Brökelnde Fassade (2)

312 10 2
                                    

Felix's Sicht

Nach der Schule fuhren wir alle nach Hause und warteten auf Tino. Wenn er da ist wollten wir sofort zu Isa fahren, um ihr beizustehen und sie natürlich mit zu uns nehmen.

Mann bin ich froh, wenn in ein paar Wochen - ich glaube es sind noch zwei Wochen - die Schule ein Ende hat. Elias und ich wollen Rettungssanitäter werden. Auf der Gesamtschule gehören wir auch zu den Schulsanitätern und es macht uns einfach Spaß anderen Leuten zu helfen. Naja und einer in diesem Fall zwei müssen ja die Tollpatsche sprich unsere unachtsamen Brüder verarzten können. Klar haben wir uns das extra Schuljahr irgendwie selbst zuzuschreiben, weil wir ähm... das Schuljahr auf die leichte Schulter genommen haben?.

Ok, ok ich geb es ja zu. Wir haben mit Emilio Unfug angestellt. Wir haben Graffiti in der Schule gesprüht, uns mit den Lehrern angelegt und häufig geschwänzt. Aber wir waren endlich volljährig und wollten unsere Grenzen austesten. Naja, ist ja jetzt auch egal. Tatsache: Tino hat uns ordentlich Feuer unterm Hintern gemacht und wir haben uns dieses Schuljahr sehr angestrengt. Emilio hat auch ordentlich Anschiss bekommen und ist jetzt sehr fürsorglich gegenüber Tara.

Wir werden aber genau so fürsorglich bei Isa sein. Das, was wir nämlich zurzeit von unseren Freunden hören, gefällt uns ganz und gar nicht und da müssen wir ihr auch noch auf den Zahn fühlen. Allerdings fragen wir uns auch, warum sie nicht zu uns kommt, wenn was ist. Aber jetzt wohnt sie ja bei uns und dann werden wir sie ja immer in Auge haben.

„Hey, Felix. Ist jemand zu Hause?", fragte mich mein Twin und fuchtelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht. „Hm ja, ist was?" fragte ich noch leicht in Gedanken. „Tino ist da. Wir wollten schnell Sandwiches essen und dann los fahren. Wir haben dich schon mindestens dreimal gerufen, aber du warst so in Gedanken, dass du uns nicht beachtet hast," erklärte Elias schmunzelnd. „Ups, sorry. Wehe einer von euch hat mein Sandwich angerührt," erwiderte ich ebenfalls schmunzelnd. „Keine Sorge, es steht gesund und munter auf dem Küchentisch und wartet darauf von dir verschlungen zu werden," feixte mein Bruder. „Haha. Wie witzig du doch heute wieder drauf bist," meinte ich eingeschnappt und ging zum Küchentisch, wo auch meine restlichen Brüder saßen und sich Schrott lachten.

Nach dem Essen fuhren wir dann mit Tino's Auto zu dem Haus von Mama und Isa. „Denk dran Jungs. Seid sensibel zu Isa. Der Tod von Mama geht ihr bestimmt sehr nah, also seid einfühlsam," ermahnte Tino uns und wir versprachen ihm einfühlsam zu sein. Schließlich geht der Tod von Mama uns ja auch sehr nah und wir wohnten noch nicht mal bei ihr. Isa wird uns gleich sicherlich mit verweinten Augen die Tür öffnen und Augenringe haben. Sie hat nämlich garantiert kaum ein Auge zu bekommen in der Nacht.

Mit dem Auto kamen wir zügig am Haus an und klingelten. Als Isa die Tür aufmachte, waren all meine Vorstellungen ins Wasser gefallen. Sie stand überrascht uns zu sehen im Türrahmen und fragte was wir hier machten. Erst stand ich wie erstaart dar. In ihren Augen war kein Anzeichen davon zu sehen, dass sie geweint hatte. Dann entgegnete ich ihr, dass wir sie eigentlich trösten wollten, aber es ihr ja anscheinend gut ginge. Nachdem ich das gesagt hatte, konnte ich ein Hauch von Glücklichkeit in ihren Augen sehen. Als würde es ihr gut gehen, doch nach dem Tod von Mama kann es ihr nicht gut gehen. Trauert sie überhaupt nicht? Zwar sagte sie, dass sie in der Nacht geweint habe und jetzt schlafen wollte, jedoch überkam mich das Gefühl das dies gelogen ist. Während Tino etwas sagte, setzten wir uns aufs Sofa. Allerdings war ich irgendwie noch damit überfordert, das sie allen Anschein nach nicht trauert, sodass ich kaum was von dem Gespräch mitbekam.
Ich nahm ein Lachen meiner Brüder wahr und das Elias über unser Haus redete, dann das Isa was fragte, Tino ihr antwortete und wie Milan irgendwas sagte.

Durch einen 'Rumps' und einen Aufschrei wurde ich aus meiner 'Staare' gezogen. Isa fiel zurück auf das Sofa. Sie hat sich bestimmt an der Tischkante gestoßen, aber wieso schreit sie dann so auf. Meine Brüder und ich schauten sie verwirrt an. „Hast du dir weh getan, dass du so aufschreist oder was ist los?", fragte Milo.

Isa's Sicht

Verdammt was soll ich denn jetzt sagen. Denk nach Isa, denk nach! Du hast drei Möglichkeiten. 1: Die Wahrheit sagen, eine Diskussion haben und ins Krankenhaus kommen. Auf keinen Fall! 2: Nur das erzählen was in der Schule passiert ist, Elias und/oder Felix schauen sich das an. Risiko, dass es auffliegt! 3: Verharmlosen und einfach ins Schlafzimmer gehen. Ja!

„Nein, nein alles gut. Es tat nur im ersten Moment weh," antwortete ich deshalb schnell. „Ist wirklich alles gut?", hakte Elias nach. Nein! „Ja, klar. Ich geh dann jetzt schlafen," lenkte ich schnell ab. „Okay, aber kannst du uns bitte was zu trinken holen und du solltest auch etwas trinken," bittete Tino. „Wenn es sein muss. Was wollt ihr trinken?", fragte ich genervt. „Saft reicht," meinte er. „Och nee, dafür müsste ich extra in den Keller laufen, geht auch Wasser?". „Saft ist aber leckerer als Wasser," warf Milan ein. „Zudem könntest du gleich gucken, ob nach was im Keller ist, was mit muss," ergänzte Tino. Also stand ich murrend auf - diesmal ohne mich zu stoßen -, ignorierte den Schmerz und lief die Kellertreppe nach unten, dabei achtete ich wiedermal darauf nicht zu humpeln. Ich ging zu den Getränken und nahm zwei Flaschen Orangensaft, dann schaute ich mich ganz genau im Keller um. Irgendwo sollten doch noch Sachen von mir sein, die Mama mir weggenommen hat, damit ich mich auf den Haushalt konzentriere. Doch ich fand nichts. Hatte Mama meine Sachen etwa weggeschmissen? Anscheinend schon. Zum Teil wütend ließ ich mich auf den Boden sinken und grübelte. Hat Mama mich gehasst und deswegen die Sachen weggeschmissen, mich deshalb geschlagen, mich deshalb den Haushalt machen lassen und mich deswegen die Treppe runtergeschubst?

Als ich mich gefasst hatte, ging ich mit den Saftflaschen in den Händen wieder nach oben, stellte die Flaschen an den kleinen Tisch, wo ich mich auch so schön gestoßen habe und holte die Gläser. Ich gab Tino Bescheid, dass im Keller nichts mehr ist, was mit muss, trank ein Glas Saft und ging dann ins Schlafzimmer. Dort warf ich mich aufs Bett. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt zu schlafen, aber irgendwie bin ich schon müde und fiel in einen traumlosen tiefen Schlaf.

Elias's Sicht

Tino hatte Isa zum Glück in den Keller geschickt. So konnten wir kurz reden.
„Findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass Isa keine Tränen in den Augen hatte und ich glaube, dass sie uns angelogen hat. Sie hat bestimmt nicht die ganze Nacht geweint sonst hätte sie nämlich Augenringe und irgendwann wäre sie eh eingeschlafen," meinte Felix sofort, als wir außer Hörweite waren. „Ja, und ihr Aufschrei, als sie sich an der Tischkante gestoßen hat. Ich glaube, dass irgendwas mit ihrem rechten Knie nicht stimmt," sagte ich beipflichtend. „Das glaube ich auch. Ich habe sie beobachtet, als wir ins Wohnzimmer gegangen sind und sie hat extrem versucht nicht zu humpeln," stimmte Milo mir zu. Auch Tino und Milan stimmten zu. Es blieb nur noch die Frage, was ist mit ihrem Knie und wie wir weiter vorgehen. „Wenn wir sie darauf ansprechen wird sie höchstwahrscheinlich alles abstreiten, also müssen wir es anders machen, aber wie weiß ich nicht," sagte Milan. „Wie wäre es, wenn Felix und ich uns ihr Knie anschauen, während sie schläft und wenn es schlimm ist rufen wir einen Krankenwagen," schlug ich vor und all stimmten zu.

Kurz darauf kam auch Isa mit zwei Saftflaschen in den Händen wieder, stellte sie auf den kleinen Tisch vor uns und holte dann Gläser für uns alle. „Im Keller ist nichts mehr was mit muss," informierte Isa uns und trank ein Glas Orangensaft, bevor sie ins Schlafzimmer ging. Da Felix und ich noch warten wollten bis Isa im Tiefschlaf war, halfen wir den anderen noch Isa's Klamotten und andere Sachen in Koffer oder Kartons zu packen. Nach ungefähr einer halben Stunde schlichen wir uns dann ins Schlafzimmer. Isa war wirklich schon im Tiefschlaf. Leise setzten wir uns aufs Bett und schoben vorsichtig das Hosenbein ihrer Leggings hoch. Als wir dann freie Sicht auf ihr Knie hatten, lief uns ein Schauer über den Rücken.

My LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt