Kapitel 17

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Wie jeden Morgen stand ich um sechs Uhr auf, zog mein weißes Shirt an, darüber eine hellblaue Jeanslatzhose und meine Boots. Dann trank ich Kaffee, spülte die Tasse aus und stellte sie verkehrt herum auf ein Geschirrtuch. Ich ging nach unten, in meine eigene Werkstatt und öffnete das Rolltor, so war die Werkstatt zur Straße hin geöffnet. Ich betrachtete das Schild, welches an meinem Haus, an meiner Werkstatt hing „J & J Bike and Car repair". Wie jeden Morgen setzte ich meine runde, zerkratzte Sonnenbrille auf, fuhr mir durch meine, mittlerweile viel zu langen Haare und setzte mich in den alten Ledersessel, welcher vor meiner Werkstatt stand. Hier in Chemult war außerhalb der Tourismussaison wenig los, weshalb man etwas mehr Freizeit hatte als sonst. Hank spazierte gemütlich über die Straße und wank mir. „Guten morgen Sophia", rief er quer über die Straße, die Zeitung unter den Arm geklemmt. „Ich sage dir, heute wird ein guter Tag." Er grinste mich fröhlich an, nahm seine Zeitung hervor und wedelte ausgelassen damit. Hank hatte mich hier in Chemult „aufgenommen", er hatte mir geholfen, die Werkstatt herzurichten und mich einzuleben. Durch ihn wurde das Leben leichter. Ich wartete, bis er im Post Office verschwunden war. Durch die staubigen Fenster konnte man nur schwach erkennen, wie er sich hinter den Tresen setzte und begann Briefe abzustempeln. Verwirrt stand ich auf und holte mir vom Post Office gegenüber die aktuelle Zeitung. „Aufhebung der Straßensperrung zwischen Cresent und Chemult", sagte die Schlagzeile, was mir tatsächlich ein leichtes Lächeln ins Gesicht zauberte. Das bedeutete endlich wieder Kundschaft für mich. „Hey Sophia, ich weiß, ich komm irgendwie häufiger", lachte Nathan peinlich berührt, „aber der Anlasser spinnt schon wieder, kannst du dir das mal ansehen?" Bittend sah er mich an, seine Augen groß, ein flehendes Lächeln auf den Lippen. Lächelnd verdrehte ich die Augen und ging auf ihn zu. „Na gut, aber irgendwann muss ich dir das berechnen", meinte ich gespielt streng, wobei das Lächeln nicht aus meinem Gesicht verschwand, und schob sein Bike über die Rampe auf die Hebebühne. „Kein Problem, und wenns mit Zinsen ist", meinte er lächelnd und wischte sich die Hände an seiner Hose ab. „Ich komm in zwei Stunden nochmal vorbei." „Kein Problem, bis dahin sollte ich fertig sein", meinte ich und kramte nach dem Schraubenschlüssel. Ich sah mir das Bike diesmal genauer an. Irgendwo musste ein Fehler sein, wenn der Anlasser immer wieder den Geist aufgab. Ein Auto fuhr vorbei, weshalb ich erschrocken aufsah. Seit zwei Monaten kam hier keiner mehr durch, aber dann fiel mir der Artikel von heute Morgen wieder ein. Die Straße war frei. Ich versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, wurde jedoch abgelenkt, als eine ganze Mannschaft an Motorradfahrern die Straße entlang kam und langsam durch die Stadt rollte. Ein kurzer Blick zu meiner Kutte, welche in einem Schrank, hinter zwei Glastüren hang, genügte, um wieder diesen wehleidigen Gedanken zu verfallen und Leo und mein altes Leben zu vermissen. Die Motorradfahrer hielten vor meiner Werkstatt, doch die Sonne stand, wie jeden Morgen, so blöd, dass man nichts erkennen konnte, was sich nicht in der Werkstatt befand. Eine große Gestalt kam auf mich zu und blieb kurz vor dem Tor stehen. Ich kniff die Augen zusammen, um mehr zu erkennen, doch vergebens. „Ähm hi", sagte die Gestalt mit einer rauen Stimme, die mir seltsam bekannt vorkam. „Ich hab ein Problem mit meinem Kickstarter, kannst du dir das mal ansehen?" Er machte einen Schritt in meine Werkstatt, wodurch ich ihn erkannte. Seine Haare waren länger als vor ein paar Jahren und trotzdem fielen ihm einzelne Strähnen noch ins Gesicht, sein Bart schien voller und sein Körper muskulöser. Ich glaubte, einen Geist zu sehen, ehe er noch einen kleinen Schritt auf mich zumachte, ich mein Werkzeug fallen ließ und mich in seine Arme warf. „Leo..." Flüsterte ich und klammerte mich an ihn. Er legte seine Arme um meinen Körper, hob mich hoch, drückte mich fester an sich und verbarg sein Gesicht in meiner Halsbeuge. „Du glaubst nicht, wie sehr ich dich vermisst hab", meinte er leise und ließ mich langsam auf den Boden zurück. Ohne darauf zu antworten, vergrub ich meine Hände einfach in seinen Haaren und küsste ihn. Wie sehr hatte ich das Gefühl vermisst, seine Lippen auf meinen zu spüren, ihm endlich wieder nahe zu sein. Ein Hupen ließ uns auseinanderfahren, weshalb Leo sich umdrehte. Als ich ein paar Schritte nach draußen trat, erkannte ich Ranger und all die anderen. „Das gibts nicht...", flüsterte ich überwältigt, lief straff auf Ranger zu und umarmte ihn. „Ich hab dich auch vermisst Kleines", sagte er leise, während er mir den Rücken tätschelte. „Bist du startklar wieder mit uns zu fahren", fragte Leo, der meine Kutte aus dem Schrank genommen hatte und sie so hielt, dass ich nur noch reinschlüpfen brauchte. „Zur Hölle, ja", sagte ich entschlossen, zog mir die Kutte über und setzte mich auf mein Bike. „Ist das ne echte 46er", fragte Ranger neidisch, woraufhin ich den Kickstarter trat und den Motor aufheulen ließ. „Aber sowas von." Stolz sah ich auf mein Motorrad, meine Kutte und meine Gang. Ranger lachte leicht, stieß sich ab und fuhr los, wir anderen hinterher, die aufgehende Sonne im Rücken.

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