Twenty

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Seine Reaktion ist genau die, die man sich jetzt vorstellt. Die Augen werden groß, seine Schultern sinken nach unten und man kann sein Herz förmlich in die Hose rutschen sehen. Das hektisch werdende Klopfen seiner Fußes auf dem Boden übertönt die Klimaanlage und seine Hände verschränken sich ineinander, so stark, dass die Knöchel weiß werden.
Er weiß also auf was ich hinaus möchte. Sehr gut.
Mit einer Antwort lässt er sich Zeit. Das Tippen seines Schuhe wird schneller und seine Hände langsam bläulich, so sehr drückt er sie aneinander.

"Sie war meine Ex."

Keine einzige Regung ist auf meinem Gesicht zu sehen. Wieso auch? Seine Antwort überrascht mich kein bisschen. Irgendwie musste er ja in einer gewissen Weise zu ihr stehen. Meine Stimme ist ruhig. Keine Wärme oder Kälte ist in ihr zu hören, nur das Suchen nach einem Grund.

"Warum die Anzeige?"

Der Atem der aus seiner Lunge entweicht, kommt noch vor dem Geräusch von Kilians Schuhen auf dem Boden. So etwas wie Erleichterung setzt sich auf seine Miene und die Schultern spannen sich an, während Kilian sich wieder neben mir nieder lässt. Sein Milchshake ist mittlerweile nur noch eine braune, warmgewordene Brühe, die er mit einem kurzen mitleidigen Blick ansieht.
"Ich warte auf eine Antwort."
Caidens Blick wird von Reue überzogen und Schuldbewusst sieht er zu Kilian, welcher sich nach hinten lehnt und eine Augenbraue hochzieht. "Ich hab eine Ahnung um was es hier gehen könnte." Ein bisschen verwirrt, drehe ich mich zu ihm. "Du weißt, wieso er Lorena zur Anzeige gebracht hat?" Wenn er jetzt, davon weiß und mir, trotz dem Fakt, dass er Caiden damals zu MIR geschickt hat, nichts gesagt hat, werde ich es mir überlegen, beiden nicht doch Hausverbot im Diner zu erteilen.
"Er hat seine Strafe dafür bekommen. Hör dir an, was er zu sagen hat, danach kannst du urteilen."

Meine Arme verschränkend lehne ich meinen Rücken an die Bank, auf seine Erklärung wartend. Na dann, lasst das Geschichtenerzählen beginnen. 

"Fuck."

Genau, Caiden. Fuck. Denn egal was du jetzt aus deinem Mund kommen lässt, es kann die Situation nur beschissener machen. Zumindest für dich.

"Lorena und ich waren damals seit 4 Jahren zusammen. Und, Scheiße verdammt, dachte ich sie wäre mein Ein und Alles gewesen. Als 17 Jahre alter pubertierender Junge der nur mit seinem Schwanz denkt und das perfekte Leben, mit Mädchen, Kohle und einem Sohn vor Augen hat, dachte ich wirklich sie wäre alles wert. Sogar 'nen Ring hab ich ihr gekauft. Natürlich war die rosarote Brille auf meiner Nase so heftig, dass die Finanzierung von einem Leben, einer zukunft, geschweige denn von einer Wohnung und einer Hochzeit gut vorstellbar durch Dealen. Die ganze Fantasie war sogar sehr gut vorstellbar, wenn man bedenkt, dass wir nicht gerade wenig Geld mit dieser Kacke gemacht haben. Joshua war damals einige Wochen dabei, als Lorena mir eröffnete, dass sie nichts mehr von mir will, da wir keine Zukunft haben.  Du weißt wie hart das kam, wenn ich ihr am gleichen Abend die Frage stellen wollte."
Sein Blick hätte man in Richtung 'Verletzt'deuten können, ebenso wie sein ironisches Ausatmen. Man hätte es so deuten können, doch bei ihm bin ich mir nicht sicher. Seine Stimmungsschwankungen sind ja nie vorherzusehen. 

"Lorena und Josh waren seit ihrer Trennung von mir DAS Traumpaar unserer Clique. Um ehrlich zu sein war diese Trennung auch eine der besten Dinge die mir je passiert sind."

Kilian nimmt Caidens ironisches entledigen der Luft auf und scheint desinteressiert den Dreck der sich unter seinen, relativ gepflegten und langen Nägeln befindet, herauszupulen. So wie er seine Aussage sieht, scheint etwas Wahres dran zu sein.

"Den Jungs und mir war es nie wirklich Recht gewesen, dass Josh Teil von uns war. Unser Püppchen hingegen, fand ihn perfekt. Wenn es nach ihr ging, sollte er ein festes Mitlgied werden und bei allen Jobs mitmachen. Spätestens ab da, war er mir zu lief. Ich war ein eifersüchtiger Arsch, der im Endeffekt nur sein Revier markieren wollte und nicht damit zurecht kam, wenn man ihm etwas Verwehrte. 
Der große Deal kam also, und wie ich damals halt war -" "Und heute noch teilweise bist." wirft sein Kumpel, und mein bester Freund, ein. 
"Genau. Wir haben ihn verarschen wollen und die Bullen gerufen. Sicher hatten wir eine wage Ahnung, dass er eventuell mit denen unter einer Decke stecken könnte, aber keiner hat es wirklich in Erwägung gezogen.
Den Teil von dort an kennst du ja. 
Er wurde trotz der Zusammenarbeit festgenommen, ebenso wie einige von den anderen. Lorena und Ich waren mitunter eine von den wenigen, die sich vor Angst fast in die Hose geschissen haben und weggerant sind, sobald wir gemerkt haben, dass etwas faul war. Lorena war zu diesem Zeitpunkt seit 4 Monaten schwanger." 

Diese Information hätte ich jetzt nicht erwartet, jedoch zeige ich es äußerlich nicht. Doch habe ich eine Frage: Wer ist der Vater und bin ich doch schon früher Tante geworden, wie ich gedacht habe?

"Keiner wusste es, außer sie und ich. Josh hatte keine Ahnung, da er immernoch von der Polizei festgehalten wurde. Wir waren uns nicht mal sicher, wer von uns beiden der Vater war, da sie seit vier Monaten von mir getrennt und erst dann mit Josh zusammengekommen war. Das war höchstwahrscheinlich der Grund wieso sie sich überhaupt von mir getrennt hat. Lorena hatte zwei Tage vor der Trennung mit Joshua geschlafen. Vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen und hat deswegen Schuss gemacht oder ich war ihr einfach nicht mehr genug. Ich weiß den genauen Hintergrund nicht. Sie erzählte mir, dass sie nicht wisse von wem es sei, sich aber sicher wäre, mit Joshua weder ein Kondom, noch die Pille benutzt zu haben. Wissen täte sie es aber auch nicht zu hundert Prozent, da sie angetrunken war. Er aber nicht. An dem Abend habe ich ihr also eingeredet, dass es alles von Joshua gewollt wäre. Er hätte gewartet, bis sie Alkoholintus hatte und sie dann dazu gedrängt mit ihm zu schlafen." 

Schuldbewusst sieht er mich mit seinen wunderschönen blauen Augen an, versucht mir mitzuteilen, dass er es bereut, aber die Wand vor meinem Kopf ist dick und bis jetzt undurchdringbar. Er war ein Arschloch. Ein hormongesteuertes Arschloch.

"Ich bin ein Arschloch. Dafür, dass ich ihr damals soetwas gesagt habe und dafür, sie zur Anzeige gedrängt zu haben. Es tat mir im Herzen weh, die angebliche Liebe mienes Lebens zu sehen, schwanger mit dem Kind eines anderen, gezeugt in der Zeit in der ich sie Fragen wollte mich zu heiraten.
Hasse mich für diese Scheiße. Schlag mich. Schrei mich an. Jag mir mit dem Pfefferstreuer hinterher. Lass mich für alle deine immensen Essensbestellungen zahlen. Es ist mir egal, was du tust. Ich verdiene es. Auch wenn ich nur eine Bruchteil von dem gesehen habe, was diese stumpfsinnige, total abgefuckte Situation die alles angetan hat, ich kann mir vorstellen wie sehr du mir gerade den Kopf umdrehen möchtest und mich auf alle Lebzeiten verfluchst. Nichtsdestotrotz, hoffe ich, es hilft dir ein kleines bisschen, das gesamte zu verstehen, wenn du meine Seite gehört hast. 
Joshua weiß mittlerweile davon. Er hat mir damals geholfen, aus der gesamten Sache, der Clique und der Polizeifahndung rauszukommen. Wir beide haben noch jeweils gegenseitig bei dem anderem eine Rechnung offen, aber wir werden sie begleichen. Der Krieg und Hass ist auf beiden Seiten so gut es geht begraben und wir versuchen stattdessen Akzeptanz und Frieden zwischen uns beide und diese Vergangenheit zu bringen."

Zu viel.
Alles.
Diese ganze Sache.

Ja, ich habe mit soetwas gerechnet. Aber ich habe nicht erwartet, dass die Wirkung seiner Worte, die Erzählung des Vergangenem so tief einschlägt. 

Caidens Blick liegt auf mir. Kilian sieht nach draußen, in den dunklen, mit Regenwolken überzogenen Himmel. Die Klimaanlage läuft immernoch so laut wie am Anfang dieser Zusammenkunft. Das hektische Tippeln von Caidens Schuh auf den Linoleumboden ist eine der Faktoren die seine Nervösität zeigen. Die Nervösität auf eine unvorhersehbare Reaktion meinerseits.

"Was ist aus dem Kind geworden?"

Statt Caiden, der mir stumm und verloren in das gesicht blickt, antwortet mir Kilian, immernoch mit dem Blick nach draußen gerichtet. 

"Sie hat es verloren, nachdem sie eine Überdosis einer Partydroge hatte."

"Das tut mir leid für dich, Caiden."

Es tut mir wirklich leid für ihn. Ehrlich. Keiner hat es verdient, dass sein Kind, ob leiblich oder nicht, stirbt. Fehlgeburten sind eine schlimme Sache. 

"Man kann es jetzt auch nicht mehr ändern. Genau wie meine Entscheidungen damals."

Er hat recht. Ändern kann man es nicht mehr. 
Und um ehrlich mit mir selbst zu sein, weiß ich nicht, ob ich mit dem Ich zufrieden wäre, dass ich sonst geworden wäre. 

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