Kapitel 2

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Nie hätte ich gedacht, dass ein so harter Biker, doch so fürsorglich sein könnte. Als wir in meine Wohngegend kamen, wurde er noch langsamer, sah sich die Häuser aufmerksam an und staunte nicht schlecht, als er vor meinem hielt. Unser Haus stand am Ende der Straße und konnte eher als Villa beschrieben werden. „Hier wohnst du?" Fragend sah er mich an, wobei seine Stirn ein paar Falten warf. Zögernd nickte ich, stieg von seinem Motorrad ab und kramte in meinem Rucksack nach dem Hausschlüssel. „Ähm...ja...wie gesagt, vielen Dank", stammelte ich und sah ihn an. Ich betrachtete seine blaugrünen Augen, die mich die ganze Zeit zu fixieren schienen, seine vollen Lippen, welche er mit der Zunge leicht anfeuchtete, die dunkelbraunen Haare, die ihm in Strähnen ins Gesicht fielen und seinen vollen Bart, der sich sicherlich so weich anfühlte, wie er aussah. „Kein Problem", erwiderte Leo und warf mir ein charmantes Lächeln zu. „Pass auf dich auf Sophia." Kurz blitzte etwas in seinen Augen auf, doch dann fuhr er los. Ich sah nur noch das Emblem der Western Legion, welches auf der Rückseite seiner Weste prangte, und allmählich immer kleiner wurde, bis es hinter der Kurve verschwand. Seufzend suchte ich den richtigen Schlüssel und betrat das große, leere Haus. „Annie?" Ich stand inmitten der großen, weißen Eingangshalle und wartete auf eine Antwort. „Hey, Sophia Schatz, gehts dir gut? Ich hab gerade gehört, da war eine Schießerei am Shopping Center." Annie kam aus der Küche und umarmte mich, sie hielt mich an den Schultern fest und begutachtete mich. „Du bist ganz blass, ist alles okay?" Ich wollte ihr alles erzählen, bevor ich jedoch den Mut aufbringen konnte, nahm ich ihre Hände von mir um schloss meine Arme um ihren schlanken Körper. Annie umarmte mich fest und spendete mir Trost, Liebe und Geborgenheit. All das, was ich von meiner Mutter nie erhalten hatte. „Pass auf Schatz, ich mach dir einen Tee, du gehst in der Zeit duschen und dann erzählst du mir alles, okay?" Ich lächelte leicht über Annies vorschlag und nickte nur. „Klingt nach einem Plan", murmelte ich in ihre Bluse und löste mich dann von ihr. Meinen Rucksack warf ich achtlos in die Ecke, bevor ich nach oben stürmte und mich in meinem Badezimmer meiner Klamotten entledigte. Am Spiegel blieb ich stehen. Ich sah wirklich blass aus, zumindest blasser als sonst. Große, braune Augen fixierten mich, starrten auf die schulterlangen, glatten, aschblonden Haare und betrachteten die vollen Lippen. Mit einem Seufzen drehte ich mich weg und stieg unter die Dusche. Ich ließ das heiße Wasser auf meinen Körper prasseln und wusch mir den doch noch jungen Tag ab. Nachdem ich mich selbst als sauber genug empfand, stieg ich aus der Dusche, zog mir meinen Bademantel über und wickelte meine Haare in ein Handtuch. Um etwas gegen meine kalten Füße zu unternehmen, ging ich in mein Zimmer und kramte meine Wollsocken aus dem Schrank. Klamotten fielen mir entgegen und landeten auf dem Boden, wo ich sie einfach liegen ließ. Oft genug hatte mich meine Mutter ermahnt, ich solle ordentlicher werden und mich endlich benehmen wie eine Erwachsene, aber es war mir egal. Hastig zog ich meine Wollsocken an, ich wollte Annie so schnell wie möglich alles erzählen. Annie war meine Tante, Mum und ihr Mann ließen sie hier leben, nachdem mein Bruder gestorben war. Sie meinten, dass ich dann nicht so allein wäre. „Ihr könntet ja auch mal da sein", murmelte ich wütend und stapfte nach unten, wo ich mich neben Annie auf das Sofa fallen ließ. Sie reichte mir eine Tasse, mit herrlich duftendem Kräutertee, an welcher ich sofort nippte. „Also, jetzt erzähl schon", drängte sie, schlug das eine Bein unter das andere und sah mich erwartungsvoll an. „Also...", ich überlegte, wo ich anfangen sollte und wie viel ich erzählen sollte, „...ich war doch heute früh beim Juwelier im Shopping Center und als ich nach draußen ging, kam dann diese Bikergang." „Haben sie dir was getan? Dich belästigt?" Ich musste kurz lachen, Annie war niedlich, wenn sie sich sorgen um mich machte. „Nein, es kam dann eine andere Gang und dann haben plötzlich alle angefangen zu schießen", das Detail, das tatsächlich ein Mann erschossen wurde, ließ ich lieber aus, sonst dürfte ich nie wieder allein nach draußen. „Naja, auf jeden Fall...ich hab mich hinter einem Blumenkübel versteckt und wollte die Polizei rufen und dann stand da plötzlich dieser Biker. Er hatte echt hübsche Augen und...allgemein...er sah gut aus, für einen Biker...oder so, du weißt was ich meine...." Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg und mein Versuch, mich aus meiner anfänglichen Schwärmerei zu retten misslang immer mehr. Annies Lächeln wurde allerdings zu einem leichten Grinsen und als sich mir auffordern zunickte, fuhr ich fort: „Er hat Angeboten, mich nach Hause zu fahren und als wir unterwegs waren kamen weitere Biker und schossen auf uns, er hat sie abgeschüttelt und naja...der Rest ist ganz schön peinlich...." Zum Schluss murmelte ich noch, weshalb Annies Grinsen immer breiter wurde. „Komm schon Süße, erzähl", forderte sie, ihre Augen groß, flehend, dass ich fortfahre. Ich seufzte. „Nagut...", genervt verdrehte ich die Augen, „...wir hielten an und ich hab erstmal in den Wald gekotzt. Aber dann hat er meine Hände genommen und es war irgendwie...schön. Er fühlte sich in dem Moment auch nicht an wie ein Fremder, eher wie ein Freund und naja, dann hat er mich hier abgesetzt." „Weißt du denn, wie dein dunkler Retter heißt?" Ich lächelte über den Namen, den Annie Leo gegeben hatte. „Leo", antwortete ich nur und trank einen Schluck von meinem Tee, ohne, dass mir mein Lächeln aus dem Gesicht wich. „Ach Süße, ich freu mich, wenn du glücklich bist und ich finde Dinge gut, die dich glücklich machen, aber pass auf dich auf mein Spatz, ja?" Sie strich mir sanft über die Wange, signalisierte mir ihre Fürsorge, weshalb ich nur an sie heran rutschte und meinen Kopf auf ihrer Schulter ablegte. Einen kurzen Moment saßen wir so da, keiner sprach, keiner bewegte sich und genoss einfach nur die Nähe des anderen, als plötzlich die Haustür aufgeschlossen wurde und meine Mutter auf ihren High Heels durch die Eingangshalle klackerte. „Sophia Schatz?" Sie steckte ihren Kopf durch die Tür und entdeckte Annie und mich auf der Couch. Ihre Stirn zog sich in Falten und sie trat einige Schritte näher. „Was machst du hier Sophia? Wolltest du nicht zum Juwelier, außerdem, wie siehst du überhaupt aus?" Eine Frage nach der Anderen prasselte auf mich nieder. „Mum, ich war schon beim Juwelier und hab gerade geduscht", versuchte ich mich zu erklären und setzte mich gerade hin. „Sophia, wenn du fertig geduscht hast, dann zieh dich doch bitte an, das schickt sich nicht", sie deutete mit einer etwas abfälligen Handbewegung auf mein Outfit und rümpfte dabei ein wenig die Nase. Das machte sie nicht absichtlich, es passierte einfach, wenn sie etwas nicht mochte, ein Zeichen, durch welches sie einen kleinen Moment lesbar und auch gleichzeitig menschlicher wurde. „Sophia", ermahnte sie mich. Sie stand vor mir wie eine Aufseherin, die Haare zu einem strengen Knoten gebunden, ein enges Businesskleid, die in die Hüften gestemmten Arme und der strenge, erwartungsvolle Blick, der aus ihrem schön geschminkten Gesicht hervorstach. „Ja?" Ich war völlig in Gedanken, weshalb ich ihre Worte nicht gehört hatte, und mein Nachfragen direkt bereute. „Junge Dame, du sollst zuhören, wenn ich mit dir rede. Wie oft hab ich dir gesagt, dass du deine Ohren immer auf Empfang haben sollst. Wir haben viele Gäste, da kannst du auch nicht einfach nachfragen..." Während meine Mum mich weiter kritisierte, erhob ich mich von der Couch, wobei Annie mir einen mitleidigen Blick zuwarf. Mum und sie hatten bereits einen heftigen Streit, weil sich Annie nicht in Erziehungsfragen einmischen sollte, da sie ja selbst keine Kinder hatte. „...Sophia? Sophia wo willst du hin? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede." „Ich geh mich umziehen und danach mach ich Hausaufgaben", gab ich etwas zu pampig zurück, doch ehe meine Mutter zu einer neuen Schimpftirade ausholen konnte, verließ ich das Wohnzimmer und schloss mich in meinem Zimmer ein. Statt mich umzuziehen, wie ich es meiner Mum gesagt hatte, setzte ich mich direkt an meine Hausaufgaben, doch ohne es zu wollen, schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Genervt von mir selbst knallte ich den Stift auf meinen Schreibtisch und drehte mich auf meinem Bürostuhl. Wenigstens wirkte mein Zimmer nicht so kalt wie der Rest des Hauses. Meine Wände waren in einem hellen Rosa gestrichen, in der Mitte der einen Wand stand ein großes, weißes Doppelbett. Jeden Abend bevor ich ins Bett ging, saß ich daneben auf meiner Fensterbank und sah in den Himmel, dachte an meinen Dad und meinen Bruder und wünschte mir, sie noch einmal wiederzusehen. Gegenüber meines Bettes stand ein großer Schrank, eher eine Schrankwand in Weiß, darin befanden sich all meine Klamotten, Bücher und Filme und vor allem mein großer Fernseher. Und ich, saß gerade zwischen der Tür zum Flur und der Tür zu meinem Badezimmer und drehte mich selbst auf meinem Schreibtischstuhl. Als es sich in meinem Kopf zu drehen begann, hörte ich auf und schmiss mich auf mein gemütliches Bett. An der Decke prangte ein Kronleuchter aus weiß lackierten Hirschgeweihen. Mein Dad und ich hatten die Hirsche geschossen, als wir das erste Mal zusammen jagen waren. Ich lächelte bei dem Gedanken an unsere gemeinsame Jagd, zwang mich jedoch selbst dazu, aufzuhören, um nicht wieder zu weinen. Um mich abzulenken, legte ich mir einen Film ein und kuschelte mich in meine Decke.

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