5. Kapitel

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Kapitel 5

„Wir sind da." Jase Stimme riss mich aus den Gedanken und ich konnte ein größeres Haus erkennen, das inmitten von Bäumen stand. Es sah aus wie ein altes Herrenhaus, das im Wald errichtet wurde um unerkannt zu bleiben. Ich wusste nicht genau wo wir waren, aber laut der Schilder irgendwo bei Mayrhofen. So viel von Österreich in so wenigen Tagen zu durchqueren, dass hätte ich noch vor zwei Tagen nicht für möglich gehalten und nun stand ich hier, in einem Skigebiet im nahenden Sommer, vor einem wunderschön altmodischen Haus. „Wow, das ist etwas größer, als das Reihenhaus." Er lächelte mir zu und stellte das Auto ab. Langsam stieg ich aus. Mein Kopf pochte so stark, kurz schwirrte alles um mich herum. Aber immerhin konnte ich mir sicher sein das meine Durchblutung noch gut funktionierte. Doch es fiel mir schwer das Gleichgewicht zu halten, so wie alles schwankte. Ich musste die Augen schließen und mich auf meine Verbindung zum Boden konzentrieren, um nicht umzukippen. Ich versuchte tief durchzuatmen und alles außer das beruhigende Zwitschern der Vögel auszublenden. „Hier ist es richtig idyllisch." sagte ich darauf und spürte wie Jase Arm sich um meine Taille schlang, um mich zu stützen. Mit ihm an der Seite traute ich mich wieder die Augen zu öffnen und auf das große Haus zu schauen. „Alles ok bei dir?" Ich nickte nur, aber mir entging dabei nicht sein sorgenvoller Blick und,wie traurig er wurde, als wir durch die große Eingangstür gingen. „Es hat einen großen Garten und wir liegen hier wirklich ab von Schuss, deswegen wollte ich hierher. Wir müssen uns hier nicht die ganze Zeit im Haus verstecken." Seine Stimme klang immer noch belegt von Trauer, aber er versuchte mir ein Lächeln zu schenken. Das erste, was ich erblickte als wir das Haus betraten, war ein kleiner Salon, sehr altmodisch, aber auch sehr schön. „Wer hat hier früher gelebt?" Er wirkte wieder sehr bedrückt und sein Blick wurde leer. „Meine Eltern, ... ich." Es folgte eine lange Stille. Was wollte er sagen? Sie mussten eine ziemlich wohlhabende Familie gewesen sein. Aber es stimmt, er hatte mir erzählt das er in der Nähe von Innsbruck aufgewachsen war. „Ach nicht so wichtig, komm ich zeige dir den Garten." Ich hätte gerne mehr über seine Zeit hier erfahren, aber sein Verhalten zeigte mir, dass das wohl noch zu früh war. Jase zog mich schnell in ein geräumiges Wohnzimmer. Die Möbel waren aus schönem dunklen, antikem Holz und viele Bücherregale standen an den Wänden. Ohne anzuhalten, ging er durch die Glastür heraus und ich konnte die schöne Sicht auf eine Wildblumenwiese, die wohl schon länger keinen Gärtner mehr gesehen hatte und die weit laufenden Berge dahinter bewundern. Der Garten war prächtig, viele Statuen waren überall verteilt und ich konnte mir vorstellen, wie schön er erst gewesen sein musste, als er noch nicht überwuchert war. Das Einzige was hier darauf hinwies, dass wir nicht in der Zeit gereist waren, war en die Gartenmöbel. Sie wirkte etwas zu modern für den restlichen Stil des Hauses und auch des Gartens, aber mir gefiel es. Die Sonne stand nun auch schon weit oben und warf einen goldenen Schein auf alles, ich war total überwältigt. „Es ist so schön hier, schade, dass du hier nicht aufwachsen konntest. Das wäre sicher eine schöne Kindheit geworden." Sein Gesichtsausdruck wurde traurig und er sah betreten nach draußen. Vielleicht hätte ich das lieber nicht erwähnt. „Es tut mir leid, ich wollte nicht..." Mir fehlten die Worte, doch er drehte sich zu mir um und sah mir tief in die Augen. „Es ist ok Chloe." Ich schüttelte den Kopf, ich hätte das nicht sagen sollen. Sofort fing er wieder an zu Pochen und ich bereute die Bewegung. Er legte seine Hände an meine Wangen und hielt meinen Kopf fest. Seine Berührung raubte mir den Atem und ich brachte kein Wort mehr heraus. „Keiner versteht mich besser als du." Ich nickte und sah ihn liebevoll an. „Es ist wichtig, dass wir über das alles reden können, sonst frisst es uns auf. Natürlich tut es weh, aber man kann die Ereignisse nun mal nicht ändern." Er fuhr ganz sanft über meinen Rücken und seufzte. „Wenn nicht alles so verlaufen wäre wie es nun mal verlaufen ist, dann würden wir zwei jetzt nicht zusammen hier stehen, wir hätten uns nie kennengelernt." Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, wenn ich daran dachte warum wir hier standen, der Verlust der dahintersteckte. „Als du vorhin so bewegungslos auf dem Boden warst, wusste ich einfach, dass ich es dir hätte sagen sollen." Verwirrt sah ich ihn an und suchte nach einer Antwort in seinem Gesicht. „Was sagen?" Sein Blick senkte sich auf den Boden. „Seit ich dich kenne wusste ich, dass du besonders bist, anders, auf eine gute Art und Weise. Wir hatten unsere Ups und Downs, vor allem weil ich dir nicht von all dem erzählen konnte, aber jetzt weißt du es. Ich weiß nicht ob es dir genauso ging, aber in manchen Momenten, wie z. B.bei unserem Tanz auf dieser bescheuerten Party, hatte ich das Gefühl, dass du auch etwas in mir siehst. Etwas anderes, als einfach nur dieser komische Typ, der plötzlich bei euch einzieht." Er hatte mich überrascht, ich versuchte meine Stimme zu finden, ich musste etwas sagen, aber was? Das war es doch, was ich die ganze Zeit wollte, oder etwa nicht. War ich bereit es mir endlich einzugestehen? Erwartungsvoll sah er mich an. Als ich aber immer noch nichts gesagt hatte, blickte er zu Boden. Ich brachte immer noch kein Wort heraus, auch wenn ich wusste dass das meine Chance war, vielleicht sogar die Einzige die ich noch hatte. Also versuchte ich mich zu überwinden, aber was war wenn er gar nicht darauf hinaus wollte? Wenn ich damit unsere Beziehung gefährden würde, was wäre dann? Ich hatte Angst, Angst davor ihn zu verlieren, egal auf welche Weise auch immer. Also schlang ich einfach meine Arme langsam um seinen Körper und bettete meinen Kopf an seiner Brust. Ein leichter Schmerz zuckte durch meinen Körper als ich die Arme hob, aber ich versuchte nicht daran zu denken welche Stellen alle geprellt waren. Er drückte mich fest an sich und ich konnte spüren wie er mir einen Kuss auf die Haare drückte. Ich sah zu ihm auf. Unsere Gesichter waren nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt, ich konnte das getrocknete Blut auf seiner Stirn sehen, dass eine Spur von der Narbe bis zu seiner Augenbraue zog. Sanft berührte ich die Stelle und sah ihn mitfühlend an. Er aber hatte die Augen geschlossen und hielt sie geschlossen, auch als ich langsam mit meinen Fingerspitzen bis zu seiner Wange wanderte und sie dann dort verharren ließ. Ich wollte mutig sein, ich wollte meine Ängste überwinden, ich wollte mir meine Gefühle eingestehen, aber so einfach war das nicht. Selbst wenn ich ihm so in seine wunderschönen tiefbraunen Augen schaute, traute ich mich doch nicht die letzten Zentimeter zwischen uns zu überbrücken. Auch er hob nun seine Hand und strich mir ganz sanft über die Wange. Ich schmiegte mich in seine Hand und genoß seinen Halt und Trost. Es war keine lange Berührung bevor er seine Hand wieder zurückzog, doch trotz allem fühlte sie sich so gut an wie seit langen nichts Anderes. Ich fühlte das erste mal seit diesen zwei Tagen wie mein Herz vor Freude und Aufregung schneller schlug und nicht wegen des Adrenalin oder des Verlustes. Ich genoss einfach seine Nähe. Er empfand etwas für mich und ich für ihn, was auch immer das genau war.

The Hunted GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt