Mein Bauch grummelte unaufhörlich. So stark, dass die ältere Dame neben mir im Bus schon anfing, mich mitleidig zu betrachten. Ich rechnete fast damit, gleich eine Süßigkeit zugesteckt zu bekommen, so wie es meine Oma früher getan hatte, wenn wir nach einem Besuch bei ihr den Nachhauseweg antreten wollten. Eingewickelt in einen Zehneuroschein, die sie wohl damals immer auf Vorrat in ihren Kleidern parat gehalten hatte. Ich wäre nicht verwundert gewesen, wenn sie ihr ganzes Vermögen durchweg bei sich getragen hätte.
Doch gerade in diesem Moment, in dem überfüllten Bus, der nach Schweiß gemischt mit einer ordentlichen Dosis Deo stank, wollte ich nichts dergleichen, was ich dann höflich wieder ablehnen müsste. Mir war es schon peinlich genug, dass sich mein Körper anhörte wie ein alter Trecker. Deshalb versuchte ich, das unüberhörbare Rumoren meines Magens mit einem sanften Lächeln auf den Lippen zu kaschieren und somit der Frau, die schon verdächtig in ihrer Handtasche kramte, den Eindruck zu vermitteln, dass ich keine Almosen von ihr benötigte.
Umso froher war ich deshalb, als ich endlich den Bus verlassen konnte und auf dem restlichen Weg zu unserem Haus im alleinigen Beisein mit meinen Körpergeräuschen war. Mein Hungergefühl hatte sich noch nicht an den neuen Rhythmus gewöhnt. Da Lars tatsächlich nun häufig im Dagobert anzutreffen war, verzichtete ich freiwillig auf die Joghurtdrinks und Schokoriegel und hungerte bis in den späten Nachmittag. In meiner Verzweiflung war ich sogar noch einmal in Versuchung geraten, mich an der Schlange der Cafeteria anzustellen. Doch dann hatte ich die angewiderten Gesichter der Schüler gesehen, die sich gerade einen Löffel Chili con Carne mit Reis in den Mund gesteckt hatten, und war direkt wieder davon gerauscht. Die Mittagspause verbrachte ich nun in der kleinen Schulbibliothek, die ich für mich entdeckt hatte. Dort fühlte ich mich relativ sicher vor unerwünschten Begegnungen, vor Jasper, dem ich bis zum jetzigen Zeitpunkt aus dem Weg gegangen war. Nicht, dass ich mich nach unserem Treffen zu irgendetwas verpflichtet fühlte. Ich wollte ihm schlichtweg nicht begegnen, da mir mit jedem weiteren Gedanken an ihn bewusst wurde, dass seine Wirkung auf mich schon jetzt eine ungewollte Größe angenommen hatte. Diese galt es nun zu bekämpfen.
Ungeduldig steckte ich den Haustürschlüssel ins Schloss und war erleichtert, als ich kurz darauf das vorbereitete Essen auf dem Herd erblickte. Ich lud mir direkt eine große Portion Nudeln auf den Teller und begoss sie großzügig mit Bolognesesoße. Mit meinem in der Mikrowelle aufgewärmten Essen stapfte ich die Treppe hoch und machte einen kurzen Abstecher zum Büro meines Vaters. Dieser saß über seinen Schreibtisch gebeugt, hochkonzentriert, was man bei ihm immer an der herausgestreckten Zunge erkannte.
»Hallo, Papa.« Einige Sekunden verstrichen, bis sein Gehör meine Worte aufgenommen und verarbeitet hatte. Ich nutzte die Zeit, um mir schon einmal eine Gabel Spaghetti in den Mund zu schieben. Seine Stirn war in Falten gelegt, als er sich in meine Richtung drehte. Er wirkte etwas aus dem Konzept, weshalb ich vermutete, dass es bei seiner Arbeit gerade nicht so lief, wie er es gerne hätte. Dennoch lächelte er, zwar etwas krampfhaft, aber immerhin.
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Und mit der Flut kamst du
JugendliteraturAls Leonie mit ihrer Familie ein weiteres Mal umzieht, ist sie der festen Überzeugung, dass der Aufenthalt in der neuen Stadt ebenfalls nicht von Dauer sein wird. Von Anfang an stellt sie sich darauf ein, keinen zu nah an sich heranzulassen und Freu...