05; Linus

54 8 31
                                    

,,Was machen wir jetzt? Das war schon nicht schlecht."

Die junge Frau hüpft über den Bürgersteig und der Wind nimmt merklich zu, kurz muss ich frösteln, ehe ich mich darauf aufmerksam mache, dass wir noch immer Spätsommer haben und es dafür schon gehörig kalt geworden ist, obwohl ich eher ein Fan von warmen letzten Tagen bin, bevor der kalte, aber goldene Herbst richtig beginnen kann. Kaum habe ich daran gedacht, verflüchtigt sich der Wind und die Sonne findet ihren Weg aus der dichten Wolkendecke. Sofort wird meine Haut erwärmt und ich schließe kurz genießerisch meine Augen.

,,Linus! Linus! Komm, lass uns fangen spielen."

,,Ich bekomme dich schneller, als du gucken kannst."

,,Das glaubst auch nur du!"

,,Warte! Wohin läufst du? Amelie, du weißt, dass du den Baum nicht anfassen solltest! Bleib stehen! Sofort!"

,,Du bist ein verdammter Angsthase!"

,,Nein, ich möchte nur nicht, dass wir alles ins Chaos stürzen."

,,Was passiert schon groß? Dann färben sich die Blätter des Baumes halt früher als die der anderen Bäume hier, und? Das fällt sicherlich nichtmal jemandem auf."

,,Jeder kann den Baum sehen und wir sollen kein Aufsehen erregen, das weißt du, oder?"

,,Du bist eine Spaßbremse."

Mein Herz setzt aus und pocht dann schneller. Bin ich ihr etwa zu langweilig?

,,Du magst mich trotzdem."

,,Da hast du Recht."

,,Tut mir leid, dass ich dich gestoppt habe, aber sonst kommt Hektor noch früher und wir sehen uns gar nicht mehr, das wäre verdammt schade."

,,Stimmt, wie schlau du doch bist."

Sie schlingt ihre Arme um meinen Oberkörper und lächelt milde zu mir hoch. Offensichtlich nimmt sie mir meine Entscheidung gar nicht übel, was mich erleichtert. Zu gerne würde ich sie jetzt küssen, weil es so perfekt passen würde, aber ich darf nicht. Mit Tränen der Verzweiflung beiße ich mir auf meine Zunge und blicke von ihr weg in den Himmel. Ein Regenschauer braut sich zusammen. Wir sollten uns wahrscheinlich schnellstens irgendwo unterstellen und den Schauer abwarten. Als könnte sie meine Gedanken lesen, zieht Amelie mich an der Hand in Richtung der nächstgelegenen Bushaltestelle, doch bevor ich diese erreiche, erfasst mich ein kräftiger Windstoß, der definitiv keinen natürlichen Ursprung besitzt, durch den ich beinahe umgeworfen werde. Das Mädchen lacht daraufhin und zieht sich weiter in die Tiefe der Bushaltestelle zurück, die sie in der Zwischenzeit ohne nennenswerte Probleme erreicht hat.

,,Was sollte das denn jetzt?"

,,Ich hatte einfach Lust darauf."

Sie zuckt mit den Schultern und ihre Mundwinkel ziehen sich verdächtig in die Höhe. Ich nutze ihre Position aus und versuche sie in der Ecke einzukesseln, was mir tatsächlich auch gelingt. Eine Hand an das kühle Plastik gelegt und die Schulter an der anderen Wand abgestützt schaue ich auf sie herunter, während ihre dunklen Augen mich aufmerksam mustern und gefühlt bis in meine Seele schauen. Unsere Gesichter schweben knapp voreinander, unser Atem vermischt sich schon und mir huscht durch den Kopf, dass ich sie leicht küssen könnte, doch ich besinne mich wieder.

,,Na dann, ich dachte schon, dass du mir eins auswischen wolltest dafür, dass ich dich gerade nicht geküsst und zuvor im Museum ausgelacht habe, als wir den Schaden gemeldet haben."

,,Das würden doch nur rachsüchtige Personrn tun. Wie kannst du soetwas bloß von mir denken?"

Sie bläst ihre Wangen auf und ich küsse daraufhin ihre Nasenspitze, ehe ich ihre kalten Hände umfasse und den Überraschungsmoment nutze, um sie schwungvoll hinaus zu mir aus dem Häuschen zu ziehen. Ich hatte dabei zwar nicht bedacht, dass sie das Gleichgewicht verlieren könnte, aber so fällt sie bloß gegen mich und wir brechen gleichzeitig in Gelächter aus.

,,Was machen wir jetzt?"

,,Wie wäre es, wenn wir den Rückweg einfach laufen, es scheint ja doch trocken zu bleiben, und ein wenig durch die Gassengeschäfte stöbern, das hast du früher gern getan."

,,Du bist und bleibst mein liebster Casanova."

,,Ich hoffe doch mal, dass ich der Einzige bin, oder nennst du etwa noch jemanden so?"

,,Naja, dann gibt es einen gewissen Nervenkitzel wenn jemand anruft und ich nicht weiß, wer es ist, sondern nur, wer es nicht sein kann. Ist doch spannend."

,,Ich finde das nicht so lustig."

,,Jetzt schmoll nicht! Wen soll ich denn so einspeichern? Ich habe nur deine Nummer. Gut, und die von Hektor, aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich ausgerechnet den so nenne, oder?"

,,Nein, er würde sonst einen Weg suchen, um dich zu erpressen, damit du damit sofort wieder aufhörst."

,,Eben, so ist er halt, unser Eisblock."

,,So solltest du ihn besser auch nicht in seiner Gegenwart nennen."

,,Wieso das denn?"

,,Ich wäre an seiner Stelle beleidigt."

,,Daher bist du auch mein Casanova und er ist der Eisblock."

AbstandsliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt