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Zack ist völlig durch, er starrt auf die Straße und kann sich auf nichts anderes konzentrieren, habe ich das Gefühl. Er hat heute irgendeine Klausur geschrieben. Es ist schön, ihm beim fahren zuzusehen, während die Fenster heruntergefahren sind und die noch warme Herbstluft rein lassen. Er hat diesen Gesichtsausdruck, bei dem er unglaublich glücklich aussieht, aber nur für sich, innerlich.
Wir haben schon die Hälfte der Fahrtzeit hinter uns. Zack sieht so gut aus, dass es fast wehtut. Und sein Anblick beruhigt mich so sehr, dass ich meine Nervosität fast vergessen habe.

„Hab ich dir schonmal gesagt, wie gut du aussiehst?", murmle ich. Eher in Gedanken und ohne eine Antwort zu erwarten. Sein bis jetzt neutraler Ausdruck wird zu einem lächeln. Sein Blick bleibt auf der Straße, aber er nimmt meine Hand, führt sie an seine Lippen und küsst sie.

„Luca wird dich lieben.", ich stutze. „Luca?"

„Mein kleiner Bruder - Halbbruder.", jetzt reiße ich überrascht die Augen auf und Zack sieht mich sogar kurz an und grinst.
Überraschung"

„Wie alt ist er?", das ist das einzige was ich in der Überraschung rausbringe und Zack lacht nur.
„Das wirst du dann schon sehen.", ich haue ihm leicht auf den Arm.

„Hast einen Bruder und sagst nichts, unmöglich! Wie hast du Stella dazu gebracht, nichts zu sagen?"

„Stella hilft gerne. Zumindest wenn sie dabei ein bisschen Kohle abstauben kann.", er lacht. Ich bin neidisch auf die Beziehung von den beiden. Wenn ich so an mich und Adriel denke...

„Was wenn Luca mich nicht leiden kann?", die Frage stelle ich mich schon die ganze Zeit genau so über seine Mutter. Was wenn die verzogene Göre in mir durch kommt, das reiche Stadtmädchen?

„Deshalb hab ich es dir erst jetzt gesagt. Damit du dir nicht die ganze Zeit sinnlos Sorgen machst.", ich lache leise. Süß.

„Wieso wohnt sie so weit weg, deine Mom?", kurz ist er still. Scheint in Gedanken zu versinken.

„Ich hab meine halbe Kindheit auch in dem Ort gewohnt. Bis sie sich getrennt haben, dann sind ich und Stella mit Dad in die Stadt. Dort finden alle meine Kindheitserinnerungen statt, mit alten Freunden, Familie und Stella.", die Erinnerung scheint ihn nicht traurig zu machen, nichtmal melancholisch. Einfach nur eine vergangene Erinnerung. Ich nicke.
„Tschuldige. Vielleicht sollte ich nicht so viel über meine ach-so-tolle Kindheit reden.", kurz weiß ich nicht was ich sagen soll. Mir geht nur der Gedanke durch den Kopf, wie traurig es ist, dass ich meinem Freund verklickere, dass meine Kindheit irgendwie traurig war, sodass er das Thema meidet und nicht zu viel fragt.

„Ach schon gut. Erzähl mir alles, es schön dir zuzuhören."

„Dafür haben wir noch Zeit wenn wir endlich mal ganz alleine sind, nachher. Jetzt sind wir nämlich gleich da."

***

Wir sind noch durch einige Landstraßen gefahren, ein bisschen hatte ich Angst Zack hätte sich verfahren. Aber jetzt parken wir gerade auf einem riesigen Grundstück, mit viel zu kleinem Haus darauf. Um das Haus wächst ein wilder und traumhaft schöner Garten. Alles wirkt in der spätnachmittaglichen Sonne irgendwie verwunschen. Noch habe ich mich nicht angeschnallt, ich habe absolut keine Vorstellung wie das gleich ablaufen wird. Ich starre gerade aus durch die Windschutzscheibe, warum bin ich so nervös?
Zack haucht mir einen leichten Kuss auf die Wange. „Sie werden dich lieben.", er lächelt mich aufmunternd an und ich finde den Mut aus dem Auto zu steigen.

Zack nimmt meine Hand und an der Tür klingelt er. Ich bin ziemlich sicher, dass er einen Schlüssel hat, deswegen wirkt diese Szene irgendwie bizarr. Wir hören schnelle Schritte und schon fliegt die Tür auf. Zack grinst. Die Frau, die uns gegenüber steht, sieht viel jünger aus als sie sein dürfte.
„Zack, mein Schatz!", seine Mutter fällt Zack um den Hals. Die Frau ist mir auf Anhieb sympathisch und ein Teil der Nervosität fällt von mir ab. Als sie sich von ihrem Sohn löst, fällt ihr Blick auf mich. Sie lächelt herzlich. Zack greift wieder nach meiner Hand.
„Mom, das ist Merylin.", ihr Lächeln wird breiter.
„Ach, das weiß ich doch! Schön dich endlich kennenzulernen, Schätzchen. Nenn mich Naomi, sonst fühl ich mich wie eine alte Frau."
„Oh, Ja! Vielen Dank für die Einladung... Naomi.", sie nickt zufrieden. Dann schaut sie ihren Sohn wieder an.
„Glück gehabt. An Merylins Stelle hätte ich mich nach etwas besserem als Dir umgesehen. Das Mädchen kann jeden bekommen, wenn sie will.", Zack lacht und ich stimme zögerlich mit ein. Das war ein Kompliment.

Im Hintergrund klingelt irgendwas und Naomi dreht sich blitzschnell um und rennt zurück ins Haus. Zack schüttelt belustigt den Kopf und wir treten ein.
„Siehst du? Sie liebt dich.", ich grinse und nicke erleichtert.

„Kann ich ins Bad? Ich würde mich kurz ein bisschen Frisch machen, nach der langen Fahrt...", er nickt.
„Oben. Aber dann kann ich dir ja vorher noch schnell Luca vorstellen.", ich klatsche aufgeregt in die Hände.

„Wir gehen hoch zu Luca, Mom!", aus der Küche kommt ein überforderter Laut als Antwort, den Zack als Ja deutet.

Das ganze Haus ist voller Bilder aller Arten. Acryl, Öl, einfache Skizzen, Fotografie und so weiter. Ähnlich so wie im Flur bei Zacks Dad, nur hier ist es überall, im ganzen Haus. Sobald wir die Treppe rauf sind, öffnet Zack die erste Tür. Ein Kinderzimmer. Bunte Tapete, bemalte Schränke und überall liegt Zeug rum. Ein kleiner Junge schaut von seinen Spielzeug-Autos auf und seine Augen beginnen beim Anblick seines großen Bruders zu leuchten. „Zack!", er steht unbeholfen auf, rennt auf Zack zu und umarmt ihn lachend.
„Hey Kleiner! Mein Gott, du bist langsam garnicht kehr so klein.", doch er ist ein Winzling. Aber vielleicht ist es das, was ein großer Bruder sagen muss. Ich grinse und schaue von ein paar Schritten Entfernung zu, wie Luca ganz aufgeregt von irgendeinem neuen Auto, das er bekommen hat, erzählt. Zack nickt, scheint es aber bei dem schnellen gebrabbel des Kleinen, schwer zu haben, zu folgen.
Luca verstummt. Sein Blick wandert zu mir und er verengt auf eine kindliche Weise prüfend die Augen, sagt aber nichts. Zack streckt seine Hand zu mir raus und als ich sie nehme zieht er mich zu den beiden.

„Luca, das ist Mary.", ich lächle,gehe in die Hocke und reiche ihm meine Hand. „Hey.", er nimmt meine Hand. „Ich bin Luca. Warum bist du hier?", es ist eher Neugier als Misstrauen.

„Ich bin mit deinem Bruder hier, zum Essen.", er nickt, zufrieden mit der Antwort und wendet sich wieder Zack zu.
„Kann sie nicht noch länger bleiben?", Zack lacht und struppelt seinem Bruder durch die Haare.
„Nein, hier ist doch garnicht Platz für uns alle. Wo sollen wir denn schlafen? Aber Mary kommt bestimmt nochmal gerne mit hier her.", beim letzten Satz schaut Zack mich fragend an. Ich nicke. Es ist ein bisschen wie ein Versprechen, dass wir zusammen bleiben.
Obwohl ich nicht weiß, ob ich das halten kann.

Das echte LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt