Zwischenspiel - Orkin

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Zwischenspiel - Orkin

Ort: Planet Sikalda

Sternzeit: 3220.76

Subjekt: Medula


Medulas Hand schloss mit einem leisen Klicken das Panel an Orkins Brust und verdeckte damit das komplizierte Gewirr aus Kabeln und der Hauptplatinen. In all dem Chaos, unter den Schichten aus Metall befand sich, sicher aufbewahrt in einem Container, Iris Herz, das nun auf einen Knopfdruck hin seine Arbeit aufnahm. Langsam trat Medula einen Schritt von dem Roboter weg, der vor ihr auf der Arbeitsbank lag. Noch war er angeschlossen an ihren Computer, bis sie sichergehen konnte, dass er keinerlei Feinjustierungen mehr brauchte, doch Orkin, so wie er vor ihr lag, war vollendet.

Medula atmete tief durch. Sie war seltsam nervös. Eine Empfindung, die sie seit langem nicht mehr gespürt hatte. Allerdings hatte sie bisher keinen Grund mehr gehabt, aufgeregt zu sein.

Medula aktivierte Orkin, indem sie den eingelassenen Sensor an seinem Hals berührte. Er erkannte ihren Fingerabdruck und aktivierte den Roboter.

Initiiere Startmodul. Kalibriere Gerätefrequenzen. CRP - normal. Kerntemperatur - normal. Memorychip - normal. Einen Moment bitte. Fertig, las Medula auf der Anzeige ihres Tablets.

»Orkin? Öffne die Augen«, befahl Medula und der Roboter der vor ihr auf dem Labortisch lag gehorchte. Langsam blinzelte er, bis seine Augen sich auf die Umgebungsbeleuchtung einstellten. Seine Kameralinsen fokussierten sich dann auf Medula.

»Hallo, Medula«, sagte der Roboter und ein langsames Lächeln breitete sich auf Medulas Lippen aus.

»Du erkennst mich?«, hakte sie nach.

»Selbstverständlich tue ich das«, erwiderte der Roboter. Irrte Sie sich oder klang Orkin ... eingeschnappt? Hatte sie es tatsächlich geschafft?

»Setz dich auf«, forderte sie ihn auf und Orkin gehorchte erneut. »Starte Bewegungstest Nummer 2.« Orkin stellte sich hin und gehorchte. Es war eine Reihe von Bewegungen, die der Roboter nacheinander durchging, während Medula sicher ging, dass er sie fließend und ohne Probleme ausführen konnte.

»Wie spät ist es?«, war Medulas nächste Frage und Orkin beantwortete sie, ohne zu zögern.

»Wo sind wir gerade?«

»In deinem Labor.«

»Sehr gut. Deine Erinnerungsdatenbank ist aktuell und deine Basis-Systeme scheinen einwandfrei zu funktionieren«, murmelte Medula, nachdem sie die visuellen und akustischen Parameter auf ihrem Tablet kontrolliert hatte. Sie notierte die Werte auf ihrem Pad. Dann sah sie dem Roboter eindringlich in die Augen. Im Stehen war er nur wenig kleiner als sie selbst.

»Also Orkin. Wie fühlst du dich?«

»Wie ich mich fühle?«, echote er. Das war eine schwierige Frage. Medula hätte vielleicht mit etwas einfachem anfangen sollen wie, berechne die genaue Entfernung zum nächsten Sternensystem, oder was ist die quadratische Epivalenz von 8536. Medula sah gespannt dabei zu wie Orkin für einen Moment ein Roboter war. Seine Augen starrten ins Nichts und seine Haltung war starr, während seine Schaltkreise die Frage bearbeiteten. Dann:

»Ich fühle mich gut. Aber mir ist ein wenig kalt«, antwortete Orkin und schlang die Arme um seinen entblößten Oberkörper. »War die Temperatur in deinem Labor schon immer so niedrig?« Medulas Mund wurde trocken und sie hatte es nur ihrer Selbstbeherrschung zu verdanken, dass ihre Kinnlade nicht nach unten klappte. Sie hatte es tatsächlich geschafft!

»Nein, du hast recht. Es ist kalt hier«, stammelte Medula mit leuchtenden Augen. »AVOS? Erhöhe die Temperatur um 4 Einheiten.« AVOS gehorchte und sofort wurde der Raum wärmer. Orkin entspannte sich und ließ die Arme sinken. Obwohl entspannen nicht das richtige Wort war. Orkin war eine Maschine. Er hatte keine Muskeln, doch es war als würde seine Motorik loslassen.

»Hast du etwas zum Anziehen für mich?«, fragte Orkin dann.

»Kleidung? Für dich?«, echote Medula ungläubig und blinzelte. Dieser Gedanke war ihr noch nicht gekommen. »Wozu?« Orkins Körper war angelehnt an die allgemeine Anatomie einer kohlenstoffbasierten Lebensform, sprich zwei Beine, zwei Arme, Körper und Kopf. Aber er bestand aus Metall. Es gab keinen Grund etwas zu verstecken.

»Meinem Wissen zufolge ist Kleidung als angemessene gesellschaftliche Konvention zu sehen. Oder hat sich daran etwas geändert?«, erwiderte Orkin und für einen Moment sah aus wie jeder andere Roboter auch. Sein Blick wurde starr während er nachdachte und seine Antwort berechnete.

»Oh, es scheint als gäbe es ein Volk im Kondis System, das sich gegen das Tragen von Kleidungsstücken entschieden hat«, sagte er dann und Medula sah ihn sprachlos an.

»Du kannst dich an meinem Kleiderschrank bedienen«, sagte sie langsam und sah aus, als würde sie mit der Entscheidung kämpfen ihr Gespräch auf dem Pad zu notieren oder sich weiter mit Orkin zu unterhalten. »Wir dürften in etwa dieselbe Größe haben.«

»Dankeschön«, sagte Orkin und machte sich auf den Weg, das Labor zu verlassen.

»Keine Ursache«, murmelte Medula, baff und schockiert. Sie lief Orkin langsam hinterher, der ihr neues Labor verließ und ihr Schlafzimmer betrat. Er öffnete den weißen Schiebeschrank in der Wand und griff zielsicher nach der Kleidung. Medula hatte ihm einen Teil ihrer Erinnerungen gegeben. Orkin kannte die Wohnung so gut wie sie. Was er herauszog war eine lange Tunika und ein paar bequemer Schuhe. Für einen Moment starrte er auf die Kleidung in seinen Händen und bewegte die Finger über den Stoff.

»Das fühlt sich weich an. Weich ist ... schön«, stellte er fest und Medula musste sich auf die Zunge beißen um nicht vor Freude zu schreien. Sie hatte es geschafft. Sie hatte es tatsächlich geschafft. All die Monate, all die durchgearbeiteten Nächte, die Tage an denen sie trotz der Schmerzen, die ihre neuen mechanischen Körperteile ihr bereiteten, durchgearbeitet hatte. Sie hatte es endlich geschafft. Und es hatte sich gelohnt. Medula würde die letzten Monate jederzeit wieder wählen, wenn das Endergebnis dieses Wunderding der Wissenschaft vor ihr war. Sie sah Orkin dabei zu, wie er sich anzog, während sie gleichzeitig die Technik des Roboters bewunderte. Seine Stimme klang so natürlich wie die eines lebenden Wesens. Das hatte bisher noch niemand geschafft. Trotz modernster Klangtechnik hörte man doch durch, wenn es sich um eine künstlich generierte Stimme handelte. Die Wortmelodie war da das entscheidende Kriterium. Medula hatte alleine daran wochenlang gefeilt. Seine Bewegungen waren fließend, ohne stecken zu bleiben oder ruckartig zu werden.

Und, das wichtigste von allem, Orkin konnte fühlen.

Stolpernd durch die Galaxie - Band 1: Die Mechanik des HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt