Kapitel 10

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Wir standen einige Minuten in dieser Umarmung, bis sich Leo schlussendlich von mir löste und meine Hand nahm. Wortlos führte er mich aus der „Krankenstation" quer über das Areal zu einer kleinen Hütte. Auf der Veranda standen zwei hölzerne Verandastühle, die ihre besten Tage wahrscheinlich schon hinter sich hatten. Er öffnete mir die Tür und ließ mich eintreten. „Ja...", etwas verlegen kratzte er sich am Bart und schloss hinter sich die Tür, „...willkommen bei mir zu Hause." Das Haus war winzig, also im Vergleich zu dem, was ich von mir kannte. Rechts von der Eingangstür befand sich direkt eine kleine, rustikale Küchenzeile. Links neben der Tür stand ein kleiner Holzofen, direkt vor mir eine alte, abgewetzte Ledercouch. Ich trat einen Schritt in den Raum und sah mich um, überall Holz, man hatte sich Nichtmal die Mühe gemacht, die Wände zu streichen. Sie sah so aus, wie die Hütte, die wir in Pioneer Creek aufgestellt haben, nur älter. „Das Bad ist da hinten", meinte Leo und deutete auf eine unscheinbare Tür, die sich neben der Küchenzeile befand. Ich lugte kurz herein und fand offenbar den einzigen, richtig sauberen Raum in diesem Haus. Lächelnd sah ich mich weiter um, in der Spüle stand noch das dreckige Geschirr und auf der Kommode sammelte sich der Staub. „Wohnst du wirklich hier?" Amüsiert sah ich ihn an und deutete mit meinen Händen auf den staubigen Fernsehtisch. „Hey, nicht frech werden", drohte er und legte seine Arme um mich. „Ich komm fast nur zum schlafen her", meinte er dann aber entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Ist genehmigt." Ich drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen und sah dann fragend zum Ofen. „Warum eigentlich der Ofen? In Frisco wars noch nie wirklich kalt." „Naja, im Winter, ohne Dämmung, kann das schon ein bisschen kühl werden." Er grinste mich an, ehe er sich etwas wegdrehte und gähnte. „Wann hast du eigentlich das letzte Mal geschlafen?" „Oh...puh...." Leo schien zu überlegen, wobei er die Decke fokussierte. „Ist ne Weile her, denke ich", antwortete er und öffnete mir die Tür zu seinem Schlafzimmer. Ein rostiges Metallbett stand links von der Tür, daneben ein Eisenregal mit Leos Schuhen und Klamotten drin. Er zog seine Kutte aus, hing diese sorgfältig an einen Haken und schmiss sich aufs Bett, wo er sich seine Schuhe abstrampelte. Ich stellte meinen Rucksack neben das Bett, legte mich zu Leo und rutschte an ihn heran. Er drehte sich auf die Seite, schlang einen Arm um mich und schloss die Augen. Vorsichtig kramte ich meine Collegeunterlagen aus dem Rucksack und las sie mir, eine nach der anderen durch. Auch Harvard war dabei. Allerdings hatte ich bereits einen persönlichen Favoriten. Das Colorado Mountain College im Vail Valley war nur 45 Minuten von zu Hause entfernt. Dort könnte ich ausgezeichnet Ingenieurwesen studieren und außerdem könnte ich Leo regelmäßig besuchen. Ich sah zu ihm, wie er friedlich schlief, wobei ihm wieder einige Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Ich schob mich vorsichtig unter seinem Arm raus, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken, und schlich ins Wohnzimmer. Ich beschloss, ihm einen kleinen Gefallen zu tun, und begann etwas aufzuräumen, den Abwasch zu machen und staub zu wischen. Geleitet von meiner Euphorie merkte ich nicht, wie es draußen bereits dunkel wurde und wie Leo leise und immer noch müde im Gesicht zu mir tapste. „Du hast eine Vorladung zum Bewerbungsgespräch von Harvard?" Seine Stimme war rauer als sonst, man konnte ihm die Müdigkeit noch anhören. Er legte seine Arme von hinten um mich und aus einem unerklärlichen Grund verkrampfte ich mich. „Ja...Aber...ich verzichte", meinte ich und drehte mich in seinen Armen zu ihm. „Wieso?" Er war deutlich verwirrt und schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich will nicht nach Harvard. Ich will nicht weg von hier, weg von dir", erklärte ich mich und löste mich von ihm. Schnell lief ich zu meinem Rucksack, zog ein paar Wohnungsannoncen heraus und hielt sie Leo unter die Nase. „Meine Mum wird mich zwingen, nach Harvard zu gehen. Aber das kann sie nur, wenn ich hier bin. Wir könnten einfach abhauen, weg von hier. Irgendwo anders hin." Wieder einmal redete ich mich in Rage und bemerkte nicht, wie Leos Blick von unsicher, zu traurig und dann zu fest entschlossen wechselte. „Sophia...wir können nicht einfach abhauen. Ich hab den Club und du musst aufs College", er legte die Wohnungsannoncen beiseite und ließ seine Hände in seinen Hosentaschen verschwinden, während er sich gegen die Küchenzeile lehnte. „Ich kann auch woanders aufs College", verteidigte ich mich und blieb stur. Leo seufzte. „Bis wann musst du denn die Bewerbung eingereicht haben?" „Bis Juli, also noch drei Monate." Wieder nickte Leo und stieß sich von der Theke ab. „Ich muss kurz zu Ranger, warte hier", er küsste mich flüchtig auf die Stirn und verließ das Haus. Ich ging zum Fenster, sah ihm nach, wie er im Haus gegenüber auf die Veranda trat und an die Tür klopfte. Ranger öffnete und sah ihn fragend an. Dann begann Leo irgendetwas zu sagen, er deutete leicht in die Richtung seines Hauses. Ranger nickte, schien zu verstehen, was er wollte. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn an, ehe er ihn in eine Umarmung zog und ihm brüderlich auf den Rücken klopfte. Er drehte sich um, kehrte zum Haus zurück und ich hechtete, so schnell ich konnte ins Schlafzimmer und stopfte die Collegesachen in meinen Rucksack. „Und, alles geklärt?" Ich sah ihn an, woraufhin er mich nur in eine feste Umarmung zog und seine Lippen auf meine legte. Es fühlte sich an, als wöllte er mich nie wieder gehen lassen wollen und doch war da plötzlich eine Distanz. Er löste sich von mir und lächelte mich an, doch in seinen Augen tobte ein Sturm. „Na komm. Die anderen haben ein Barbecue gemacht", meinte er immer noch lächelnd und zog mich nach draußen. Wir saßen alle gemeinsam in der Mitte der Wendeschleife, an einem großen Tisch und lachten und aßen gemeinsam. Ab und zu legte jemand einen Holzscheit auf das große Lagerfeuer und irgendwann, als wir fertig waren mit essen, brachte jemand eine Gitarre, und begann darauf zu spielen. Leo hatte mich auf seinen Schoß gezogen, seine Arme um mich gelegt und hielt mich fest, als könnte ich jeden Moment weglaufen, daneben saß Ranger, welcher sich aber später zurückzog und in seinem Haus verschwand. Ich lehnte mich an Leo und schloss genüsslich die Augen, als plötzlich ein lauter Knall ertönte. Ranger hatte seine Tür zugeschlagen, stand auf der Veranda, ein stück Stoff oder so in der Hand und sah zu uns. Wie ein Bär, langsam, aber zugleich kraftvoll, kam er auf uns zu und blieb am Lagerfeuer stehen. „Wie ich euch schon erzählt habe, werden wir heute ein neues Mitglied bei uns aufnehmen. Ihr wart einverstanden, ich war einverstanden, lasst uns sehen, ob sie auch damit einverstanden ist." Er schüttelte das Stück Stoff aus, welches sich als eine Kutte entpuppte, auf dem Rücken das Logo der Western Legion, vorne der 1% und der 13 Patch und an der linken Seite den Aufnäher „Property of". „Komm her Kleines", meinte Ranger liebevoll. Leo schob mich sanft von seinem Schoß, weshalb ich etwas zögernd zu Ranger ging. „Sophia, du weißt, die Regeln verbieten es uns Frauen aufzunehmen, aber sie verbieten uns nicht, die Zueghörigkeit zu uns darzustellen. Also, Sophia Jenkins, möchtest tu Teil der Western Legion sein mit allen Konsequenzen und uns bis in den Tod zur Seite stehen?" Unsicher sah ich zu Leo, dann zu Ranger, welcher auf eine Antwort zu warten schien. „Ja", sagte ich entschlossen und nickte eifrig. „Dann...", er half mir in die Weste, welche wie eine zweite Haut passte, „...willkommen im Club." Die Mitglieder klatschten, jubelten und einige hupten mit ihren Motorrädern. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich zu Leo stürmte und ihn umarmte. „Und du hast mir nichts gesagt." „Das ist der Sinn einer Überraschung, Süße", meinte er lachen und gab mir einen Kuss. „Du weißt die musst du jetzt immer anhaben?" Freudig nickte ich, ignorierte dabei die Gedanken an meine Mutter, Annie und Phil. Eine ganze Weile saßen wir noch am Feuer, sangen sogar zusammen und hatten einfach nur Spaß. Irgendwann waren es fast nur noch Leo und ich, die am Feuer saßen und zum ersten Mal heute sah ich an mir herab und betrachtete die Patches auf meiner Kutte. „Was heißt das?" Ich zeigte auf einen Patch, der sich rechts außen befand und nur die Buchstaben „IHOSJ" enthielt. „Das heißt ‚In Honour Of Sean Jenkins'. Wir dachten, wir tun nicht nur dir einen gefallen", meinte Leo lächelnd. „Das stimmt...", gedankenverloren strich ich über den Patch, „...danke." Ich legte meine Arme um ihn und drückte mich fest an ihn.

So schnell wie dieser Abend vorbei war, so schnell war leider auch das Wochenende vorbei, weshalb ich jetzt schon wieder meine Sachen packte, um nach Hause zu fahren. „Du weißt ich muss die Kutte zu Hause ausziehen", meinte ich zu Leo, welcher dabei etwas grimmig drein guckte. „Wenn ich es nicht tue, dann ist eine Horde wütender Biker mein geringstes Problem." Er seufzte, er wusste ja, dass ich recht hatte. „Du hast ja recht, du gehörst es zu uns. Egal was passiert", sagte er leise und küsste mich kurz. „Ich kann dich heute nicht bringen. Ich muss mit Ranger und Billy nach Pioneer Creek", erklärte er, wobei er sich wieder an die Theke lehnte. „Ist schon okay. Ich kenn den Weg mittlerweile." Ich schlang meine Arme um ihn, stellte mich auf meine Zehenspitzen und küsste ihn. Leo legte seine Hände an meine Hüften, zog mich noch näher zu sich und vertiefte unseren Kuss. Am liebsten wäre ich hiergeblieben, hätte ihn den ganzen Tag geküsst, aber ich musste nach Hause. Etwas widerwillig löste ich mich von ihm und seufzte genervt. „Ich muss los", sagte ich leise, gab ihm noch einen Kuss und nahm meinen Rucksack. „Bis demnächst", meinte ich lächelnd und verließ seine Hütte. Ich schwang mich auf mein Motorrad, trat mit aller Kraft auf den Kickstarter und hoffte, dass der Motor direkt ansprang. Das Bike tat mir den Gefallen, weshalb ich den Ständer umklappte, mich abstieß und losfuhr.

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