte ihre kleine Tochter fest an sich gezogen und seitdem war sie wach.

Sie hatte Aurora eine Weile beim Schlafen zugesehen, bevor sie aufgestanden war, sich ihren Morgenmantel angezogen hatte und nun auf dem Bett saß, in dem Aurora schlief und Edward zusammengerollt lag mit seinem Hemd und seiner Anzugshose. Jack war tot und er würde nicht wieder kommen, dachte sie mit schweren Herzen, als die ersten Sonnenstrahlen sich durch die Parkanlage stahlen. Sie war jetzt wieder alleine. Ihr Herz schlug seltsam schwerfällig und sie wandte den Kopf, als Aurora sich leicht auf die andere Seite drehte. Sie musste jetzt für ihre Tochter da sein und es galt eine Beerdigung zu gestalten und vermutlich hundert andere Dinge, die es zu organisieren gab. Sie konnte sich nicht in eine Ecke setzten und wie ein kleines Kind sich dort verkriechen.

Sie stand leise auf, suchte nach passender Kleidung und fand ein schwarzes Etuikleid, bevor sie im Bad verschwand und sich duschte. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen immer noch gerötet, als sie aus der Dusche stieg und sich begann zu schminken. Dezent, abdeckend um die Spuren zu verdecken, die man ihr nicht ansehen sollte. Als sie ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, stieg sie in das Kleid, schnappte sich die passenden Schuhe und ging nach unten. Sie zog die Schuhe erst in der Küche an und begann Frühstück zu ordern bei dem Koch, der schon auf den Beinen war und sie verwundert und gleichzeitig irritiert anstarrte. Sie saß keine zehn Minuten später im Esszimmer, machte sich eine Liste und Kontaktierte die ersten Leute um alles in die Wege zu leiten. Sie brauchte jetzt einen Plan und vor allem eine Beschäftigung um nicht vollkommen durchzudrehen. Sie musste jetzt funktionieren wie eine Maschine, um nicht zusammenzubrechen.

Sie zwang sich dazu den Orangensaft zu trinken und aß ein wenig Jogurt und Obst. Sie musste sich für jeden Schluck, jeden Bissen regelrecht zwingen. Aber ohne Essen, würde sie nicht bei Kräften bleiben und das musste sie, die nächsten Tage... die nächsten Wochen... ihr restliches Leben. Sie beendete gerade ihr Frühstück, als sie Edward hörte und er mit zerknitterter Kleidung in der Tür erschien, als sie ruhig sagte.
„Ich bin hier."
Er wirkte erleichtert sie zu sehen.
„Du bist wach...", fing er an und sah irritiert auf den gedeckten Esstisch. „Und hast gefrühstückt?", stellte er verwirrter fest, wobei es eher wie eine Frage klang.
„Ja. Es ist genug für alle da. Schläft Aurora noch?"
Er nickte stumm und trat weiter in den Raum ein. Er schien sie zu mustern. Zu erkennen, dass sie angezogen war.

„Denkst du nicht, du solltest dich noch ein wenig hinlegen? Die Nacht war kurz und..."
Er brach ab, als sie den Kopf schüttelte.
„Nein. Ich kann nicht. Ich habe in einer Stunde einen Termin im englischen Ministerium und im Anschluss beim... Bestatter."
„Was willst du im Ministerium?", fragte Edward und setzte sich ihr gegenüber und behielt sie im Auge.
„Ich muss etwas unterschreiben, damit die Leiche freigegeben wird.", erwiderte sie und senkte dabei den Blick.
Jackson lag bereits im englischen Ministerium und die würden die Leiche erst freigeben, wenn sie ihn als den bestätigte, der er war. Nein, der er gewesen war.
„Tori.", murmelte Eddy. „Denkst du nicht, es wäre besser jemand von uns würde das machen und..."
„Nein.", unterbrach sie ihn erneut und stand auf. „Ich werde das machen."

Er folgte ihr, als sie in die Eingangshalle trat.
„Dann lass mich wenigstens mitkommen. Du solltest das wirklich nicht alleine machen."
Sie würde es nicht ertragen jemanden dabei zu haben. Sie sah ihn mit ernstem Blick an.
„Ich werde alleine gehen und ich möchte, dass du hierbleibst. Bei Aurora. Bitte, Edward."
Er presste seine Lippen fest zusammen und sie beide wandte die Köpfe, als man ein Auto vorfahren hörte.
„Du lässt dich fahren?" Sie nickte stumm. Sie war wahrlich nicht in der Verfassung selbst zu fahren und sie wollte in dem Zustand sicher auch nicht zersplintern oder mit dem Kamin reisen. „Bist du sicher, dass ich nicht mitkommen soll?"
Sie nickte wieder und griff dabei nach ihrer Handtasche, die auf einem kleinen Tischchen unter einem riesigen Spiegel stand.
„Ja, bin ich."
Sie ertrug jetzt keine Nähe und sie wollte sie auch nicht.

„Na schön.", meinte ihr Vetter und atmete schwer aus. „Aber wenn wir doch kommen sollen oder ich dich abholen soll, dann meldest du dich."
Sie nickte wieder und ging. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen und der Fahrer begrüßte sie knapp, als er die Tür aufmachte. Sie sah nach draußen, während sie ins Stadtinnere fuhren und spürte wieder diese seltsame Leere in sich. Ihre blauen Augen hefteten sich auf ihren Verlobungsring und sie schluckte hart. War ihr kein Glück in diesem Leben vergönnt? War es das oder war sie einfach nur verflucht? Sie schloss die Augen. Nein, es war ungerecht so zu denken. Sie hatte schon viel Glück und Liebe in ihrem Leben gehabt und sie hatte Aurora, ihren kleinen Engel. Nur eine Beziehung auf Dauer schien ihr nicht erlaubt zu sein. Erst das Fiasko mit Draco und jetzt, wo sie dachte endlich den Mann in ihrem Leben gefunden zu haben. Ja, sogar eine zweite Chance in der Liebe bekommen hatte, wurde er ihr wieder genommen. War das gerecht?

Im Ministerium war Mr. Potter verwundert, als sie auftauchte. Fassungslos darüber, dass sie alleine oder überhaupt selbst hier war. Vermutlich hatte er auch gedacht, dass jemand von ihrer Familie kommen würde. Er bekundete erneut sein Beileid, was sie mit einem Nicken hinnahm, als sie mit dem Aufzug in die Rechtsheilkundeabteilung fuhren. Hier war es kühl und schien sie noch mehr innerlich zum Zittern zu bringen. Es roch seltsam steril und nach Desinfektionsmittel.
„Eigentlich ist es nur eine Formsache und eine Identifizierung unnötig, weil wir ja einen Nachweis haben.", sprach Potter beinahe verlegen, als sie die Abteilung betraten und begrüßte dann offenbar den Heiler.

Es kam ihr ein wenig vor wie in den schlecht geschriebenen Dramen, als mach Jack holte. Liegend auf einen Tisch, abgedeckt mit einem Tuch. Er war seltsam blass und sah aber ansonsten unverletzt aus. Als... würde er nur schlafen.
„Kann ich... kann ich kurz mit ihm alleine sein?", fragte sie ruhig und Potter nickte.
Sie wartete bis er und sein Kollege gegangen waren, bevor sie sich dem Leichentisch näherte. Ihre Sicht verschwamm etwas, als sie zitternd ihre Hand hob, nur um sie an Jackson kaltes Gesicht zu legen und dann ihm sanft durchs Haar zu fahren. Genickbruch, das war die Todesursache. Es war schnell gegangen. Er hatte es vermutlich nicht einmal mehr gespürt. Sie hoffte, dass das stimmte.

Sie griff nach seiner Hand. Die Hand die viel größer als ihre war. Er hatte immer so schöne warme, sanfte Hände gehabt. Sie umklammerte die kalten Finger etwas fester und unterdrückte mit aller Macht ein Schluchzen. Was sollte sie jetzt ohne ihn tun? Was sollte sie jetzt machen? Sie beide hatten einen Plan. Eine Zukunft. Einen gemeinsamen Weg, den sie gehen wollten. Und nun? Nun war das alles einfach... fort? Zerstört mit einem Schlag? Wegen eines verdammten Autofahrers, der die Ampel missachtet hatte? Um vermutlich schneller irgendwohin zukommen. Und nun? Nun war ein Leben ausgelöscht und Astoria ihres zerstört. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die kalte Stirn und sah ihn wieder an.
„Mach dir keine Sorgen.", sagte sie leise und fuhr ihm wieder über die Wange. „Ich schaffe das." Irgendwie.

Sie stellte sich gerader hin und atmete tief ein und aus. Versuchte sich wieder zu sammeln. Alles was Jackson ausgemacht hatte, war nicht mehr hier. Das hier war nur sein lebloser Körper. Als sie nach draußen trat auf den Flur, stellte ich Potter und der Heiler gerader hin.
„Wo muss ich unterschreiben?", fragte Astoria ruhig und Potter hob ein Klemmbrett hoch.
„Hier." Er reichte ihr das Brett und einen Stift und sie unterzeichnete die Unterlagen. „Wenn Sie Hilfe brauchen, bei der Überführung oder einen Bestatter suchen....", fing er an und Astoria unterbrach ihn mit monotoner Stimme.
„Wir haben einen Bestatter. Ein Unternehmen, das seit Jahren für unsere Familie tätig ist. Ich habe im Anschluss einen Termin dort. Man wird meinen Verlobten heute noch abholen." Der Rechtsheiler und Potter nickten. Astoria gab ihm die unterzeichneten Unterlagen wieder und reichte dann Harry Potter die Hand. „Aber ich danke Ihnen."





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