6. Kapitel

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Kapitel 6

Die warmen Strahlen der Sonne weckten mich, sie lagen wärmend auf meinem Gesicht und kitzelten mich aus dem Schlaf. Es war einer der ersten Momente seit unserer Flucht an dem ich mich an einen normalen Morgen erinnert fühlte. Einen Morgen wie er vor ein paar Tagen immer gewesen war. Jetzt fehlte nur noch, dass Marie vor der Tür stand und mich mitnehmen wollte. Doch das würde nicht mehr passieren, keine Ahnung was sie sich dachte, wo ich nur hin verschwunden war? Vielleicht dachte sie, dass ich in die Luft gesprengt wurde, wie meine Eltern. Ich versuchte dieses Bild schnell wieder zu verdrängen und drehte mich auf den Rücken. Ich konnte die Vögel gedämpft durch die Fenster hören, meinen regelmäßigen Atem, aber sonst nichts, rein gar nichts. Es war so überraschend ruhig. Noch ein wenig verschlafen stand ich auf und öffnete den altmodischen Kleiderschrank, ich konnte nur hoffen, dass da vielleicht etwas zum Anziehen drin war. Überraschender Weise meldete mein Kopf sich nicht zu Wort und es setzte auch kein Schwindel ein, auch wenn mein restlicher Körper immer noch leicht schmerzte. Die Tür des Schrankes knarzte leicht, als ich sie vorsichtig auf zog. Das erste was mir entgegenkam war eine kleine Staubwolke. Meine Nase kitzelte und kurz darauf musste ich auch schon niesen. Den Schrank hatte wohl schon länger keiner mehr geöffnet. Mich überkam ein mulmiges Gefühl. Waren das die Sachen ihrer Eltern, ihrer verstorbenen Eltern? Es waren einige Blusen, schicke Stoffhosen, Hemden und auch ein paar Tshirts auf den einzelnen Ebenen verteilt. Ich überlegte mir etwas davon zu nehmen, aber irgendwie fühlte es sich falsch an, auch nur das kleinste Detail in diesem Schrank zu verändern. Er war Jase und Jakes Angelegenheit, nicht meine. Aber ein Detail fiel mir so sehr ins Auge, dass ich doch nochmal hinschauen musste. Es war ein silbrig glänzender Schlüssel. Er war genauso antik wie alles andere in diesem Haus mit seinen vielen Schnörkeln, die ein schönes Rankenmuster bildeten. Ohne dass ich es wirklich vorgehabt hatte, griff ich danach und ließ ihn in der Sonne glänzen. Wofür er wohl war? Warum sie ihn hier so einfach liegen gelassen hatten? Vielleicht wusste Jase was er zu bedeuten hatte? Ich würde ihn später danach fragen. Gedankenverloren steckte ich den kleinen Schatz in meine Hosentasche und ließ die Schranktür mit einem Seufzen wieder zufallen.

Nach der kürzeren Fassung meiner Morgenroutine, machte ich mich auf den Weg nach unten. Ich war ein bisschen angespannt, wer weiß wie die beiden drauf sein würden?
„Nein, nicht schon wieder!"
Als ich aber die Stimme von Jake hörte, wie er über einen Pfandkuchen fluchte, wusste ich, dass es so schlimm nicht sein konnte. „Morgen." Begrüßte ich ihn mit einem leichten Schmunzeln, als ich mir sein Kochergebnis ansah. Direkt an ihm segelte ein Pfannkuchen vorbei und klatsche auf den Boden. Jake warf mit Schimpfwörtern um sich und ich konnte nicht anders als zu lachen, dass war einfach zu komisch. Nach allem was passiert war, stand ich hier und sah einem quasi fremden dabei zu, wie er einem nach dem anderen Pfannkuchen versemmelte. Jake lächelte sofort als er mich sah. „Morgen Sonnenschein." Er schien sogar sehr guter Laune, mal abgesehen von seinem Fluchen. „Ich glaube du verwechselst mich mit dem brennenden Ball draußen am Himmel.Wo ist Jase?" Nachdem er so überschwänglich wirkte, merkte ich wie auch meine Stimmung freudig wurde, obwohl allein dieser fast normale Morgen sie schon angehoben hatte. Sein Lächeln wurde nur größer, als auch er meine gute Stimmung bemerkte. „Er wartet im Garten auf dich und das schon eine ganze Weile. Ich hatte mich schon gefragt, ob du überhaupt wieder aufwachst, du Schlafmütze." Natürlichfand er noch mehr Namen für mich, ich verdrehte nur die Augen und machte mich dann zur Tür nach draußen auf. „Jase und ich haben gestern ja auch ein paar Chäner fertig gemacht und sind nicht nach einer einfachen Spritztour hier aufgeschlagen." Ich versuchte locker zu klingen, aber der Tod dieser Männer drückte doch immer noch auf meine Brust und ließ mich erschaudern. Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen. Aber sein Grinsen wurde breiter, als ich mich nochmal zu ihm umdrehte. „Natürlich Kampfprinzessin" Kampfprinzessin? Sein Ernst? Ich schüttelte nur belustigt den Kopf, dann zeigte ich auf den Pfandkuchen am Boden und auf die Pfanne. „Na ja Küchenprinz würde ich dich auf jeden Fall mal nicht nennen." Er lachte, hob ihn auf und warf ihn in meine Richtung. „Du hast ihn noch nicht probiert." Er verfehlte mich nur knapp und ich floh schnell aus der Tür, bevor er noch mehrere nach mir werfen konnte. Na ja witzig war er ja, wenn ich auch immer noch nicht so richtig schlau aus ihm wurde. Draußen war es angenehm warm, ich lehnte mich der Sonne entgegen und ließ die frische Luft durch meine Lunge fließen. „Na, gut geschlafen?" Jase saß an einemgedeckten Tisch und lächelte mich freudig an. In seinem weißen Shirt, dem Lächeln und der wärmenden Sonne, strahlteauch er mir gerade so entgegen. „Ja tatsächlich ziemlich gut. Ich weiß nicht warum? Vielleicht ist es diese Idylle hier?" „Es ist schon fast magisch was ein bisschen Abgeschiedenheit und eine schöne Landschaft alles bewirken kann." Ich ließ mich neben ihm auf das Sofa fallen und nickte ihm lächelnd zu. Dann sah ich mir den Tisch genauer an. Es waren Waffeln auf den Tellern und sogar frisch gepresster Orangensaft. „Wie hast du denn das herbekommen? In diesem Haus gab es doch sicher keinen perfekt gefüllten Kühlschrank." Er zuckte mit einem Grinsen die Schultern. „Betriebsgeheimnis." Ich zog die Augenbrauen hoch und begutachtete die Waffeln. „Aha." Er lachte und nahm mir die Waffel aus der Hand. „Ja ok, ich war heute Morgen kurz in einem Hofladen, aber keine Sorge, hier kennt mich niemand mehr." Ich nickte und nahm ihm die Waffel wieder weg, um hineinzubeißen. „Du hättest mich wecken können, dann wäre ich mitgekommen." Er nahm sich seine eigene Waffel und nahm einen Bissen, fast wie als wollte er nicht antworten. „Na ja... dein Gesundheitszustand... und die blauen Flecken" Ich sah an mir herab und ja er hatte Recht, Jake hatte es ja gestern auch direkt gesehen. Ich nickte geknickt und nachm einen nahm einen Schluck vom Saft. Vielelicht war ich ja doch ziemlich zerbrechlich, wenn ich schon nach einem Kampf so aussah. „Du hast mich mit Jake hier gelassen." Er drehte sich sofort zu mir und sah mich forschend an. „Ja, das habe ich." Er überlegte kurz dann legte er seine Hand auf meine und strich sanft darüber. „Sorry, ich hätte dich nicht einfach so alleine lassen sollen. Ich weiß ja wie sehr dir der Verlust zusetzt und dann lass ich dich auch noch alleine." Er wirkte ziemlich geknirscht, obwohl ich darauf doch gar nicht heraus wollte. Ich nahm seine Hand in meine und verschränkte unsere Finger miteinander. „Es ist ok Jase, mach dir keine Gedanken, deswegen hatte ich es nicht angesprochen." Er sah verwirrt von unseren Händen auf. „Warum dann?" Ich sah leicht zu Boden, weil ich nicht sehen wollte was sich in seinen Augen abspielte, wenn ich ihm das gestand. „Ich habe euch gestern belauscht. Ich hatte nichts böses dabei ihm Sinn, ich wollte einfach nur wissen was los ist." Er legte seine Finger an mein Kinn und zog es zu sich nach oben, sodass ich ihn ansehen musste. „Ach Chloe, es ist nicht dein Fehler, ich hätte dir von ihm erzählen sollen und auch von Zia. Es tut mir leid, dass du jetzt alles so vor die Füße geworfen bekommen hast. Dann noch der Streit von gestern..." Ich lächelte leicht und sah dann endlich wieder in das fast flüssig wirkende Braun seiner Augen. „Ja das war nach den letzten zwei Tagen etwas viel, aber Jase ich glaube, dass er es ernst meint. Er will dich nicht verlieren." Jase drehte sich wieder weg von mir und starrte in die Ferne. „Du kennst ihn nicht." Ich kräuselte die Stirn, wieso war er denn jetzt so stur? „So etwas kann man nicht spielen Jase. Außerdem glaube ich dass du ihm trotz allem noch vertraust, sonst hättest du mich hier nicht mit ihm alleine gelassen." Er nahm einen tiefen Atemzug, bevor er sich wieder zu mir drehte. „Ich kann darüber jetzt nicht reden, aber ja ich glaube dass er dich beschützen kann und vertraue darauf dass er es auch tun wird." Ich wollte noch nicht locker lassen, aber sein Blick war endgültig. Dann legte er ein Lächeln auf und legte seinen Arm um mich. „Lass uns doch mal über die guten Sachen reden. Ich würde sagen, wenn es dir hier so gut geht und du keine Alpträume hast, dann lass uns doch hier eine Weile bleiben." Er wollte nicht darüber reden, zumindest heute nicht. Dann musste ich wohl geduldig sein, auch wenn mir das nicht leicht fiel. „Ja das ist schön."Nun schien er gelassener zu sein, er wusste dass das meine Kapitulation war, wenn auch nur für den Moment. „Aber vielleicht solltest du die Küche absperren, bevor Jake noch mehr Unordnung schafft. Also Kochen scheint nicht so seine Stärke, also zumindest Pfannkuchen." Ich lachte leicht und versuchte die gute Stimmung von zuvor wiederzuerlangen.„Kochen konnte er noch nie, das war eindeutig eine von den wenigen Sachen, die ich besser konnte." Etwas an dieser Aussage erinnerte mich an gestern und Jase wurde auch schon wieder eher angespannter, na ja eine Bemerkung über seinen Bruder war wohl nicht so das beste Gesprächsthema, dass hätte ich mir eigentlich auch denken können. „Wie lang werden wir hier bleiben können?" Versuchte ich es dann erneut. Er sah wieder zu mir und sein Blick wurde wieder freundlicher. „Die nächsten zwei bis drei Tage." Das überraschte mich, ich dachte wir könnten jetzt länger bleiben, vor Allem nach seiner Aussage von vorhin. „Nicht länger?" Er schüttelte den Kopg. „Wenn wir uns länger irgendwo aufhalten, ist die Gefahr, dass sie uns finden viel größer. Außerdem wissen sie dass wir uns in Österreich aufhalten nach unserem letzten Aufeinandertreffen mit ihnen." Es gefiel mir hier, es war ruhiger, mehr wie ein richtiges Zu Hause. „Ich werde es vermissen." Er nickte und zog mich in seine Arme, als er sah wie traurig ich wurde. Wieder ein Zu Hause hinter mir lassen. Man müsste doch meinen, dass ich es langsam gewohnt sein müsste. Ich spürte wie mich ein Schauer durchfuhr, als er mir sanft über den Rücken strich. Wir waren uns so nah, so nah wie am Tag zuvor. Mich überkamen die Gefühle, wie sollte ich darauf reagieren? „Ich werde es auch vermissen." Natürlich würde er dass, für ihn hing nocht viel mehr an diesem Haus. Er sah mich grübelnd an und ließ etwas von mir ab, sodass ich ihm in die Augen sah. Dann fuhr er sanft über meine Wange. Seine Finger waren warm und zogen eine angenehme Spur über meine Haut. Ich nahm jeden Berührungspunkt seiner Fingerspitzen genau wahr und schmiegte mich an seine Hand.

The Hunted GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt