Zwischenspiel - Eine neue Idee

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Zwischenspiel - Eine neue Idee

Ort: Planet Nambia

Sternzeit: 3218.20

Subjekt: Medula


Der erste Eindruck, den man von Medula gewann war, dass sie intelligent war, dass sie hübsch war und dass sie einsam war. Der zweite Eindruck der entstand war, dass sie gruselig war, was zumindest die Einsamkeit erklärte. Die erste und einzige Liebe, die es in Medulas Leben je gegeben hatte, war die Wissenschaft. Was alles andere als eine gesunde Beziehung war - zumindest für alle außer Medula. Es gab eine Zeit, in der Medula in Erwägung zog, andere Lebensformen in ihr Leben zu lassen, doch dieses Vorhaben fand ihr Ende in einer spektakulären Bruchlandung aus Explosionen, verletzter Gliedmaßen und Rachegedanken. Seitdem hatte Medula beschlossen, dass sie die Gesellschaft von Computerprogrammen denen anderer Lebensformen vorzog. Das galt vor allem, aber nicht exklusiv, für ihre nichtsnutzigen Kollegen am Institut. Es glich einem Wunder, dass das Institut mit so viel Inkompetenz unter einem Dach noch den Ruf hatte, den es hatte. Hätte Medula nicht dafür gesorgt, dass man sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen ließ, wäre sie vermutlich bereits durchgedreht.

Die Tür öffnete sich mit einem leisen Zischen und glitt beiseite. Für einen Moment stand Medula regungslos in der Türschwelle und musste sich dazu überwinden, ihre Wohnung zu betreten. Sie wurde begrüßt von einem dunklen und verlassenen Raum. Das einzige Licht, das eindrang, kam durch die große Fensterreihe, durch die sie die Stadt von oben sehen konnte. Medula musste einen Moment überlegen, bis sie sich daran erinnerte, wann sie sich das letzte Mal länger als ein paar Stunden hier aufgehalten hatte. Sie verbrachte so viel Zeit in ihrem Labor, dass sie die Wohnung nicht einmal als Schlafplatz betrachtete, sondern nur als Ort um ihre Sachen aufzubewahren.

Damit ist jetzt erst einmal Schluss, dachte Medula bitter. Dank Iris war ihr Labor ein einziger Trümmerhaufen. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass sie Medula das angetan hatte. Sie hatte ihre Arbeit ohne auch nur zu zögern zerstört. Ein größeres Vergehen würde es in Medulas Augen nie geben. Wenn sie daran dachte, dass sie Iris als Freundin betrachtet hatte, wurde ihr schlecht vor Wut.

Iris war das erste Lebewesen, das Medula aktiv in ihr Leben gelassen hatte. Jetzt im Nachhinein konnte sie nie genau sagen, was es war, das sie Iris Vertrauen ließ. Vielleicht ihre Neugier. Vielleicht ihr fröhliches Lächeln. Vielleicht die Tatsache, dass sie eine Necho war und noch dazu ein Adrenalinjunkie, der ›Wann?‹ statt ›Wieso?‹ fragte, wenn man sie bat, den Prototyp der Raketenstiefel auszuprobieren.

Medula machte sich nicht die Mühe, das Licht einzuschalten als sie letztendlich langsam die Wohnung betrat. Sie war nur mit dem Nötigsten eingerichtet. Rechts von ihr befand sich eine offene Küchenzeile, sie sie kein einziges Mal benutzt hatte, mit Außnahme des Essensreplikators, den sie eingebaut hatte. Vor ihr lag das Wohnzimmer, mit dem gemütlichen Sessel, direkt vor der Fensterreihe, durch die sie die Stadt beobachten konnte. An der Wand leuchtete die Projektion eines Wasserfalls, der im Boden versickerte. Das Rauschen des Wassers erinnerte sie an ihren Heimatplaneten. Es hatte eine beruhigende Wirkung. In dem weißen Regal an der Wand, befand sich eine vertrocknete Pflanze, die sie vom Institut zur Einstellung geschenkt bekommen hatte. Die Pflanze hatte erstaunlich lange überlebt. Hinter einer weiteren Schiebetür, befand sich Medulas Schlafzimmer. Vorsichtig nahm Medula ihr Tablet mit der gesunden Hand von dem Sessel und überprüfte es auf neue Nachrichten. Das, was von ihrem rechten Arm übrig war, war dick einbandagiert in mehrere Lagen konservierendes Gewebe. Ihr rechtes Auge ebenso. Die Ärzte wollten erst die Haut heilen lassen, bevor sie ihr einen künstlichen Arm implantierten. Medula rümpfte bei diesem Gedanken die Nase. Sie konnte von Glück reden, wenn sie nach der Implantation Temperaturdifferenzen wahrnehmen konnte. Und Medula glaubte nicht einmal an Glück. Der Termin war morgen früh. Medula würde nicht hingehen. Sie hatte die Prothesen gesehen, die alle als neueste Technik anpriesen, aber Medula hatte nur die Nase gerümpft. Es war ihr bisher nie in den Sinn gekommen, doch kaum hatte der Gedanke Wurzeln gefasst, hatte sie eine Idee nach der anderen. Sie würde bessere Prothesen machen. Sie würde gleich morgen früh mit der Arbeit beginnen.

Dann fiel ihr ein, dass ihr Labor noch immer in Trümmern lag und sie sich erst einmal darum kümmern müsste, bevor sie mit irgendetwas anderem anfing. Wütend warf Medula ihr Tablet zurück auf den Sessel und ließ sich frustriert auf das Sofa hinter sich fallen. Sie stieß gegen kaltes Metall und zuckte erschrocken zurück.

»Oh«, seufzte Medula, als sie erkannte, was neben ihr auf dem Sofa lag. Sie hatte ganz vergessen, dass sie ihn mit hierher genommen hatte. Es war der halbfertiger Roboter, dessen Einzelteile sie von einem Schrottplatz aufgelesen hatte. Das Endoskelett war gut genug erhalten, dass sie damit etwas anfangen konnte. Ihr Plan war es, AVOS in den Roboter zu spielen und zu sehen, was passierte. AVOS war ihr virtueller Assistent, der in Medulas Tablet lebte. Es war ein intelligentes Computerprogramm, an dem sie seit Jahren immer mal wieder bastelte. Sie hatte ihm vor etwa einem halben Jahr erfolgreich beibringen können, was es bedeutete, moralisch zu handeln. Ihre Kollegen am Institut waren ihr zu Füßen gelegen, erinnerte Medula sich, mit einem zufriedenen Lächeln. Ein Lächeln, das prompt erstarrte, als sie sich fragte, was sie jetzt machen sollte. Sie hatte kein Labor mehr in dem sie arbeiten konnte. Sie war schwer verletzt. Und Iris war an allem Schuld.

Heiße, brennende Wut erfüllte Medula mit einer Macht, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie Iris leiden sehen.

Unruhig stand Medula auf und bereute die Bewegung, als ihre Kleidung die rechte Seite ihres Brustkorbes streifte und einen brennenden Schmerz auf der Haut hinterließ. Es war die Stelle, an der der Hautreplikator angesetzt worden war. Ihre Haut war noch immer empfindlich. Ihre ganze rechte Seite ist verbrannt gewesen, doch davon sah man heute kaum noch etwas.

Medula nahm ihr Tablet wieder in die Hand und machte sich an die Arbeit.

Es war die Wut, die Medula für die nächste Zeit antrieb. Wut auf Iris, dank der sie alles verloren hatte. Wut auf sich selbst, dass sie ihre Emotionen nicht besser unter Kontrolle hatte und dass sie nicht arbeiten konnte. Hätte sie beide Arme gehabt, hätte sie jederzeit etwas besseres bauen können. Sie würde etwas besseres bauen.

Immerhin wusste sie jetzt, was sie mit dem Roboter anstellen würde. Aber vorerst würde sie sich um sich selbst kümmern müssen. Und um ein neues Labor. Vielleicht könnte ihr das Institut ein bisschen aushelfen. Sie könnte einen Planetenwechsel vertragen.

Stolpernd durch die Galaxie - Band 1: Die Mechanik des HerzensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt