28. Anzüge, Kleider und Treppen

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ALEX

Ich krabbelte durch den engen Gang. Angi hatte mich sicherlich schon bemerkt, ich war nicht gerade der leiseste Mensch. Angi liebte diese komische Eigenschaft. Sie hatte mir mal erklärt, dass sie es mochte, wenn sie mich hörte, bevor sie mich sah. Doch jetzt war ich mir sicher, dass meine Freundin mich weder sehen noch hören wollte. Wenn sie schlechte Laune hatte, hasste sie Gesellschaft. Auch mich schickte sie oft weg.

Angi kroch schneller, ich blieb ihr allerdings dicht auf den Fersen. Endlich stieg Angi aus einer breiteren Öffnung und ich entdeckte eine Wendeltreppe, die sich, von einem hübsch verziertem Geländer begleitet, nach unten wand.

Angi setzte sich betrübt auf die erste Stufe, stützte ihre Arme auf den Oberschenkeln ab und saß dann nur noch reglos da. Ich ließ mich neben ihr nieder, meine linke Schulter berührte ihre rechte. Vorsichtig hob ich meinen Arm, legte ihn um Angis Taille und zog sie sanft zu mir.

"Ich hab einen Fehler gemacht. Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass sie Ben über mich stellt. Ich bin ein schrecklicher Mensch."

"Bist du nicht. Menschen zeichnen sich durch Fehler aus. Würdest du keine Fehler machen, wärst du kein Mensch. Außerdem ist es verständlich, dass du eifersüchtig bist. Du solltest dir und Maja ein bisschen Zeit geben, damit ihr euch an die neue Situation gewöhnen könnt. Wenn Maja und Ben tatsächlich zusammenkommen, können wir auf Doppeldates gehen." Dieser Gedanke entrang Angi ein kurzes Grinsen. "Ich versuche gerade, das Negative zu sehen und du lenkst mich nur ab." Nun brachte Angi mich zum Grinsen. Ich wusste, dass sie das bereute. Sie wollte trauern und zürnen, doch ich hielt sie davon ab.

"Wenn Maja und Ben zusammenkommen und du was mit Maja unternehmen willst, entführe ich einfach für die Zeit Ben. Er wird sicherlich ein guter Freund sein. Und wenn wir es so arrangieren, dass er mit dem Zug zu mir fährt, habt ihr genug Zeit, Dinge zu tun, die beste Freundinnen so machen." "Was denkst du denn, was beste Freundinnen so machen?", fragte meine Freundin, nun hatte ich ihre Neugier geweckt und sie vom wesentlichen Thema abgelenkt.

"Die gehen doch immer nur shoppen und schminken sich und so was." Für diesen Satz bestrafte Angi mich mit einem bösen Blick.

"Weder ich noch Maja schminken uns und du weißt, dass Maja einkaufen hasst."

"Dafür liebst du es."

"Ich mag es nur, Kleider einzukaufen", protestierte Angi. Diese Streitfähigkeit war etwas, das ich so sehr an ihr liebte. Genauso sehr wie den Anblick meiner geliebten Angelina in einem schönen Kleid.

"Ich liebe es, wenn du Kleider trägst", flüsterte ich in ihr Ohr.

"Ich liebe es, wenn du Anzüge trägst, was du aber zu selten tust", hauchte Angi zurück.

"Anzüge sind furchtbar unbequem", behauptete ich. Außerdem schwitzte man so schnell in den Hemden, fügte ich für mich hinzu, laut sprach ich es allerdings nicht aus. Ich wollte keine Attraktivitätspunkte bei Angi verlieren. Manchmal war ich mir wegen meiner dunklen Hautfarbe schon unsicher genug. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass sie diese Tatsache nicht störte, doch die Angst bestand weiterhin. Mal stärker, mal schwächer.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich Angi erfolgreich von ihren Sorgen abgelenkt hatte. "Komm, lass uns weitergehen. Ich will nicht ewig in diesem Haus hocken."

Ich stand auf und zog meine Freundin nach oben. Dann gab ich ihr einen Kuss, bevor ich sie neben mir die Stufen hinunterbulgsierte.

Die Treppe endete und wir spazierten durch den Flur. Ich öffnete eine Glastür und wir entdeckten eine weitere Wendeltreppe. Diese war breiter, als die davor.

Angelina betrat zuerst die oberste Stufe und Feuer flammte auf, sodass Angi erschrocken zurücksprang.

"Wo kommt das Feuer her?", rief Angi verängstigt und verwirrt.

"Es existiert ein verwunschenes Haus. Es gibt sogenannte Enfel. Platten fliegen durch die Luft und Dinge tauchen einfach so aus dem Nichts auf. Langsam solltest du auch an Magie glauben. Los, es führt kein Weg zurück." Ich machte den Anfang und sprang über die Flammen auf der ersten Stufe. Dann streckte ich meine Hand aus und half Angi. Sie landete neben mir und rannte sofort los. Unsere Hände wurden schweißnass, doch wir hielten zusammen. Rauch erfüllte die Luft, doch wir rannten nur schneller die Treppe hinunter und nahmen jeweils unseren Ärmel zum Schutz. Angi und ich husteten, wir bekamen immer schlechter Luft. Das Feuer verfolgte uns.

Kurzerhand blieb ich stehen, packte meine Freundin, die erschreckt aufquiekte, und setzte sie auf dem Treppengeländer ab. Sie rutschte hinab und ich tat es ihr nach. Wie ich gehofft hatte, erreichten wir das Ende der Treppe schneller, als wenn wir gerannt wären. Was wir allerdings nicht wussten, war, dass der Boden am Schlusspunkt der Treppe viel tiefer lag, als gedacht. Viel, viel tiefer.

Und so fielen wir. Wie in Trance ergriff ich das Seil, was ich um meinen Körper geschlungen hatte und warf ein Ende aus. Angi, die sich während des Fluges an mein Bein gekrallt hatte, klammerte immer fester.

Ein Moment der Leere. Ein Moment des Nichts. Ein Moment des Fallens. Ein Moment der Schönheit.

Was mit dem Seil passierte, hätte ich mir nicht erträumen lassen. Unser Fall stoppte so abrupt, dass mir schlecht wurde. Das Seil schnürte sich um meinen Bauch und ich versuchte wie wild, es zu lockern, was sich mitten in der Luft und ohne den festen Boden unter den Füßen als ziemlich schwierig herausstellte.

"Wir hängen mitten in der Luft", schrie Angi. "Aber wir sind nicht verletzt", antwortete ich laut.

"Angi, das wird jetzt gefährlich werden." "Oh bitte nicht", unterbrach sie mich.

"Wir müssen versuchen, uns zu retten", erklärte ich und ignorierte ihren Einwurf. "Ich kenne nur die Existenz von genau 4 Menschen in diesem Haus und zwei davon sind gerade nicht hier. Hör mir also gut zu. Du musst an meinem Bein hochklettern und bis zum Seil kommen. Dann musst du dich am Seil hochhangeln. Ich komme gleich danach hinterher."

Angi seufzte, doch schließlich griff sie mit einer Hand in meinen Pullover und zog sich nach oben. Als ihr Gesicht vor meinem schwebte, trafen ihre Lippen auf meine. "Egal was passiert, ich liebe dich, Mäuschen." Mein Flüstern war kaum hörbar, doch Angi hörte mich immer und überall. Sie hatte immer zwei offene Ohren für mich.

"Ich liebe dich auch, Alexi." So nannte Angi mich nur in Ausnahmefällen, unter anderem, wenn sie mich ärgern wollte. Insgeheim dankte ich ihr, dass sie die Stimmung auflockerte. Wofür ich nicht dankbar war, war ihr sich lockernder Griff. "Wir sehen uns oben", murmelte sie, bevor sie über meine Schultern kletterte und mich verließ.


Das alte HausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt