»Du bist wie eine Luftblase. Du bist der Sauerstoff, der durch meine Lungen strömt und mich am Leben hält«, zitierte Cleo einen Teil meiner Hausaufgabe, während ich mich immer tiefer in die Polster des alten Sofas drückte. Mir wurde mit einem Mal bewusst, dass es mir nicht gefiel, wenn jemand etwas vorlas, das ich selbst geschrieben hatte. Damit konnte ich irgendwie nicht umgehen, auch wenn ich eigentlich ganz zufrieden mit dem Endergebnis gewesen war. »Doch es gelingt mir nicht dich festzuhalten, denn dafür schwebst du schon viel zu hoch oben.«
Sie hob ihren Blick an und strahlte mir entgegen. »Gott, Leonie! Das ist super! So etwas brauchen wir hier. Es ist einfach perfekt für unsere freie Rubrik.«
Ich wich ihrem Starren aus und fokussierte stattdessen einen der vielen Kartons, die hier im Dagobert in jeder Ecke standen. Sie wurden notdürftig mit Klebeband zusammengehalten. Es mussten noch einige Zeitschriften darin herumliegen, die von niemanden gelesen werden wollten. Auch wenn ich Cleo eine Zusage geben würde, dann würde meine Hausaufgabe wohl das gleiche Schicksal ereilen und ungelesen zwischen maroder Pappe enden. Ich hatte also eigentlich nichts zu befürchten. Nur eine einzige Vermutung hielt mich davon ab, mein Werk dem Papageien-Club zu überlassen. Denn wenn ich erst einmal damit anfing, ihnen zu geben, was sie wollten, dann würden sie mich mit Sicherheit nicht so schnell gehen lassen und die nervigen Fragen, ob ich etwas Neues für die Zeitung schreiben würde, wollte ich tunlichst umgehen. Diese unausgesprochene Verpflichtung wollte ich mir nicht anlasten.
»Und was sagst du, Leonie? Gibst du uns dein Ja?« Cleos Stimme triefte nur so vor Lieblichkeit. Sie steckte wohl große Hoffnung in meine Antwort.
Ich griff nach der Ausgabe, die ich mir eben aus einer der Kisten gezogen hatte, um mir endlich mal selbst ein Bild von der Schülerzeitung zu machen. Es war eine vom letzten Monat, doch das Titelblatt sah aus, als wäre es vor zehn Jahren von einem Grundschüler designet worden. Wirr zusammengebastelte Bildmotive wurden von unzähligen Themenüberschriften überlagert. Nirgendwo lag der Fokus, noch nicht einmal auf der Headline, die mit der schlecht gewählten Schrift neben all dem einfach unterging. Es wirkte komplett überladen. Dabei stand das Äußere der Zeitung im vollkommenen Gegensatz zu den Artikeln zwischen den Umschlagseiten. Das, was ich bis jetzt gelesen hatte, während mich Cleo ununterbrochen über meine Hausaufgabe und die Vorzüge einer Veröffentlichung im Dagobert zugetextet hatte, war wirklich gut gewesen. Es war aktuell, teils sarkastisch angehaucht, teils ernst behandelte Themen. Zudem war es durch und durch abgestimmt auf das, was die Schüler an dieser Schule interessieren könnte, aber über das Cover konnte es einfach nicht vermittelt werden. Am Ende zählte jedoch der erste Eindruck und wenn ich ehrlich war, also zumindest zu mir selbst, war der gelinde gesagt grauenhaft. Mit dieser Art von Titelblatt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis von der Schülerzeitung die letzte Auflage produziert wurde.
»Also, ich weiß nicht«, druckste ich herum, um Cleo hinzuhalten. »Kann ich mir das noch überlegen?«
Sie bedachte mich stumm, als würde sie erst genau abwägen, was sie jetzt als Nächstes sagen wollte. Anscheinend versuchte sie, ihre Worte mit Bedacht zu wählen, damit sie aus mir doch noch eine Zusage herauskitzeln konnte.
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Und mit der Flut kamst du
Genç KurguAls Leonie mit ihrer Familie ein weiteres Mal umzieht, ist sie der festen Überzeugung, dass der Aufenthalt in der neuen Stadt ebenfalls nicht von Dauer sein wird. Von Anfang an stellt sie sich darauf ein, keinen zu nah an sich heranzulassen und Freu...