Kapitel 8

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Leo setzte mich zu Hause ab und wartete, bis ich von seinem Motorrad gestiegen war. „Also dann am Wochenende?" Leo nickte zustimmend. „Willst du selber fahren, oder soll ich dich abholen", fragte er und deutete auf die Garage. „Ich weiß noch nicht, ich schreib dir nochmal, okay?" „Ist gut", meinte er lächelnd und gab mir einen Kuss, ehe er seinen Motor startete und davon fuhr. Ich ging nach drinnen, wo ich Geräusche aus dem Wohnzimmer hörte. Zaghaft steckte ich meinen Kopf durch die Tür und sah Annie auf der Couch, wie sie gerade einen Film ansah. „Komm schon rein, ich hab das Motorrad gehört", sagte sie, weshalb ich mich irgendwie ertappt fühlte. Ich betrat unser großes, helles Wohnzimmer und setzte mich zu ihr auf die Couch. „Wie wars in der Schule?" „Ähm...ganz gut", log ich und vermied es, Annie anzusehen. „Achja? Dein Lehrer hat angerufen und gefragt, wo du bist", rügte sie mich und sah mich dabei streng an. „Hör zu, der Tag fing echt scheiße an, da hatte ich keine Lust mehr. Du weißt, ich mach sowas normalerweise nicht", versuchte ich mich zu rechtfertigen und Gott sei Dank wurde Annies Blick weicher. „Ich weiß, deswegen hab ich gesagt du hättest Fieber und bist im Bett." „Danke dir." „Aber du darfst so etwas nicht machen, Sophia. Die Schule ist wichtig, das weißt du, erst recht das letzte Jahr." Ich seufzte schwer und zog den Brief von Harvard aus meinem Rucksack und überreichte ihn Annie. Sie las die Zeilen, wobei ihre Augen immer größer wurden. „Aber Sophia, das ist doch toll", meinte sie euphorisch und sah mich freudestrahlend an. „Nein. Ich will da nicht hin. Ich will auf ein normales Community College", widersprach ich. „Sophia, das ist Harvard, die wollen dich, nutze die Chance." „Nein...", wütend stand ich auf und lief auf und ab, „...ich will nicht weg von hier. Ich will nicht weg von dir und von Dad und Sean und auch nicht von Leo!" Voller Wut rannte ich in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Ich schmiss mich auf mein Bett und ließ die Tränen einfach laufen, dass ich den Brief unten hatte liegen lassen, vergaß ich allerdings. Eine ganze Weile lag ich in meinem Bett, dachte nach, schaute aus dem Fenster oder döste gelangweilt vor mich hin, bis ein Klopfen mein Nichtstun unterbrach. „Sophia, das Abendessen ist fertig", sagte Annie durch die Tür und ging wieder, das konnte ich daran erkennen, dass ihre Schritte immer leiser wurden. Müde erhob ich mich, strich meine Klamotten und meine Haare glatt und ging nach unten. „Hi Phil", begrüßte ich ihn, heute nicht ganz so fröhlich wie an anderen Tagen. Ich setzte mich an den Tisch und sah den Brief von Harvard in der Mitte liegen. Meine Mutter hatte ihn also schon gelesen. Innerlich seufzte ich, setzte allerdings ein adrettes Lächeln auf, als meine Mum ins Zimmer kam. „Sophia, das ist ja toll, ich freu mich, dass du nach Harvard gehst", meinte sie fröhlich und ausnahmsweise klang ihre Stimme so, als würde sie sich tatsächlich freuen. „Ja...Nein, ich werde nicht nach Harvard gehen", widersprach ich und straffte meine Schultern für die kommende Diskussion. „Was? Sophia, das ist eine riesen Chance", meinte meine Mutter und sah mich ungläubig an. „Ich weiß. Ich bin auch echt dankbar dafür, aber ich will auf ein normales College, hier in der Gegend." Ich traute mich nicht ganz, ihr in die Augen zu sehen, weshalb ich den Tisch nach interessanten Punkten absuchte, aber nicht fündig wurde. „Sophia. Ich werde diese Diskussion nicht noch einmal mit dir führen. Du wirst nach Harvard gehen, keine Widerrede." Sie setzte sich, wobei sie ihr Etuikleid glatt strich und ebenfalls ihre Schultern straffte. „Und jetzt guten Appetit." Damit erklärte sie die Diskussion offiziell als beendet. Ich hatte also den Kampf verloren, doch damit würde ich mich nicht abfinden. Mit einer Mischung aus Trauer und Wut schlang ich mein Essen herein und fragte anschließend, ob ich nach oben gehen durfte. Mum und Phil entließen mich in mein Zimmer, wo ich begann nach Wohnungen zu recherchieren. Ich würde mit Leo einfach abhauen und mein eigenes Leben leben. Irgendwann kreuzte jedoch die Müdigkeit meine Pläne, weshalb ich mich ins Bett legte und sofort einschlief.
In der Schule merkte ich, wie die Leute mich anstarrten. Was hatte ich auch anderes erwartet nach meinem Abgang? Jessica ging mir weiterhin aus dem Weg und erdolchte mich förmlich mit ihren Blicken. Ich ließ die Tage einfach über mich ergehen und freute mich darauf, Leo am Wochenende endlich wieder zu sehen. Freitag morgen schrieb ich ihm eine Nachricht, dass ich selbst fahren würde und er mich nicht abholen brauchte. Den ganzen Tag freute ich mich darauf, wieder auf meinem Motorrad zu sitzen und noch mehr freute ich mich, ihn wiederzusehen und ihn von meinem Plan zu erzählen. Als der Unterricht endlich vorbei war, konnte ich es kaum erwarten nach Hause zu kommen, weshalb ich aus dem Schulgebäude stürmte und direkt den ersten Bus nahm. Ungeduldig wartete ich darauf, dass ich endlich an meiner Haltestelle war und nur noch meinen bereits gepackten Rucksack nehmen musste. Als der Bus endlich hielt, sprang ich nahezu raus und rannte fast den Rest der Strecke. Mum und Phil arbeiteten noch, aber da heute Freitag war, würden sie eher heimkommen und ich wollte nicht riskieren, dass sie mich erwischten. Annie hatte einen Zettel im Wohnzimmer liegen gelassen, auf welchem sie mich darüber informierte, dass sie bei ihrem Freund sei. Ich ließ den Zettel einfach liegen, stürmte in mein Zimmer und zog meine Lederhose und die Motorradjacke an, ehe ich meinen Rucksack aufsetzte. Diesmal kletterte ich nicht über das Vordach, sondern nahm ganz einfach die Tür zur Garage. Ich setzte mich auf das Motorrad und mit einmal fühlte sich die Welt wieder in Ordnung an. Das Garagentor öffnete sich mit einem leichten Summen, während ich direkt beim ersten Anlauf den Kickstart hinbekam. Langsam rollte ich aus der Garage, schloss das Tor hinter mir und sah plötzlich Mums Wagen die Straße entlang rollen. Schnell gab ich Gas und fuhr in die andere Richtung davon. Leo hatte geschrieben, ich solle nach Crown Point kommen und dass wir heute nichts in Pioneer Creek machen würden. Ich fuhr ungefähr eine halbe Stunde, als ich mit dem Motorrad auf die Schotterstraße einbog und bereits den Wald und das Reservoir erkennen konnte. Ich fuhr in die kleine Siedlung und hupte einmal kurz, bevor ich mein Motorrad einfach zu den anderen stellte. Ranger stand auf einer Veranda und beobachtete mich argwöhnisch, während ich mich umsah und darauf wartete, dass Leo endlich kommen würde. Hinter mir hörte ich das Geräusch eines Motors, weshalb ich mich umdrehte und Leo auf seinem Motorrad kommen sah. „Wo kommst du denn her?" Ich stieg ab und fuhr mir kurz durch meine, jetzt verfitzten, Haare. „Ich war noch kurz in der Stadt", erklärte er, stieg ab und gab mir einen kurzen Kuss. „Wie wars in der Schule?" Ich verdrehte die Augen und folgte ihm einfach. „Frag nicht. Die gucken mich an, als wäre ich ein Alien." „Lass dich nicht aus der Ruhe bringen", meinte Leo liebevoll, legte mir seine Hand auf den Rücken und schob mich sanft zu Ranger. „Na Kleines", er lächelte mich sanft an und sah dann zu Leo. „Lief alles gut?" Leo nickte und setzte sich auf einen der Verandastühle. Ranger setzte sich in den anderen, weshalb ich etwas verloren in der Gegend stand und mich umsah, bis Leo meine Hand nahm und mich sanft auf seinen Schoß zog. „Der Deal steht, wir verkaufen ihnen das Zeug und sie lassen uns in Ruhe", erklärte Leo und strich dabei gedankenverloren über meine Oberschenkel. Rangers Blick huschte kurz zu mir, ehe er Leo antwortete: „Das ist gut. Ich hoffe sie halten sich dran. Du hast ihnen gesagt was sonst passiert?" Leo nickte und sah etwas unsicher zu mir. Ranger schien dies zu bemerken, weshalb er sich etwas aufsetzte und mich und Leo ernst ansah.

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