26. Die Melodie von Klavier und Streit

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ANGI

Als die Jungs zu uns stießen, deutete Maja mit einem Arm vor mir ins Nichts. "Hier geht's nicht mehr weiter. Der Balken endet irgendwie hier. Ich kann nicht sagen, woran es liegt."

Ben schaute wissend. "Ich glaube alle Balken enden irgendwann ganz abrupt. Der über uns war auch schon so." "Na dann müssen wir uns nach unten begeben." Ich seufzte.

Maja, die vor mir gekrabbelt war, machte den Anfang. Sie hielt sich mit den Händen am Balken fest und glitt langsam herunter. "Ja, hier ist tatsächlich ein weiterer Balken. Wie ich es mir gedacht habe." Als sie den Balken losließ und fest auf dem anderen Balken stand, traute ich mich herunter. Unter diesem Balken befand sich noch einer und darunter kam ganz normaler Boden in Sicht. Sobald ich diesen berührte, fühlte ich mich viel wohler. 

"Was ist das?" Maja leuchtete mit ihrer Taschenlampe nach vorne und schaffte uns eine Sicht auf einen schwarz weiß gestreiften Boden sowie Hangeln, die von dem Balken hingen, der den Boden in der Mitte, nur eben über uns, überquerte.

"Eigentlich könnten wir den Balken weiterhin nehmen, aber hier kann man angenehm laufen", stellte ich fest.

Von Maja kam nur ein Nicken.

"Moin, was gibt's hier?", fragte Alex, als er kurze Zeit später als Letzter zu unserer Gruppe strömte.

Maja demonstrierte den farblichen Boden und die Schlaufen und da registrierte ich das Gebilde auf dem Boden. Klaviertasten wurden nachgestellt.

Meine Vermutung bestätigte sich, als ich auf die ersten weißen Tasten trat und Töne erklangen. Der Boden war nur auf der linken Seite gestreift,danach hörten die schwarzen Tasten auf und die weißen Tasten nutzten den ganzen Platz für sich.

Ich lief weiter, und mit jedem Schritt erklangen neue Töne, als ich eine Tür hinter den Klaviertasten entdeckte.

Ich lief darauf zu, setzte mehr Kraft in meine Beine und auch die Töne wurden lauter. Als ich die Tür erreichte, drückte ich die Klinke herunter, doch die Tür blieb geschlossen.

"Och Mann", murmelte ich.

"Ich öffne mich dem, der die Melodie spielen kann." Eine unbekannte Stimme war überall im Raum zu hören. Danach spielte eine Melodie. Ich passte gut auf und erkannte den ersten Ton: C. Und zwar ein tiefes, was ich meistens mit der linken Hand spielte. Die Melodie wiederholte sich immer wieder und so fand ich den zweiten Ton heraus. Ich wollte über das D zum nächsten Ton laufen, doch sobald ich besagte Taste berührte, quälte ein schreckliches Geräusch meine Ohren. 

Die Stimme von vorhin flüsterte: "Daneben." Ich unterdrückte ein Fluchen und versuchte es erneut. Wie sollte ich denn zum nächsten Ton kommen, wenn ich nicht die Tasten überqueren konnte?

"Angili, die Hangeln! Versuch's mal mit denen!" Ich drehte mich zu Alex, der auf die Hangeln über den Tasten zeigte. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Natürlich.

Ich stieg wieder auf das C, dann streckte ich meine Arme nach oben und hangelte, bis ich über dem nächsten, richtigen Ton absprang.

Ich brauchte zwei Versuche, da ich beim ersten das B statt das H getroffen hatte und einmal auf eine falsche Taste getreten war, weil mich die anderen zu sehr abgelenkt hatten.

Die Melodie endete und ich hangelte mich bis zur Tür, die sich gerade öffnete, die anderen kamen auf demselben Weg zur Tür. Maja sank erschöpft vor der Tür zusammen. "Das war echt anstrengend für die Arme und auch für den Körper." Maja atmete heftig.

Auch die Jungs und ich sahen fertig aus, doch wir blieben stehen. Alex kam mir von hinten näher und zog mich an meiner Hüfte zu sich, so dass ich mich an ihn lehnen konnte.

"Das hast du gut gemacht, Angischatzi." Er drückte mir einen Kuss auf den Hinterkopf. Das steigerte meine gesunkene Laune.

Wir gaben uns noch ein paar Minuten Zeit, bevor wir aufbrachen.

Als Maja neben mir durch die Tür ging, sah sie sehr verträumt aus. "Woran denkst du?", fragte ich. "Ach, nur an Ben." War ja klar. Interessierte sie sich auch für mich? Ich war ihre beste Freundin. Okay, beruhige dich. Das ist nur die Liebe, die ihr Hirn vernebelte. Trotzdem konnte ich meinen Mund nicht aufhalten. "Du kennst ihn doch gar nicht." Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, bereute ich sie genauso sehr wie meinen vorwurfsvollen Unterton. "Ich kenne ihn sehr gut. Nicht nur, dass wir uns sehr viel unterhalten haben, während du mit deinem Alex beschäftigst warst, nein. Ich habe auch ihn kennengelernt. Ich weiß, wie er sich in bestimmten Situationen benimmt. Ich weiß, dass er gutmütig ist und dass er manchmal zu neugierig ist, um auf andere zu warten. Manchmal aber ist er auch der Letzte. Er sucht das Gespräch und lacht sehr gerne. Ich könnte dir jetzt noch mehr gute Eigenschaften von ihm aufzählen."

"Aber jeder Mensch hat auch negative Eigenschaften. Du kennst seine schlechte Seite doch gar nicht. Vielleicht hat er zu Hause eine Freundin oder er raucht oder keine Ahnung. Ich habe keine Ahnung von ihm und du auch nicht."

"Wo liegt eigentlich dein Problem? Du hast doch gar nicht mit ihm gesprochen. Du kannst gar nicht wissen, was ich über ihn weiß und was nicht. Ach und ja. Jeder Mensch hat schlechte Seiten an sich. Doch wenn du einen Menschen wahrhaftig liebst, akzeptierst du auch seine negativen Seiten." Ich ignorierte den letzten Teil ihrer Aussage. Wir liefen durch einen Gang und betraten den nächsten Raum, wo ich mein Spiegelbild tausendfach erblickte.

"Mein Problem? Wo mein Problem liegt? Das liegt bei dir. Du sprichst kaum mit mir." "Weil du die ganze Zeit bei Alex bist", warf Maja ein.

"Ich war noch nicht fertig. Und wenn du es doch tust, dann schwärmst du nur von Ben. Hach, seine so wunderschönen, blauen Augen." Ich machte eine ausladende Geste, um die Ironie meiner Aussage zu verstärken.

"Er hat braune Augen, nicht blaue", zischte Maja. Dann drehte sie sich um und stürmte davon.

Ihr Abgang machte mich nur noch wütender und deshalb rauschte auch ich ein paar Sekunden später davon, aber in die entgegengesetzte Richtung von Maja. Ich hörte Rufe hinter mir. Alex. Ich beschleunigte mein Tempo und kurze Zeit später rannte ich so schnell ich konnte.

Spiegel flogen an mir vorbei. Die Gestalten in diesen verschwommen. Ich bog mal links, mal rechts ab. Schließlich erreichte ich ein Fenster, kletterte durch dieses in einen engen Gang und krabbelte, was das Zeug hielt. Und doch hörte ich Schritte, die mich langsam einholten.  

Das alte HausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt