12; Amelie

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,,Jetzt gehe ich hier nicht mehr weg."

Satt, wieder trocken und glücklich drehe ich mich zu dem jungen Mann. Seine Haare sind längst von allein getrocknet, während ich den Föhn benutzt habe, dafür locken sie sich nun mehr als sonst und fast so sehr, wie vor fast einer halben Stunde, als der Regen uns überraschen konnte. Linus meinte, dass seine Haare sich bei erhöhter Luftfeuchtigkeit schnell kräuseln und nur durch eine aufwendige Prozedur mit Föhn oder gar Glätteisen in ihre, mir so vertraute, altbekannte Form zurückfinden. Er sah beinahe aus wie ein ganz anderer Mensch, doch seine funkelnden Augen haben ihn in all den Jahren jedes Mal verraten, wenn wir einander getroffen haben, was wir anfangs allerdings penibel vermieden hatten. Zum Glück gab es dieses Ausnahmejahr, sonst könnte ich jetzt nicht neben im auf dem Sofa liegen, die Arme um seinen Nacken geschlungen und die Augen mehr auf ihn als auf den Film gerichtet, der den Bildschrim des modernen Fernsehers flimmern lässt. Linus hingegen tut so, als wäre es für ihn bloß eine Nebensache, dass ich meine Beine über seinen Schoß gelegt habe und ihn fast ununterbrochen mustere, doch ab und zu heben sich seine Mundwinkel verdächtig und auch seine Augen huschen innerhalb von Sekunden zu mir und zum Bildschirm zurück, damit ich es nicht bemerke. Ich verstehe dieses Versteckspiel nicht ganz, immerhin verrät ihn sein rasender Herzschlag sowieso. Lächelnd fahre ich mit den Händen in seine Haare und spiele mit vereinzelten Strähnen. Er schließt daraufhin seine Augen und lehnt sich mir ein Stück entgegen.

,,Ich hatte nicht angenommen, dass es so bald regnen würde. Ich konnte es nicht aufhalten."

Ich weiß, dass er daran schon selbst merkt, dass dieses Unwetter auf meinem Mist gewachsen ist und meiner Kontrolle unterlag, aber auch ich kann die Kräfte, die ich manchmal freisetze nicht immer kontrollieren, besonders zu Beginn nicht, denn da erfüllt mich jedes Mal eine überschwängliche Euphorie und ich bin beinahe nicht mehr zu stoppen. Ein altbekanntes Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus und kurz später blitzt es draußen, bevor ein Donner die Ruhe stört. Linus zieht eine Augenbraue hoch, sagt aber nichts dazu. Er verschwindet kurz und stellt einen Eimer mittig auf den Tisch.

,,Was soll der Eimer?"

,,Das Dach ist an einer Stelle leider undicht und bis ich das Unwetter beendet habe, soll der Teppich wenigstens verschont werden. Warte hier, ich bin gleich zurück."

Mit diesen Worten greift er seine Gummistiefel und die dünne Regenjacke und schließt die Tür der kleinen Hütte, um die der Wind pfeifend herumfegt. Ich kann Linus durchs Fenster sehen. Er steht am Wasser und versucht die Regenmassen dort in der Flüssigkeit zu bündeln, oder mindestens teilweise dorthin zu lenken, damit der Sturm einem Landregen weicht. Bisher tut sich allerdings rein gar nichts und er geht nach kurzer Pause erneut in Position. Heimlich tue ich es ihm gleich und beinahe sofort kann ich in das Wasser greifen, ohne Draußen zu sein. Wir müssen nicht dort sein, wo wir gerade tätig sind. Das ginge auch überhaupt gar nicht, aber wenn unsere Kraft schwindet und der Nachfolger kommt, dann ist es leichter, nicht erst ein Dach oder Änhliches durchgreifen zu müssen, denn so will uns die Natur dazu bringen, loszulassen und dem Nachfolger die Bahn frei zu machen. Wir vier sollen nicht ständig herrschen, jedenfalls an fast allen Bereichen der Erde. Linus und Hektor haben natürlich jeder ein Gebiet, das rein ihrer Kontrolle ausgesetzt ist, aber jetzt da ich die Haare meines Geliebten bei erhöhter Luftfeuchtigkeit erblickt habe, wundert es mich wenig, dass er diesen Orten nur so selten wie möglich und natürlich ohne mich einen Besuch abstattet, immerhin bin ich dort fehl am Platz, wie ich es an den Polen wäre. Aber gerade kann ich eingreifen und das mache ich auch schnellstmöglich. Ich teile das Unwetter, schicke eine Front weiter in Richtung der Stadt und der Rest wird zu einem milden Landregen, wie ihn Linus so liebt. Dieser straft seine Schultern, scheinbar mit dem Ergebnis zufrieden und kommt zu mir zurück. Er tropft noch etwas, aber da ich ihn kenne, weiß ich, dass das Wasser bald schon spurlos verdampft ist.

,,Ich glaube, dass wir uns bald trennen müssen."

,,Ach Quatsch, das war das erste Mal. Sei nicht so pessimistisch, wir haben sicherlich noch fast eine Woche, da bin ich mir sicher."

,,Ich hoffe, dass du Recht hast."

,,Natürlich habe ich Recht, du kennst mich doch, ich habe mich noch nie geirrt."

,,Bei dem Unwetter nicht, aber ich will nicht streiten. Lass uns weiterkuscheln."

AbstandsliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt