[16] • Schlafmangel

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Müde verfolgte ich die krakelige Schrift meiner Englischlehrerin an der Tafel

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Müde verfolgte ich die krakelige Schrift meiner Englischlehrerin an der Tafel. Die letzte Nacht hatte ich nicht gut geschlafen, wie auch die Nächte zuvor. Meine Hoffnung, Cleo würde sich schnell von der Demütigung auf dem Schulhof erholen, war bitterenttäuscht worden. Fast eine ganze Woche haperte sie nun schon damit. Sie lachte und redete kaum, verbrachte lieber Zeit allein und schickte mir sogar am Nachmittag keine nervigen Nachrichten mehr, sodass ich schon mit dem Gedanken gespielt hatte, ihr etwas zu schreiben. Doch immer, wenn ich angestrengt auf das Textfeld gestarrt hatte, waren mir einfach nicht die passenden Wörter eingefallen. Sei froh, dass du ihn los bist, schien mir nicht gerade der Satz zu sein, den sie zurzeit hören wollte. 

Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen. Die Auseinandersetzung mit Moritz und seinem Gefolge hatte genau den Rückzug hervorgerufen, den ich mir von Cleo noch am Anfang des Schuljahres gewünscht hatte. Doch nun konnte ich nicht verhindern, dass es mich beschäftigte, dass es mich regelrecht störte, wie sie sich von allen abschottete. Denn es ging hier nicht um ihr alleiniges Verhalten mir gegenüber, das hätte mich die Angelegenheit eventuell noch anders bewerten lassen, sondern um ihre Einstellung im Allgemeinen. Sie wirkte beinahe, wie ein Schatten ihrer selbst und das nagte an mir. Es gefiel mir schlichtweg nicht, sie so zu sehen.

Jedoch war meine Schlaflosigkeit nicht nur auf das Cleo-Problem zurückzuführen. Jasper hatte genauso daran Schuld, dass meine Lider nur noch auf halber Höhe hingen. Mein Gehirn war dazu übergegangen, das Letzte, was Jasper zu mir gesagt hatte, in Dauerschleife in meinem Kopf abzuspielen. Wenn wir das Ganze nicht definieren, ja, was dann? Glaubte er, dass ich aus diesem einfachen Grund, nur weil es meiner verquerten Logik entsprach, zusagte und mit ihm auf diesen ominösen Herbstball ging? Auf einen Ball. Ich. Das passte in keinem Universum zusammen.

Vor allem schienen die hier alle eine bestimmte Strategie zu verfolgen, um mich zu irgendwelchen Aktivitäten zu überreden. Während Cleo mich damals ständig auf die Party angesprochen hatte, zu der ich eigentlich nicht hatte gehen wollen, war Jasper einfach wieder abgetaucht. War es nun an mir zu reagieren? Schuldete ich ihm eine Antwort? Doch eigentlich hatte ich ihm bereits eine Absage erteilt, da würde auch sein letzter Überzeugungsversuch nichts dran ändern, auch wenn ich seine Stimme unentwegt im Ohr hatte. Und das Gefühl seines Atems auf meinen Lippen. Ich ließ das Gesicht in meine Hände sinken, als ich daran dachte, wie nah wir uns gekommen waren. An diesem Tag war eindeutig zu viel passiert, als dass ich einordnen konnte, warum ich so gehandelt hatte, wie ich es nun mal getan hatte. Doch fast schlimmer waren meine Gedanken danach gewesen, das, was ich mir ausgemalt hatte, als ich wieder allein in meinem Bett lag. In meiner Fantasie hatten wir den Abstand zwischen uns überbrückt, die wenigen Zentimeter zwischen uns zunichtegemacht und eine Berührung geteilt, die mich in Brand gesetzt hatte, auch wenn sich diese Szene lediglich vor meinem inneren Auge abgespielt hatte. Dafür immer und immer wieder.

Etwas unbehaglich rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her, da ich befürchtete, jemand könnte meine Gedanken lesen, die sich gerade unaufhaltsam in mir ausbreiteten und schon wieder jegliche Abläufe in meinem Körper durcheinanderbrachten. Dabei machte ich wohl mit meinen unnatürlichen Bewegungen erst recht auf mich aufmerksam. Deswegen zwang ich mich zur Ruhe, versuchte Klarheit zu fassen und konzentrierte mich erneut auf das Unterrichtsgeschehen, das sich langsam dem Ende neigte. Eilig notierte ich die Hausaufgaben, die uns diktiert wurden, und packte dann meine Sachen zusammen. Ich musste mich bewegen. Ich wollte die Bilder, die mir so den Verstand raubten, in den Boden stampfen, gänzlich vergessen und doch gleichzeitig in Einsamkeit genießen. Mich heimlich einer Versuchung hingeben, verpackt als eine Spinnerei, ein Hirngespinst, ganz für mich allein, ohne dass je ein anderer davon erfuhr. Wenn wir das einfach nicht in Worte fassen, dann spricht doch nichts dagegen. War es wirklich so simpel?

Und mit der Flut kamst duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt