prolog

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Seit der Erfindung der Eisenbahn um 1800 hat sie der Menschheit einen größeren Dienst getan, als sich so mancher bewusst ist. Von zahllosen verhasst, beschimpft und verachtet, konnte sie schon Strecken bewältigen, für die Kutschen Tage oder Jahre brauchten. Das ist der heutigen Gesellschaft allerdings recht gleichgültig. Sie kennen es nicht anders, da verlernt man manches zu schätzen, besonders wenn dieses immer wieder nur durch negative Ereignisse in den Nachrichten angesprochen wird. Doch für diese, die seit Anbeginn der Zeit zu den Spielern gehören, zu den Machern, die sich noch überwinden mussten und die Wahl zwischen Kutsche und Eisenbahn hatten, für genau diese Personen ist sie bei jeder Fahrt, von egal welcher Dauer, noch heute ein Wunder. Die junge Frau bevorzugt dieses Verkehrsmittel wahrscheinlich noch aus anderen Grünen einigen Anderen und steigt daher, auch wenn sie im Besitz eines Führerscheins ist, fast täglich lieber in einen Ableger der alten Eisenbahnen, die ihr im Laufe der Jahre so sehr ans Herz gewachsen sind. Niemand steht stundenlang an einem Gepäckband in einer zugigen Halle, das sich weder vor noch zurück bewegt, wenn er mit der Bahn gereist ist.

,,Ihr Gepäck wird in wenigen Minuten bereitgestellt, haben Sie noch etwas Geduld."

Bald kann sie diese Durchsage, die anschließend noch in anderen Sprachen durchgegeben wird, die sie zwar allesamt versteht, aber an sich ignorieren will, schon mitsprechen. Genervt streicht die junge Frau eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und ihre kalten Hände versenken sich tiefer in den Taschen ihres gestreiften Kleides. Der Sommer neigt sich dem Herbst entgegen und genau deshalb ist sie nach Stockholm gekommen, zu ihrem Leidwesen zwar mit dem Flugzeug und nicht mit dem Zug, aber solange sie ihn bald wiedersieht, ist sie bereit jede Strapaze auf sich zu nehmen, nur um ihn Sekunden zu sehen. Ruckelnd bewegt sich das Gepäckband und alle Wartenden stürzen vor, um auch ja ihren Koffer möglichst schnell in Empfang nehmen zu können. Zu ihrer Freude erblickt sie ihre rote abgegriffene Tasche sehr schnell und kann daraufhin mit noch schnelleren Schritten zum Ausgang eilen, hinter dem sicherlich schon etliche sitzen und sich fragen, wieso man sie so lange warten lässt, wenn die Maschine schon vor über zwei Stunden sicher den Boden erreicht hatte. Ihr aufmerksamer Blick huscht über die zusammengesunkenden Leute, denen teilweise die Augen längst zugefallen sind, dann erblickt sie eine winkende Person, die etwas abseits steht. Er sieht noch besser aus, als sie es in Erinnerung hatte. Eilig sucht sie den kürzesten Weg zu ihm, während er sie durch laute Rufe  anlockt.

,,Amelie! Ich bin hier!" 

Die rote Tasche, deren Boden bald unter dem Gewicht der vielen Bücher nachgeben wird, verliert schnell an Bedeutung und wird achtlos auf den dreckigen Boden des Flughafens fallen gelassen, sodass ein anderer schon sichtlich genervter Passagier beinahe über die Reisetasche gefallen wäre, hätte er im letzten Moment nicht ausweichen können. Davon bekommen die junge Frau in dem gestreiften Kleid und der junge Mann in Jeans und Hemd nichts mit, denn sie können einander nur fassungslos anschauen, so wie sie es immer tun, wenn sie sich nach einem Jahr für ihre kurze Zeit wiedersehen. Ihre Augen huschen unaufhörlich über das Gesicht und dann über die ganze Gestalt vor sich, um jede noch so kleine Veränderung zu bemerken, denn ein Jahr vergeht selten spurlos, auch bei ihnen.

,,Du wirst von Jahr zu Jahr schöner, ich kann es nicht glauben."

Seine Stimme ist noch immer so tief und rau, dass ihr ganz flau im Magen wird, als würden sie einander gerade erst kennenlernen und nicht schon fest zueinander gehören. Nach einem kurzen Moment der Stille, fallen sie einander in die Arme und rücken dabei immer näher zusammen, damit sie in den nächsten Wochen niemand auch nur minimalst trennen kann, dafür ist ihre Zeit zu wertvoll.

,,Ich habe dich so vermisst, Linus."

,,Und ich dich erst, mi amore."

,,Lass uns zu dir fahren, ich bin schon so gespannt wie es hier in Stockholm jetzt wohl aussieht. Mein letzter Besuch ist auch schon viel zu viele Jahre her."

,,Nichts lieber als das, lass mich deine Tasche nehmen und los geht's."

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