Kapitel 4

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Astoria klappe vorsichtig das Märchenbuch zu und zog die Decke noch etwas enger um ihre Tochter, bevor sie sie sanft auf die Stirn küsste und die kleine Lampe an dem Bett von Aurora löschte. Nur noch das winzige Nachtlicht schenkte dem Raum etwas Helligkeit. Genügend für ihre kleine Maus. Es war heute doch noch ein langer aufregender Tag gewesen. Jack und sie waren mit Aurora im Zoo gewesen. Später hatten sie gemeinsam gekocht und gegessen, bevor Jack aufgebrochen war. Angeblich um zu arbeiten. Dabei hatte er Aurora vielsagend zugezwinkert. Es ging sicher um den morgigen Ausflug und sie wusste nicht, ob ihr das gefallen sollte. Aurora hatte nicht gesagt, um was es ging, sodass sich Astoria, wohl oder übel damit abfinden musste bis morgen zu warten. Sie schloss leise die Kinderzimmertür und ging hinüber in die Küche. Die Wohnung war gut eingerichtet. Hyperion hatte wirklich an alles gedacht. Astoria wusste, dass er wollte, dass sie hierblieb in England.

England. Es war seltsam. Sie hatte Jahrelang gedacht, dass sie vermutlich erst wieder in Jahrzehnten nach England konnte, und zwar, wenn ihr Vater das zeitliche segnete oder er gnädig ihr gegenüber war. Beides eher unwahrscheinlich und doch war ersteres eingetreten. Ob er es bereut hatte, sich vorher mit seinen Kindern nicht richtig auszusöhnen? Vermutlich nicht. Vermutlich hatte ihr Vater nur bedauert, dass er sein ganzes Gold nicht mitnehmen konnte. Sie griff nach den abgespülten Tellern und begann sie zu trocknen. Nein, ihr Vater war wahrlich kein angenehmer, geschweige guter, Mensch gewesen. Eher eiskalt. Gefühlskalt. Hatte es jemals Momente gegeben in denen er lieb und fürsorglich war? Wenn ja, dann konnte sich Astoria daran nicht mehr erinnern.

Sie hielt verwirrt inne, als es klingelte. Ihre Augen wanderten zu der Uhr, die an der Wand hing. Einundzwanzig Uhr. Wer kam um diese Zeit noch? Jack hatte gesagt, er würde morgen früh da sein. Ob es Edward war? Eher unwahrscheinlich. Sie ging in den kleinen Flur und eilte zur Haustür, damit der Besucher nicht noch einmal klingelte. Auroa nach zwei Geschichten zum Einschlafen zu bewegen war heute eine Höchstleistung. Was auch immer Jack morgen vorhatte, es brachte Aurora dazu völlig aufgedreht zu sein. Sie sperrte die Haustür auf und öffnete die schwere Tür, nur um zu erstarren. Sie blinzelte und brachte keinen Ton hervor.
„Hallo Astoria.", begrüßte die Blondine sie freundlich und Astoria konnte es immer noch nicht fassen, dass diese Frau wirklich gerade vor ihrer Wohnungstür stand.
„Hallo Narzissa.", erwiderte sie verwundert und bewegte sich nicht vom Fleck.

Es kam ihr surreal vor. Wann hatte sie Dracos Mutter das letzte Mal gesehen, bis auf die Beerdigung das letzte Mal? Sie glaubt, es war bei einem Abendessen in Manor. Bevor sie bemerkt hatte, dass sie schwanger war. Sie war oft bei den Malfoys beim Essen gewesen. Draco hasste es alleine mit seinen Eltern zu Abend zu essen. Es langweilte ihn, zumindest hatte er das immer gesagt. Was sie nie verstanden hatte. Sicher, Lucius Malfoy war kühl, aber an sich ein angenehmer Mensch und Narzissa... Astoria hatte immer das Gefühl gehabt in Dracos Mutter irgendwann so etwas wie einen Mutterersatz zu finden. Dumme naive Träume.
„Darf ich hereinkommen?", fragte die Ältere und riss Astoria aus ihren Gedanken. Die Blondine schien leicht rot zu werden. „Ich weiß, ich... ich sollte nicht hier sein." Das stimmte, dass sollte sie nicht. Schon alleine wegen dem Vertrag den Draco mit Astorias Vater geschlossen hatte. „Bitte.", fügte die Ältere schlicht hinzu und Astoria trat zur Seite, um sie ein zulassen.

Sie schloss die Tür hinter ihr und deutete auf den nächsten Raum. Das Wohnzimmer. Narzissa folgte ihr.
„Hübsch hast du es hier.", warf Narzissa ein.
„Ähm. Danke. Die Wohnung hat Hyperion für uns bereitgestellt, solange wir in England sind.", antwortete Astoria und räusperte sich. „Möchtest du etwas trinken? Tee? Kaffee?"
„Wasser bitte. Danke."
Astoria ging in die Küche und holte zwei Gläser und eine Wasserflasche. Was zur Hölle wollte Narzissa Malfoy hier? Sie betrat wieder mit bebenden Herzen das Wohnzimmer und sah, wie Narzissa an dem Sideboard stand und einen silbernen Rahmen in der Hand hatte. Hyperion hatte die Bilder aufgestellt. Vor allem waren es Fotos von Aurora. Sie hatte ein Foto in der Hand, an dem Aurora gerade mal sieben Tage alt war. Hyperion hatte sie auf den Arm.
„Sie war so winzig.", wisperte Narzissa, als Astoria die Gläser auf den kleinen Tisch vor dem Sofa stellte und Wasser eingoss.

„Sie kam zu früh auf die Welt.", erwiderte Astoria und Narzissa wandte sich zu ihr mit dem Bild in der Hand. „Fast vier Wochen.", fügte Astoria hinzu und die beiden sahen sich an. Narzissa sagte nichts. „Will ich wissen, woher du meine Adresse hast?", hakte Astoria nach und verschränkte die Hände vor der Brust.
Narzissa sah peinlich berührt auf das Bild.
„Ein guter Freund der Familie arbeitete im Ministerium und ... nun ja, er war mir ein Gefallen schuldig."
Sicher doch. So wie die halbe Welt einen Gefallen schuldig war bei den Malfoys. Astoria seufzte und setzte sich auf das Sofa.
„Was willst du hier? Du weißt genau, dass du damit gegen den Vertrag verstößt. Wir beide, weil ich es zulasse, Narzissa."
Die Blondine stellte das Bild zurück an ihren Platz und kam näher.
„Ich möchte mit dir reden, Astoria. Einfach nur reden."

Um zu Reden kam sie um diese Zeit zu ihr? Eher unwahrscheinlich.
„Ich wüsste nicht, über was?"
Narzissa zögerte und setzte sich auf den grauen Sessel, der neben Astoria stand.
„Hast du meinen Brief bekommen?"
Astoria presste die Lippen zusammen und zögerte, bevor sie nickte.
„Ja, das habe ich. Und auch ... auch das Geschenk." Narzissa hatte damals, als Astoria im siebten Monat war, ihr ein Paket zukommen lassen. Heimlich. Mit einer weißen Babydecke und einem ebenso weißen Kuscheltier. „Aurora liebt die kleine Eule abgöttisch."
Auch wen die Eule mittlerweile nicht mehr wie eine Eule aussah. Eher wie ein unförmiger Ball. Auf Narzissas Gesicht bildete sich ein kleines Lächeln. Vielleicht hätte sie eine Dankeskarte schreiben sollen, wie bei den anderen. Nein. Nein das sollte sie nicht. Weil sie damit gegen den Vertrag verstieß.

„Ich habe sie gesehen, am Friedhof.", sprach die Ältere. „Sie ist wunderschön, Astoria. Ein wahrer Schatz."
Ja das war sie, aber das wollte Astoria jetzt nicht hören.
„Weiß Lucius, dass du hier bist?", fragte Astoria kühl. „Oder Draco?"
Sie wurde wieder rot.
„Nein. Nein das wissen sie nicht." Natürlich wussten sie das nicht. Astoria zuckte innerlicher zusammen, als Narzissa ihre Hand austreckte und nach ihrer griff. „Ich bin hier, um mit dir zu reden und um etwas zu bitten, auch wenn ich nicht das Recht dazu habe, Astoria. Nicht nach allen was... was passiert ist."
Astoria stand auf.
„Bitte Narzissa. Mach es mir nicht unnötig schwer. Es gibt in diesem Punkt nichts mehr zu reden. Das weißt du, das weiß ich und alle anderen auch."

„Tori.", sprach sie schwer aus und Astoria vermied es sie anzusehen. „Ich bitte dich, als eigene Mutter, aber vor allem als Großmutter." Astorias Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Ich weiß, dass ich dazu kein Recht habe, nachdem was Draco getan hat. Aber denkst du wirklich, es fiel mir die letzten Jahre leicht, einfach in England zu bleiben, statt dich zu besuchen? Dich und ... und Aurora."
Astorias Stimme war belegt.
„Das spielt keine Rolle mehr."
„Doch das tut es. Draco mag sein Recht als Vater abgegeben haben. Aber ich wollte das nicht und ich will es auch nicht. Ich würde nie mein Recht als Großmutter einfach aufgeben."
Astorias sah sie verletzt an.
„Wieso willst du, dass nicht verstehen, Narzissa. Das spielt keine Rolle mehr, weil der Vertrag alles regelt und ich möchte jetzt, dass du gehst."
Sie würde dieses Drama um Aurora nicht mehr ertragen. Sie hatte es schon nicht ertragen, als die Kleine noch gar nicht auf der Welt war.

„Doch das tut es.", erwiderte Narzissa und zog mehrere Seiten Pergamentblatt aus ihrer Manteltasche. Sie stand auf und entfaltete die Blätter. Astoria erkannte es schon von weiten. Es war der Vertrag. „Ich habe mich kundig gemacht.", erklärte sie und hielt Astoria die Blätter entgegen. „Und dein Vater dachte zwar, er wäre ganz schlau mir den Kontakt zu verbieten, aber das kann er nicht und auch Draco kann es nicht. Denn ich habe dem nie zugestimmt und ich werde es auch nicht."
Sie kannte den Vertrag.
„Narzissa...", fing Astoria schwer seufzend an und Dracos Mutter griff nach ihrer Hand.
„Ich bitte dich, Astoria. Nein, ich flehe dich an. Gib mir die Chance meine Enkelin kennenzulernen. Ein Teil in ihrem Leben zu sein. Verwehre mir nicht das Recht, als einzige Großmutter, die die Kleine hat, für sie dazu sein. Und für dich dazu sein. Bitte, Astoria."







„Über was denkst du nach?", frage sie ihn, während sie in den breiten Ledersessel saß.
Er hob den Kopf. Er hatte ihr gegenüber Platz genommen und spielte mit seinem Glas, das inzwischen schon wieder leer war.
„Dass ich mehr Alkohol brauche.", murrte er.
Pansy rollte mit den Augen und stand langsam aus dem Sessel auf. Sie nahm ihm das Glas ab, nur um hinüber zur Vitrine zu schlendern und ihm nachzuschenken. Deutlich mehr Whisky als vorhin. Ihm war niemand anders eingefallen. Eigentlich würde er nach so einem Tag Blaise aufsuchen, aber erneut Gefahr zu gehen, ihr über den Weg zu laufen, wollte er nicht eingehen. Also war er zu Pansy. Deren Mutter alles andere als begeistert war ihn zu sehen, aber nichts weiter dazu sagte. Was wohl daran lag, dass Pansy seit gut drei Monaten verlobt war. Sie war vom Markt. Ganz zu schweigen, dass Draco nie ein sexuelles Interesse an Parkinson gehegt hatte, auch wenn sie sich das in ihrer Teenagerzeit oft eingeredet hatte.

Nein, Pansy war eine Freundin. Eine Spitzzüngige Freundin und sie wusste über das ganze Chaos-Drama Bescheid. Sie reichte ihm das Glas.
„Danke.".
Sie ging hinüber zu ihrem Platz.
„Wenn du mich fragst."
„Ich fragte dich aber nicht.", unterbrach er sie.
„Dann brauchst du eine Frau.", fuhr sie fort und ignorierte seinen Einwurf.
Er schnaubte.
„Schön. Hast du schon eine im Petto?"
Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Du könntest jede haben und das weißt du. Sie stehen reihenweise an." Tja, es interessierte Draco nur nicht. „Aber darum geht es nicht. Du brauchst eine Frau, mit der du es aushältst und die es vor allem mit dir aushält."
„Wie nett.", sagte er knapp und trank erneut einen großen Schluck Alkohol.
„Das ist mein Ernst, Draco. Du kannst Charmant sein, das wissen wir alle. Aber du bist auch oft arrogant, kühl und das größte Arschloch, das ich kenne. Du brauchst eine Frau, die bei dir bleibt und nicht wieder nach einem Jahr die Scheidung einreicht und damit dich und deine Familie ruiniert."
Wunderbar, er bekam Ehetipps von Pansy. Und er dachte schon, dass schlimmste was ihm heute passieren könnte, wäre auf Astoria und ihren neuen Macker zu treffen.

„Schön. Zauberst du sie her?", wollte er genervt wissen und Pansy überschlug elegant ihre Beine auf den Sessel.
Sie wirkte fast königlich, wie sie so dasaß. Beinahe auf Draco verächtlich herabsah.
„Wir wissen beide, dass die einzige Frau an deiner Seite Astoria sein kann."
Er fasste Pansy scharf ins Auge.
„Ich glaube, du verlierst langsam den Verstand, Parkinson."
Doch diese wirkte völlig gelassen.
„Das denke ich nicht."
Er leerte sein Glas und stand auf, um es selbst zu befüllen.
„Du weißt genau, wie dass das geendet hat. Oder nicht?"
„Das spielt keine Rolle. Astoria passt nicht nur Gesellschaftlich zu dir. Sie ist wohl die einzige, die deinen Wirrwarr aushält und dich nicht gleich bei jeder Kleinigkeit verflucht. Es war ein dummer Fehler sie von dir zu stoßen, Draco."
Er schnaubte verächtlich. Sie hatte sich entschieden. Sie alleine.

„Und du liebst sie immer noch."
Er wirbelte herum.
„Das tue ich nicht!"
Pansy lächelte kühl.
„Doch das tust du. Egal wie oft du das Blaise und den anderen erzählen willst. Und egal wie oft du dir noch einreden willst, dass du Astoria nie geliebt hast, sondern es nur um den Sex ging." Er bekam schon wieder Kopfschmerzen. Er nippte an dem Glas, als er sich von Pansy wegdrehte. „Und selbst wenn nicht, Draco. Du brauchst Astoria. Glaub mir. Sie wäre die richtige Wahl."
„Ich dachte immer, du hast sie?", fragte er kühl und Pansy lachte leise.
„Sicher. Das tue ich immer noch. Aber Frauen in unseren Kreisen hassen sich oft einander. Das hat etwas mit Neid und dem verdammten Konkurrenzkampf zu tun." Was auch immer. „Lass uns lieber überlegen, wie wir das hinbiegen. Als Erstes musst du den Vertrag aufheben."
Er fuhr sich über seine schmerzende Schläfe
„Pansy, das werde ich nicht tun."
„Aber..."
„Und es spielt keine Rolle, weil Greengrass einen neuen Partner hat."

Sie rollte mit den Augen.
„Ich bitte dich. Einen neuen Partner. Was heißt das schon?"
Er sah sie wieder an.
„Das heißt, dass sie eine Beziehung hat."
„Eine Beziehung bedeutet noch lange nicht, dass sie verheiratet sind."
Er leerte sein Glas und stellte es ab.
„Lass es gut sein. Wirklich. Ich habe keine Lust mehr auf mehr Drama mit Greengrass. Diese Zeiten sind schon lange vorbei." Parkinson wirkte regelrecht enttäuscht. Vermutlich hatte sie sich schon in Gedanken diverse Pläne zu Recht gelegt. „Ich denke, ich werde Nachhause gehen."
Er hielt an der Tür inne, als sie seinen Namen sagte und wandte sich ihr wieder zu.
„Wärst du auch so gleichgültig, wenn du keine Tochter, sondern einen Sohn hättest?"
Wieso fing sie jetzt auch mit diesem Kind an? Musste wirklich jeder damit anfangen?
„Das ist nicht mehr wichtig. Oder?"
„Warum? Weil es ein Mädchen ist?", fragte sie gegen.
„Nein. Weil ich mein Recht als Vater abgegeben habe, und zwar schon vor der Geburt."
Bevor er überhaupt gewusst hatte, was es wird.

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