03; Linus

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,,Wach auf, wir haben heute noch sehr viel vor."

Sanftes Rütteln scheint die junge Frau allerdings nichtmal ansatzweise aus ihrer Traumwelt locken zu können, also muss ich härtere Geschütze auffahren. Den Verlust der Decke kann niemand so gut verkraften wie sie, immerhin ist sie selbst immer relativ kalt und friert darum erst, wenn ich längst erfroren wäre. Das kommt allerdings auch durch ihre Nähe zu Hektor, der immerhin regelmäßig dafür sorgt, dass die Temperaturen innerhalb kürzester Zeit rasant sinken. Amelie arbeitet zwar mit ihm fast genau so lange zusammen wir mit mir, aber sie hat sich an ihn angepasst. Mancher mag einfach sommerliche Temperaturen und andere dafür die Eiszeit. Diese uralte Erkenntnis weckt sie aber auch nicht auf, da bin ich mir ziemlich sicher. Kurzerhand lehne ich mich zurück und hebe meinen linken Arm. Mit meinen Fingerspitzen greife ich einen Lichtstrahl, der durch ein Loch im Fensterladen hereinfällt und richte ihn genau auf ihre Nase. Zuerst tut sich nichts, aber dann schießt sie in die Höhe und niest. Zufrieden lasse ich das Licht wieder frei und betrachte die junge Frau, die sich kurz heftig blinzelnd umschaut und dann realisiert wo sie ist.

,,Du hast mich auch schonmal sanfter geweckt."

,,Was ist denn sanfter als ein kleines wenig Licht?"

,,Ein Kuss wäre es beispielsweise."

,,Du weißt, dass wir damit vorsichtig sein müssen. Wir haben in der Vergangenheit schlimme Dinge dadurch ausgelöst."

Amelie zieht einen Schmollmund und blickt auf ihre Hände, die auf der Decke liegen. Sie konnte nie akzeptieren, dass wir unsere Bedürfnisse hinter unsere Aufgabe und besonders die damit verbundene Verantwortung stellen müssen. Es bricht mir selbst immer wieder das Herz, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann, wie sich ihre Lippen auf meinen angefühlt haben, aber ich kann mich damit trösten, dass ich von ihrer Haut kosten kann und immerhin diese mit Liebkosungen überschütten kann.

,,Ich hasse es, dass wir so sind."

,,Sei nicht traurig und steh auf. Ich habe heute einiges mit dir vor, oder willst du den ganzen wertvollen Tag verschlafen?"

,,Ich komme schon. Mach du bitte ein kleines Frühstück, ich habe sogar regelrecht Hunger."

Ein Vorteil daran, dass wir eben sind wie wir sind besteht ohne Zweifel darin, dass wir nicht schwitzen, überhaupt gar nicht, und daher Duschen nur nutzen, um Verspannungen zu lösen oder zum Zeitvertreib. Darum steht Amelie einfach auf, während ich den Raum langsam verlasse und lässt dann ihr Nachthemd zu Boden fallen, nachdem sie mir den Rücken zugedreht hat und sich vergewissert hat, dass ich sie nicht beobachte. Sie hat dabei bloß vergessen, dass ich sie dank der spiegelnden Tür trotzdem sehen kann, aber ich wende meinen Blick ab, sonst kann ich ihr nicht widerstehen und wir lösen wieder schlimme Naturkatastrophen aus bei denen zahllose unschuldig ihr Leben verlieren.

,,Machst du mir etwa ein Rührei? Ich hatte ewig keines mehr, weil das niemand so gut kann wie du. Also, ich hatte wohl eines in Tokio letztes Jahr nach deiner Abreise, aber es hat einfach nicht geschmeckt."

,,Warst du deshalb so enttäuscht, dass es zu zahllosen Überflutungen kam?"

,,Leider ja, ich hatte mich nicht unter Kontrolle."

Ihre schmalen Arme legen sich um meinen Oberkörper und ihr formschöner Körper drückt sich seitlich an mich. Kurz sind wir still und atmen den Geruch des Anderen ein, jedenfalls tue ich das in dem Augenblick. Sie riecht noch immer unverwechselbar nach Kastanien und einer Prise, die mich an den Geruch von Wind erinnert, was kaum typisch für eine Frau ist, deren Parfüme fast ausnahmslos nach irgendwelchen Blumen duften, zu meinen Glück verwendet sie nie welches. Seufzend löst Amelie sich von mir und beginnt kurz danach zu grinsen, was ich im Augenwinkel sehe, während ich das Rührei nicht aus den Augen lasse, damit sie bloß nicht davon enttäuscht wird.

,,Wir sollten nicht in der Vergangenheit hängen, immerhin kann ich es die nächsten Tage lang wieder genießen."

,,Da hast du Recht. Es ist auf jeden Fall fertig."

,,Perfekt, guten Appetit! Möchtest du dir eigentlich nicht etwas wärmeres als dieses kurzärmlige Hemd anziehen? Es ist draußen merklich kühler geworden."

,,Woran das wohl liegt."

,,Ach, weiß ich auch nicht."

AbstandsliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt