17. In Bewegung geraten

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ANGI

Meine Schritte wurden vom weichen Teppich erstickt. Ich lief durch einen Korridor, links und rechts befanden sich Türen, die allesamt gleich aussahen - weiß, mit schwarzer Klinke und langweilig. An jeder Tür hing ein Schild mit einem Namen wie Büro, Raum der Krokodile oder Küche. Die Wand verbesserte die Farbe der Türen auch nicht, denn auch sie war in weiß gestrichen. Ich bekam das Gefühl, durch ein Krankenhaus zu gehen. Was war wohl schlimmer: durch das Krankenhaus zu eilen, um einen bald sterbenden Bekannten zu besuchen oder durch ein altes, heruntergekommenes Haus zu watscheln, in dem du jede Sekunde sterben könntest?

"Warte mal, Angi." Ich drehte mich um und erblickte Maja, deren Hand mit einem Buch in der Luft herumwackelte. 

"Das ist Jackos Tagebuch. Vielleicht finden wir da drin was." Wir blieben stehen und warteten, während Maja durch die Seiten blätterte. An einigen Stellen hielt sie inne, um ein paar Sätze zu lesen, dann schlug sie die nächste Seite auf. "Hier ist etwas. Nachdem wir uns in diesem komischen Wunscherfüllungsraum brauchbare Dinge gewünscht hatten, hat sich eine Tür geöffnet und wir liefen raus in den Gang. Beziehungsweise Annastasia lief hinaus und wir dackelten hinterher. Ich finde es gut, dass Annastasia die Älteste und die Mutigste ist und sie vor gar nichts Angst hat. Deshalb müssen wir einfach nur auf sie hören und ihr alles nachmachen, damit wir überleben. Zielstrebig ging Annastasia auf die fünfte Tür von rechts zu und öffnete sie."

"Die fünfte Tür von rechts!", unterbrach Ben sie und überholte mich.

"Wartet, wollt ihr denn nicht ...?" Maja versuchte, uns aufzuhalten, doch wir hatten die Tür schon erreicht und machten diese auf. Ich las die Schrift an dem Schildchen: Bewegender Raum, zuckte aber gleichgültig mit den Schultern.

Damit Maja den Anschluss nicht verlor, rannte sie zu uns, Finn dicht auf ihren Fersen, und Ben schritt durch die Tür. Wir anderen folgten ihm. Sobald alle den Raum betreten hatten, fiel die Tür zu und der Boden unter unseren Füßen wackelte. Dann hob er ab und drehte sich in der Luft.  Wir schrien panisch, wir wussten ja nicht, was sich unter dem sich bewegenden Boden befand. Als ich in der Mitte des Raumes einen Pfosten entdeckte, krabbelte ich darauf zu, bis  der Boden sich nach vorne senkte, sodass ich den Rest rutschte. Die anderen sausten ebenfalls in meine Richtung, doch sie realisierten zu spät den Pfosten, um sich daran festzuhalten. Ruckartig packte ich die Hand der nächsten Person, die dasselbe tat. So bildeten wir eine Schlange. So fest es ging, klammerte sich mein Arm um den Pfosten. Bemüht, nicht ins Schwitzen zu geraten, hielt ich die Hand von Alex.

Die Platte schwankte nun in die andere Richtung, so dass die anderen über den Boden schlitterten. Alex näherte sich dem Pfosten und schaffte es, sich ebenso festzuhalten. Beruhigt ließ ich seine Hand los und half ihm, Maja und Ben zu uns zu ziehen, bis sie ebenfalls den Pfosten berührten. Finn hatte keine Mühe, er konnte ja fliegen. Das tat er, mit einem überheblichen Grinsen.

"Was ist?", fauchte ich genervt. "Ich weiß etwas, was ihr nicht wisst." Er streckte mir die Zunge heraus. Ich entwickelte gerade eine Feindschaft gegen ihn, während sich bei Maja eine Liebschaft für ihn entfaltete.

"Und was genau?", fragte Ben, der leicht gestresst den Pfosten umklammerte. "Dir sag ich das nicht. Du hast meine Eltern und mich beleidigt", erwiderte Finn.

"Tut mir Leid, aber ihr habt mich entführt."

"Weil wir den Auftrag dazu hatten."

"Das heißt aber nicht, dass das gut oder vorbildlich ist."

"Aber wir sollten diese Aufgabe nur erfüllen, wir haben sie uns nicht ausgedacht."

"Das heißt, ihr erfüllt Aufgaben von anderen und habt keinen eigenen Willen, beziehungsweise nutzt diesen Willen nicht, sondern führt stattdessen Aufgaben durch, die jemand stellt, den ihr nicht mal mögt."

Bei den letzten Worten flammte Finn auf, es schien als würde er verbrennen, dann schaute er wieder zu Ben und zwar fuchsteufelswild.

"Du. Hast. Uns. Beleidigt. Und. Schlimme. Wörter. Gesagt.", knurrte er. "Das. Werde. Ich. Dir. Nie. Verzeihen."

"Sag niemals nie", murmelte Ben, dafür bekam er einen Stoß von Maja in die Seite. "Lass es endlich." "Du bist also auf seiner Seite?!" Ben riss vorwurfsvoll die Augen auf.

"Er ist dickköpfig. Du bist dickköpfig. Du magst mich und du kannst vernünftig sein, also denke ich, dass du auf mich hören kannst. Klar soweit?" Maja fixierte Ben und versuchte, ihm mit Blicken weiszumachen, das wir Besseres zu tun hatten, als uns um Kleinigkeiten zu streiten. Zum Beispiel nicht die Nerven verlieren, weil die Platte nun schneller hin- und herschwankte.

"Ich bin auch vernünftig und ich mag dich auch. Und ich bin nicht dickköpfig", warf Finn ein. "Oh, doch. Er ist extrem dickköpfig", murrte Ben, doch der erneute Blick Majas brachte ihn zum Schweigen.

"Finni, was weißt du, was wir nicht wissen?", fragte Maja und prompt antwortete der Enfel. "Ich weiß, wie man aus diesem Raum gelangt, Majachen." Er lächelte sie an und verwandelte sich in seine alte grün-blaue Form zurück. 

"Und wie genau..." Maja beendete den Satz nicht, da das Drehen ein Bodenplatte  einsetzte. Mir wurde leicht schwindelig und ich griff nach Alex' Hand. Vorher hatte sie nur wie eine Wippe auf dem Spielplatz geschlenkert.

"Wenn da die Tür ist, müsst ihr genau dort hin und dann die Wand berühren." Finn schwebte zu der besagten Stelle und klopfte an die Wand - oder hatte es zumindest vor. Sein Arm durchdrang die Wand.

Das Herumwirbeln stoppte und der Boden hob wieder an einer Seite an, sodass alles in Schieflage geriet. Als die nach oben gerichtete Seite zum imaginären Ausgang des Raumes zeigte, krabbelte ich los, ließ Alex' Hand aber nicht los. Die Platte verharrte einige Augenblicke in dieser Position. Alex schnappte sich Bens Hand und so bildeten wir wieder eine Kette. Maja behielt den Posten am Pfosten.

Die Platte wanderte wieder auf der anderen Seite nach oben und auf meiner nach unten. So glitt ich nach unten. An der Kante angekommen, entdeckte ich einen Vorsprung und sprang darauf. Glücklicherweise landete ich sicher. Dann nahmen meine Hände Kontakt mit der Wand auf, gerade als die Platte sich wieder umwandelte.

Alle Bewegungen, die nicht von uns ausgingen, stoppten, sobald ich die Wand berührte. 

Über mir hörte ich die anderen nach oben zur Kante klettern, dann sah ich sie. Ben sprang zuerst und schlug neben mir auf dem Vorsprung auf. Alex verlor sein Gleichgewicht und fiel, Ben und ich fingen ihn aber ab und zogen ihn zu uns. Auch Maja betrat schließlich den sicheren Boden.

Wir atmeten alle aus. Ruhe für einen Moment. Alles war still, nichts passierte und doch wartete schon die nächste Gefahr auf uns.

Das alte HausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt